Dienstag, April 16, 2024

Inklusiver Unterricht bringt keine Nachteile beim Lernzuwachs

Inklusiver Unterricht bringt Kindern bessere Ausgangswerte als Kindern in exklusiven Förderschulen und zeigt zu allen Messzeitpunkten bessere Leistungen.

Weder eine exklusive Schulform noch inklusiver Unterricht bringen Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf Lernen eindeutige Vorteile in deren Lese- und Rechtschreibfähigkeiten. In einer interdisziplinären Studie untersuchte ein Forscherteam den Lernzuwachs im Lesen und Rechtschreiben bei 410 Grundschülern mit Förderbedarf Lernen. Exklusiver und Inklusiver Unterricht zeigten im Längsschnitt nur geringe Unterschiede.

Inklusiver Unterricht bedeutet, dass Kinder mit Lernbeeinträchtigungen gemeinsam mit Kindern ohne besonderen Förderbedarf in der Regelschule geschult werden. Exklusiv werden lernbeeinträchtigte Kinder in sogenannten Förderschulen beschult.

 

Studie mit 410 Schülern mit Förderschwerpunkt Lernen

Rund sieben Prozent aller Kinder in Deutschland haben einen festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf. Das bedeutet, dass bei ihnen eine Beeinträchtigung im Bereich des Hörens oder Sehens, des Lernens oder der geistigen Entwicklung festgestellt wurde. Den größten Anteil darunter machen Kinder mit Lernbeeinträchtigungen aus. Diese können in Deutschland inklusiv, also gemeinsam mit Kindern ohne besonderen Förderbedarf in der Regelschule, oder exklusiv in sogenannten Förderschulen beschult werden. „Unsere Untersuchung zielte darauf ab, die seit Jahren in der Öffentlichkeit hitzig geführte Debatte um die Vorteile und Nachteile einer inklusiven oder exklusiven Beschulung durch Vorlage belastbarer Ergebnisse zu versachlichen“, erklärt Elke Wild, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Bielefeld.

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Bielefeld, Marburg und Gießen untersuchte die Wissenschaftlerin im Rahmen des vom BMBF geförderten BiLieF-Projektes die Lese- und Rechtschreibentwicklung von Grundschülern in inklusiven und exklusiven Schulsettings. Dafür befragten und testeten sie 410 Grundschüler mit Förderschwerpunkt Lernen aus Nordrhein-Westfalen zu drei Zeitpunkten im Verlauf der dritten und vierten Klasse. Die Kinder bearbeiteten zu jedem Zeitpunkt einen Leseverständnistest sowie eine Schreibprobe. Zu Beginn der Untersuchungsreihe wurde auch die Intelligenz der Kinder mit einem sprachfreien Verfahren erfasst. Zusätzlich wurden Informationen über Bildungsabschluss und Berufsausbildung der Eltern sowie zum Wohlbefinden und zu weiteren emotionalen und sozialen Aspekten erhoben.

Im Einklang mit früheren Studien zeigen sich im Querschnitt durchgängig deutliche Unterschiede in den Leistungen zwischen Schülern auf Förderschulen und inklusiv beschulten Kindern. Die im inklusiven Unterricht beschulten Kinder haben bessere Ausgangswerte als die in Förderschulen exklusiv Beschulten und zeigen zu allen Messzeitpunkten bessere Leistungen. Selbst zum Ende der vierten Klasse liegen die Leistungen der Förderschulkinder für den Bereich Rechtschreibung im Mittel hinter denen der inklusiv unterrichteten Kinder in der dritten Klasse. „Diese Ergebnisse sind allerdings erwartbar und könnten auf Selektionseffekte hinweisen. Leistungsstärkere Kinder mit Förderbedarf verbleiben demnach im Regelschulsystem, während leistungsschwächeren Kindern eher der Wechsel zur Förderschule empfohlen wird“ erklärt Elke Wild.

 

Geringe Unterschiede im Längsschnitt

Interessant ist daher, dass die Ergebnisse im Längsschnitt nur geringfügige Unterschiede beim Leistungszuwachs von inklusiv und exklusiv beschulten Kindern zwischen der ersten und letzten Testung zeigen. Hier überrascht ein gegenläufiger Effekt: Während Inklusiver Unterricht die Lesefähigkeit bei inklusiv beschulten Kindern stärker entwickelt als bei den exklusiv beschulten, verhält es sich mit den Rechtschreibfähigkeiten umgekehrt. In dieser Domäne lernen die exklusiv beschulten Kinder im beobachteten Zeitfenster mehr dazu. „Die Geschwindigkeit der Lernfortschritte im Lesen und Rechtschreiben scheint also weniger vom Schulsetting abzuhängen. Zukünftige Studien sollten andere Faktoren fokussieren, wie zum Beispiel die Qualität der Schule oder Einflüsse effektiven Unterrichtens“, schlussfolgert Elke Wild. „Die Umsetzung des Rechts auf inklusive Bildung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention erfordert ein wissenschaftlich fundiertes Aus- und Fortbildungsangebot für sonderpädagogische und allgemeine Lehrkräfte und, im Zuge des Ausbaus von Ganztagsschulen, für das Personal der Ganztagsbetreuung.“

Die Originalstudie finden Sie hier:

Stranghöner, D., Hollmann, J., Otterpohl, N., Wild, E., Lütje-Klose, B. & Schwinger, M. (2017). Inklusion versus Exklusion: Schulsetting und Lese-Rechtschreibentwicklung von Kindern mit Förderschwerpunkt Lernen. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 31, 125-136. doi.org/10.1024/1010-0652/a000202  

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