Freitag, April 19, 2024

Immunsystem: Autoimmunreaktionen interdisziplinär therapieren

Wenn das Immunsystem körpereigene Zellen oder Gewebe attackiert, entstehen Autoimmunreaktionen, die interdisziplinär behandelt werden sollten.

Von der Haarspitze bis zur Zehenspitze schützt das Immunsystem die Haut sowie alle inneren Organe vor Infekten und vor Tumoren. Bei Autoimmunerkrankungen – wie entzündlich-rheumatische Erkrankungen – leistet das Immunsystem zu viel, es greift den eigenen Körper an, und dies an ganz verschiedenen Stellen und Organsystemen des Körpers.

 

Immunsystem attackiert oft an verschiedenen Orten

Auf Grundlage der eingangs zitierten Erkenntnisse ergibt sich, dass durch das Immunsystem ausgelöste Autoimmunreaktionen sich meistens nicht nur auf ein Organ beziehen, sondern immer Ausdruck einer systemischen Entzündungsreaktion sind.

Somit existieren ganz viele entzündlich-rheumatische Erkrankungen, die auch Entzündungsreaktionen – beispielweise an Haut, Nieren, Lunge, ZNS etc. – manifestieren. Weiters zeigen große Registerdateien, dass bei Patienten mit chronischer Entzündung häufiger Herzinfarkte oder bösartige Lymphknotentumoren als „Kollateralschaden“  aufreten.

Entzündungsmedizin muss somit immer systemische Allgemeinmedizin, die den ganzen Körper in den Blickpunkt bringt, mit sehr spezialisierten Werkzeugen sein.

 

Entwicklung der antientzündlichen Therapie

Die antientzündliche Therapie hat in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten eine geradezu revolutionäre Entwicklung genommen. Bis in die 1980er Jahre kannte man Cortison und Azathioprin, dann kam Methotrexat als erster großer Fortschritt.

Durch die gentechnologischen Möglichkeiten, monoklonale Antikörper in großen Mengen zu produzieren, um sie im Menschen einsetzen zu können, erfolgte die nächste Revolution in Form einer monoklonalen Antikörpertherapie, initial gegen B-Lymphozyten gerichtet, gegen Immunhormone wie Tumor-Nekrose-Faktor-Alpha, gefolgt von Antikörpern gegen viele Immunhormone (Zytokine) wie Interleukin-6, Interleukin-12, Interleukin-23, Interleukin-17A, Interleukin-4 und viele andere Zytokine sowie zellgerichtete Biologika wie Abatacept gegen T-Lymphozyten.

In der Tumortherapie sind inzwischen Anitkörper etabliert, die als Checkpoint-Inhibitoren das Immunsystem wieder aggressiv werden lassen gegen den Tumor, nachdem diese Immunzellen zuvor vom Tumor selbst abgeschaltet wurden.

Die letzte Entwicklung sind synthetische Medikamente, die in Immunzellen die Weitergabe eines entzündungsfördernden Signals blockieren, die sogenannten Signaltransstruktionsinhibitoren.

 

Interdisziplinarität der Immunologie

Die Interdisziplinarität der Immunologie zeigt sich auch in der Wirkung spezialisierter Medikamente: Beispielsweise zeigt Rituximab als B-Zell-depletierender CD20 Antikörper sehr gute Wirkungen in der Rheumatoiden Arthritis, in der Therapie der B-Zell-Non Hodgkin-Lymphome, bei ANCA-assoziierten Gefäßentzündungen (Vaskulitiden), bei der Multiplen Sklerose, beim bullösen Pemphigoid. Dagegen hat Rituximab keine Rolle bei der Behandlung der Psoriasis und Psoriasisarthritis.

TNF-Alpha Immunbiologika wirken jedoch sehr gut bei der Psoriasis, der Psoriasisarthritis, der rheumatoiden Arthritis, Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa, nicht aber bei der Multiplen Sklerose und nur bei einzelnen Vaskulitiden.

Aus der Erkenntnis, dass einzelne Zytokine, die durch die Antikörper blockiert werden, bei unterschiedlichen Krankheiten aus verschiedenen Disziplinen unterschiedlich wirken, konnte die Wichtigkeit bestimmter Zellen wie B-Lymphozyten oder T-Lymphozyten oder die Wichtigkeit bestimmter Zytokine wie Tumornekrosefaktor Alpha, Interleukin- 6, Interleukin-1, Interleukin-17 etc. für die Pathogenese und die Propagation der chronischen Entzündung verschiedener Autoimmunerkrankungen erkannt werden.

Da diese Biologika und spezifischen Immuntherapeutika die Entzündung an unterschiedlichen Zielorganen gleichermaßen blockieren, ist die Immuntherapie immer eine interdisziplinäre Systemtherapie. Die Einführung dieser leider oft noch sehr teuren Medikamente hat dazu geführt, dass die klinische Immunologie als Spezialdisziplin der Entzündungsmedizin interdisziplinär aufgestellt werden muss.

 

Interdisziplinäre Entzündungsboards

Dem tragen viele Universitätsklinika Rechnung, indem sie interdisziplinäre Entzündungsboards einführen, bei denen Kollegen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen wie Rheumatologie, Dermatologie, Gastroenterologie, Nephrologie und Pneumologie, um nur einige zu nennen, zusammenarbeiten mit dem Ziel, die optimale Therapie für die unterschiedlichen Facetten der Erkrankung des jeweiligen Patienten im Konsens zu beschließen. Dies drückt auch aus, dass die Medizin mit Zunahme der Kenntnis und mit der Steigerung der therapeutischen Möglichkeiten immer spezialisierter wird, so dass ein Kollege einer Fachdisziplin nie die Spezifika der anderen Fachdisziplinen wird überblicken können.

Die optimale Therapie wird also in der Zukunft zunehmend in interdisziplinären Entzündungsboards gestaltet werden. Dem hat die Einführung der ambulanten spezialärztlichen Versorgung in der Rheumatologie Rechnung getragen, indem Kollegen unterschiedlicher Disziplinen fächerübergreifend in gemeinsamen Boards die Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen mit gesonderter Abrechnungsmöglichkeit entwickeln und konsentieren.

Quelle:

Statement »Fächerübergreifende Immuntherapie: Warum interdisziplinäre Behandlung entscheidend für den Therapieerfolg ist« – Professor Dr. med. Hanns-Martin Lorenz, Präsident der DGRh, Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg, Medizinisch-wissenschaftlicher Leiter des Rheumazentrums Baden-Baden zum 46. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und der 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh), September 2018, Berlin

Related Articles

Aktuell

Zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom kultivieren

Wichtig zur Klärung der Metastasierung: Forscher gelang es, zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom zu kultivieren. Die Forschung zum kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC), einer besonders aggressiven Form...
- Advertisement -

Latest Articles

Individuelle Beratung zur Ernährung für Krebspatienten

Beratung zur Ernährung für Krebspatienten: Verbesserung der Lebensqualität durch individuelle ernährungsmedizinische Unterstützung. Eine rechtzeitige und individuell angepasste Beratung zur Ernährung kann wesentlich zur Verbesserung der...

Warum HIV trotz Kombinationstherapie höchst aktiv sind

Neue Herausforderungen in der HIV-Behandlung sind, dass aktive HI-Viren trotz Kombinationstherapie weiterhin aktiv bleiben. Die HIV-Kombinationstherapie, eingeführt in den 1990er Jahren, gilt als Meilenstein in...

Partnerschaft mit Diabetes-Patienten: auch die Partner profitieren von Einbeziehung

Den Partner in die Diabetes-Behandlung zu integrieren, verbessert die Partnerschaft und das gemeinsame Wohlbefinden. Diabetes Typ-2 stellt nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für...