Freitag, März 29, 2024

Corona-Pandemie: Ergebnisse der Heinsberg-Studie von Professor Dr. Streeck et al.

Ergebnisse der Heinsberg-Studie von Professor Dr. Hendrik Streeck und Professor Dr. Gunther Hartmann: Die Infektionssterblichkeit liegt bei 0,37%.

Der Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen gilt als Brennpunkt für das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2. Nach einer Karnevalssitzung kam es dort zu einer in Deutschland frühen und massenhaften Ausbreitung des Erregers. Im Rahmen der Studie hatte ein Forschungsteam um Prof. Dr. Hendrik Streeck und Prof. Dr. Gunther Hartmann von der Universität Bonn in der Ortschaft Gangelt eine große Zahl von Einwohnern befragt, Proben genommen und analysiert. Dabei wurde unter anderem erstmals die Sterblichkeitsrate der Infektion genau bestimmt. Die Ergebnisse der Heinsberg-Studie von Professor Dr. Streeck und seinem Team sind nun vorab veröffentlicht worden. Sie werden nun der Wissenschaft und der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine Publikation in einem Fachjournal mit Peer-Review-Verfahren folgt.

 

Ergebnisse der Heinsberg-Studie zur Infektionssterblichkeit

Im Fokus der Heinsberg-Studie stehen die Ergebnisse zur Sterblichkeitsrate der Infektion. Man spricht von der Infektionssterblichkeit, infection fatality rate, IFR. Diese gibt die den Anteil der Todesfälle unter den Infizierten angibt.

Die Infektionssterblichkeit muss von der Fallsterblichkeit unterschieden werden (case fatality rate, CFR). Die Infektionssterblichkeit ist aus verschiedenen Gründen der verlässlichere Parameter, und dessen Bestimmung wird international für SARS-CoV-2 gefordert.

 

Ergebnisse der Heinsberg-Studie von Professor Dr. Streeck: 10-mal größere Dunkelziffer

„Mit unseren Daten kann nun zum ersten Mal sehr gut geschätzt werden, wie viele Menschen nach einem Ausbruchsereignis infiziert wurden. In unserer Studie waren das 15 Prozent für die Gemeinde Gangelt. Mit der Gesamtzahl aller Infizierter kann die Infektionssterblichkeit (IFR) bestimmt werden. Sie liegt für SARS-CoV-2 für den Ausbruch in der Gemeinde Gangelt bei 0,37 Prozent“, erklärt Studienleiter Professor Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, die Ergebnisse der Heinsberg-Studie.

Mit der Infektionssterblichkeit lässt sich anhand der Zahl der Verstorbenen auch für andere Orte mit anderen Infektionsraten abschätzen.  Uns zwar, wie viele Menschen dort insgesamt infiziert sind. Der Abgleich dieser Zahl mit der Zahl der offiziell gemeldeten Infizierten führt zur sogenannten Dunkelziffer. Diese ist in Gangelt rund 5-fach höher als die offiziell berichtete Zahl der positiv getesteten Personen.

Wenn man für eine Hochrechnung etwa die Zahl von fast 6.700 SARS-CoV-2-assoziierten Todesfällen in Deutschland zugrunde legt, so ergäbe sich eine geschätzte Gesamtzahl von rund 1,8 Millionen Infizierten. Diese Dunkelziffer ist um den Faktor 10 größer als die Gesamtzahl der offiziell gemeldeten Fälle (162.496 am 03.05.2020, 07:20 Uhr).

„Die Ergebnisse können dazu dienen, Modellrechnungen zum Ausbreitungsverhalten des Virus weiter zu verbessern. Bislang ist hierzu die Datengrundlage vergleichsweise unsicher“, sagt Co-Autor Prof. Dr. Gunther Hartmann, Leiter des Instituts für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum Bonn und Sprecher des Exzellenzclusters ImmunoSensation.

Die Ergebnisse der Heinsberg-Studie bieten auch wichtige Hinweise für weiterführende Forschung zu SARS-CoV-2. Etwa zum Infektionsrisiko in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen, zum höheren Schweregrad der Erkrankung unter den besonderen Bedingungen eines massiven Infektionsereignisses wie in Gangelt, oder zum Infektionsrisiko innerhalb von Familien.

 

20% der COVID-19 Infektionen verlaufen asymptomatisch

Auch die Beschreibung der Symptome ist ein Aspekt der Studie. Der für diese Infektion auffälligste Symptomkomplex ist der von Prof. Streeck zuvor beschriebene Geruchs-und Geschmacksverlust. Weiterhin zeigten in Gangelt insgesamt 22 Prozent von allen Infizierten gar keine Symptome. Es fiel auf, dass Personen häufiger Symptome hatten, die an der Karnevalssitzung teilgenommen haben. “Um herauszufinden, ob hier die körperliche Nähe zu anderen Sitzungsteilnehmern und eine erhöhte Tröpfchenbildung durch lautes Sprechen und Singen zu einem stärkeren Krankheitsverlauf beigetragen haben, planen wir weitere Untersuchungen in Kooperation mit Spezialisten für Hygiene“, führt Prof. Hartmann aus.

Heinsberg-Studie, Prof. Dr. Gunther Hartmann. © Universitätsklinikum Bonn / Schreiber
Heinsberg-Studie, Prof. Dr. Gunther Hartmann. © Universitätsklinikum Bonn / Schreiber

„Dass offenbar jede fünfte Infektion ohne wahrnehmbare Krankheitssymptome verläuft, legt nahe, dass man Infizierte, die das Virus ausscheiden und damit andere anstecken können, nicht sicher auf der Basis erkennbarer Krankheitserscheinungen identifizieren kann“, meint Prof. Martin Exner, Leiter des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit und Co-Autor der Studie. Dies bestätige die Wichtigkeit der allgemeinen Abstands- und Hygieneregeln in der Corona-Pandemie. „Jeder vermeintlich Gesunde, der uns begegnet, kann unwissentlich das Virus tragen. Das müssen wir uns bewusst machen und uns auch so verhalten“, sagt der Hygiene-Experte.

Heinsberg-Studie, Prof. Dr. Martin Exner © Volker Lannert / Uni Bonn
Heinsberg-Studie, Prof. Dr. Martin Exner © Volker Lannert / Uni Bonn

In den untersuchten Mehrpersonen-Haushalten war das Risiko für die Ansteckung einer weiteren Person überraschend gering. „Die Infektionsraten sind bei Kindern, Erwachsenen und Älteren sehr ähnlich und hängen offenbar nicht vom Alter ab“, sagt Prof. Streeck. Es gebe auch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

 

Insgesamt 919 Teilnehmer aus 405 Haushalten

Insgesamt 600 zufällig ausgewählte Haushalte in Gangelt wurden angeschrieben und gebeten, an der Studie teilzunehmen. 919 Studienteilnehmer aus 405 Haushalten wurden vom 30. März bis 6. April sechs Wochen nach dem Ausbruch der Infektion in Gangelt befragt und getestet.

Die Wissenschaftler nahmen Rachenabstriche und Blutproben. In der Akutphase der Infektion in den ersten ein oder zwei Wochen ist der PCR-Test, der den „genetischen Daumenabdruck“ von SARS-CoV-2 erfasst, sehr zuverlässig. Zwei oder drei Wochen nach der Infektion bildet das Immunsystem sogenannte Antikörper gegen das Virus, die der ELISA-Test erkennt.

„Durch die Kombination von PCR- und ELISA-Test können wir sowohl akute als auch abgelaufene Infektionen erfassen“, sagt Hartmann. Vorstudien zeigten, dass der ELISA-Test sich in etwa einem Prozent der durchgeführten Untersuchungen „irrt“ und fälschlicherweise eine durchgemachte Infektion anzeigt. „Bei einem hohen Prozentsatz an Infizierten wie in Gangelt tritt dieser messtechnische Unsicherheitsfaktor in den Hintergrund“, erklärt Prof. Hartmann.

Heinsberg-Studie: Studentische Hilfskräfte halfen bei der Probennahme in Gangelt mit. © Oliver Thanscheidt
Heinsberg-Studie: Studentische Hilfskräfte halfen bei der Probennahme in Gangelt mit. © Oliver Thanscheidt

Bei aktuell geplanten Deutschland-weiten Studien mit einer geschätzten Infektionsrate von etwa ein bis zwei Prozent sei dieser messtechnische Unsicherheitsfaktor jedoch ein Problem.

Welche Schlüsse aus den Studienergebnissen gezogen werden, hängt von vielen Faktoren ab, die über eine rein wissenschaftliche Betrachtung hinausgehen“, sagt Prof. Streeck. „Die Bewertung der Erkenntnisse und die Schlussfolgerungen für konkrete Entscheidungen obliegen der Gesellschaft und der Politik.“

 


Literatur:

Hendrik Streeck, Bianca Schulte, Beate M. Ku¨mmerer, Enrico Richter, Tobias Höller, Christine Fuhrmann, Eva Bartok, Ramona Dolscheid, Moritz Berger, Lukas Wessendorf, Monika Eschbach-Bludau, Angelika Kellings, Astrid Schwaiger, Martin Coenen, Per Hoffmann, Birgit Stoffel-Wagner, Markus M. Nöthen, Anna-Maria Eis-Hu¨binger, MartinExner, Ricarda Maria Schmithausen, Matthias  Schmid and Gunther Hartmann. Infection fatality rate of SARS-CoV-2 infection in a German community with a super-spreading event.

https://www.ukbonn.de/C12582D3002FD21D/vwLookupDownloads/Streeck_et_al_Infection_fatality_rate_of_SARS_CoV_2_infection2.pdf/$FILE/Streeck_et_al_Infection_fatality_rate_of_SARS_CoV_2_infection2.pdf


Quelle: Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn

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