Donnerstag, April 18, 2024

Gesundheitsausgaben in Österreich, Deutschland und in der Schweiz verglichen

Eine aktuelle Analyse verglich die Gesundheitsausgaben in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Es zeigte sich, dass sie in Österreich am niedrigsten sind.

Das Forschungsinstitut für Freie Berufe der Wirtschaftsuniversität Wien und das Berliner IGES Institut haben in einer aktuellen Kurzstudie die Gesundheitsausgaben in Österreich, Deutschland und der Schweiz analysiert und verglichen. Die Studienergebnisse sollen eine präzise Standortbestimmung und das Identifizieren von Verbesserungspotenzialen ermöglichen. Insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen und die Gesundheitspolitik der künftigen Bundesregierung liefert die Studie wertvolle Grundlagen. Und zwar vor allem zu den Fragen, wo Österreich im internationalen Vergleich steht und was wir brauchen.



 

Gesundheitspolitik in Österreich agiert oft mit unrealistischen Daten bezüglich der Gesundheitsausgaben

Durch die österreichische Gesundheitspolitik zieht sich häufig das Problem, dass mit unrealistischen Daten operiert wird. Entscheidet man jedoch auf Basis falscher Zahlen, so trifft man notgedrungen falsche Entscheidungen.

Ein Beispiel dafür ist die Ärztestatistik. In den vergangenen Jahren wurden in Österreich aufgrund falscher Ärztezahlen viele falsche Entscheidungen getroffen und es wurden die Weichen falsch gestellt. Die Politik ging aufgrund der OECD-Berichte von eine besonders hohen österreichischen Ärztedichte, von einer Überversorgung aus, von der jedoch in der Realität nicht die Rede sein kann. Die Politik fuhr deshalb gegenüber dem niedergelassenen ärztlichen Bereich einen harten Sparkurs.
Jetzt zeigt sich, dass diese Zahlen ein Irrtum waren, dass die getroffenen Entscheidungen den niedergelassenen ärztlichen Bereich in vielen Bereichen massiv geschwächt haben und dass heute der ärztliche Nachwuchs fehlt. Weit weniger gespart wurde dafür bei den Spitälern. Der stationäre Bereich ist heute auch im internationalen Maßstab in Österreich besonders groß und entsprechend teuer.

 

Dreiländervergleich

Der Dreiländervergleich zeigt, dass die Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum BIP in Österreich mit 10,3 Prozent am niedrigsten sind, gegenüber Deutschland mit 11,2 Prozent und der Schweiz mit 12,2 Prozent. In den vergangenen 20 Jahren verzeichnete Österreich im Verhältnis zur Wirtschaftskraft im Dreiländervergleich zudem den geringsten Anstieg der Gesundheitsausgaben. Auch die öffentlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf sind im letzten Jahr in Österreich mit 4.033 USD die niedrigsten der drei Länder (Schweiz: 4.600 USD; Deutschland: 5.056 USD). Öffentliche Gesundheitsausgaben sind Ausgaben, die von öffentlichen bzw. Pflichtsystemen für die Gesundheitsversorgung bezahlt werden (ohne Investitionen).

Im Übrigen hat der Anteil laufender öffentlicher Gesundheitsausgaben an den Gesamtgesundheitsausgaben seit dem Jahr 2000 in Österreich etwas abgenommen: Damals betrug er 75,5 Prozent, im Vorjahr 74,7 Prozent. Es zeigt sich außerdem, dass der Anteil stationärer Leistungen (inklusive Rehabilitation, ohne Pflege) an den gesamten Gesundheitsausgaben in Österreich im Dreiländervergleich mit 44 Prozent am höchsten ist. In Deutschland liegt dieser Anteil bei 39 Prozent, in der Schweiz bei 36 Prozent. Hier besteht Potenzial für Reformen.

Der Kostenanteil für ambulante Leistungen, im Wesentlichen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, beträgt in Österreich 34 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben und liegt damit deutlich unter den Schweizer Werten (Deutschland: 32 Prozent). Entsprechend hoch ist im OECD-Vergleich in Österreich die Zahl der Krankenhausaufenthalte mit 23.067 pro 100.000 Einwohner (im Jahr 2017). Nur in Deutschland (23.455) ist diese Häufigkeit noch etwas höher, in der Schweiz mit etwas mehr als 15.000 deutlich niedriger. Das ist ein klarer Hinweis auf ein beträchtliches ambulantes Potenzial in der Gesundheitsversorgung sowohl in Österreich als auch in Deutschland.

 

Ärztedichte

Bei der Ärztedichte ist anzumerken, dass die Grundlagen der OECD-Berechnungen von Land zu Land recht unterschiedlich sein können. In Österreich zum Beispiel wurden in der Vergangenheit Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung stets als gleichwertig mitgezählt, obwohl sie noch nicht voll versorgungswirksam sind. In manchen anderen Ländern ist das nicht so. Daraus resultiert die Aussage, Österreich hätte nach Griechenland die „zweithöchste Ärztedichte Europas“.



Eine differenzierte Betrachtung liefert hingegen ein anderes Bild. Erhebt man die Zahlen der zur selbstständigen Berufsausbildung berechtigten Ärztinnen und Ärzte auf der Basis eines Vollzeitäquivalents, so liegen Österreich und Deutschland mit 3,56 bzw. 3,55 pro 1.000 Einwohner gleichauf und nur mehr im europäischen Mittelfeld. In der Schweiz ist diese Zahl mit 3,31 etwas niedriger.

Zählt man nur die Köpfe der zur selbstständigen Berufsausübung berechtigten Ärztinnen und Ärzte ohne Berücksichtigung der von diesen real geleisteten Arbeitszeit, so liegen diese Zahlen für Österreich bei 4,30, für Deutschland bei 4,24 und für die Schweiz bei 3,75. Nur wenn alle Ärztinnen und Ärzte mitgezählt werden, also auch Teilzeitbeschäftigte und in Ausbildung befindliche, kommt es zum Wert von 5,17, der Österreich das Image eines Landes mit besonders hoher Ärztedichte eingebracht hat. Diese Zahl liegt auch deutlich über den Zahlen in Deutschland und der Schweiz. Sie blendet allerdings wesentliche Aspekte aus, die für die verfügbaren Arztkapazitäten letztlich ausschlaggebend sind.

 

Anteil der Über-65-jährigen Ärztinnen und Ärzte deutlich gestiegen

Für einen höheren Ärztebedarf in allen drei Ländern sprechen aber nicht nur die Ärztezahlen, sondern auch eine Reihe aktueller Trends. So nimmt zum Beispiel die Häufigkeit von Teilzeitbeschäftigungen immer mehr zu. Dazu kommt der rasch wachsende Anteil von Ärztinnen und Ärzten im Anstellungsverhältnis, der auch mit dem steigenden Anteil von Ärztinnen in der Gesamtärzteschaft verbunden ist. Hier ist der Trend zur Teilzeitarbeit bzw. Arbeitsunterbrechung aus familiären Gründen besonders hoch, was bei der Planung mitberücksichtigt werden muss.

Ein weiterer für die Beurteilung des künftigen Ärztebedarfs maßgeblicher Faktor ist die Altersstruktur. Der Anteil der Ärztinnen und Ärzte im Alter von mehr als 65 Jahren hat seit dem Jahr 2010 in allen drei untersuchten Ländern klar zugenommen und beträgt inzwischen in Deutschland 54,1 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte und in der Schweiz 54,8 Prozent. In Österreich ist er mit 55,9 Prozent am höchsten. Das bedeutet einen von Jahr zu Jahr zunehmenden Bedarf an zusätzlichen Ärztinnen und Ärzten, wenn das heutige Versorgungsniveau aufrechterhalten werden soll. Vor dieser Herausforderung stehen alle drei untersuchten Länder.

 

Sachlicher Vergleich

Die neue Studie des IGES und des Forschungsinstituts für Freie Berufe ermöglicht einen nüchternen und sachlichen Vergleich zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz. Präzise und belastbare Zahlen sind als Grundlage für sinnvolle gesundheitspolitische Entscheidungen auch dringend nötig – auch für die künftige Bundesregierung, die sich in ihrer Gesundheitspolitik von seriösen Zahlen und Fakten leiten lassen sollte und nicht von Vorurteilen und Ideologien. Aus Sicht der Ärzteschaft ergeben sich mehrere Konsequenzen durch die vorgestellten Studienergebnisse:

Über viele Jahre wurde in den OECD-Statistiken mit Zahlen operiert, die keinen tragfähigen internationalen Vergleich ermöglichten. Das führte zu dem verbreiteten Fehlurteil, Österreich hätte – trotz aller von den Patienten erlebbaren Versorgungengpässen – keine Ärzteknappheit, sondern bloß ein Verteilungsproblem. Dieser Irrtum ist eine der Ursachen von vielen gesundheits- und bildungspolitischen Versäumnissen der vergangenen Jahrzehnte.

Ein Blick auf die Altersverteilung aller österreichischen Ärztinnen und Ärzte (ohne Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung/Turnusärzte) gibt einen Überblick über die Problematik. Es zeigt sich, dass in in Österreich die höchste Alterskonzentration bei Ärztinnen und Ärzten mit einem Lebensalter von 56 bis 58 Jahren besteht. In zehn Jahren werden bereits 37,9 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte, in absoluten Zahlen sind das 14.449 Ärztinnen und Ärzte, dieses Alter erreicht haben. Somit gehen jedes Jahr Stellen verloren, die bei Weitem nicht mit jungen Ärztinnen und Ärzten nachbesetzt werden können, weil die Entwicklung der Ärztezahlen insgesamt deutlich rückläufig ist. Dann gibt es wieder eine – allerdings wesentlich niedrigere – Spitze bei den heute etwa 42-Jährigen, danach geht es nur noch bergab.

 

Niedergelassenen Bereich ausbauen

Ähnlich dramatisch ist die Situation bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, also jener Bereich der Gesundheitsversorgung, der nach den Ankündigungen mehrerer Regierungsprogramme dringend ausgebaut werden müsste, um die Spitäler zu entlasten: In zehn Jahren wird fast jeder zweite heute ordinierende Arzt in Pension sein, und entsprechender Nachwuchs ist nicht in Sicht.

Der mittelfristige jährliche Nachbesetzungsbedarf bei Ärztinnen und Ärzten liegt bei mindestens 1.450 pro Jahr. Das ist die Anzahl zusätzlicher Ärztinnen und Ärzte, die zur Aufrechterhaltung des Status quo benötigt wird, um die pensionsbedingten Abgänge zu kompensieren.



Allerdings sind wir weit davon entfernt, diesen Bedarf auch decken zu können. An den öffentlichen und privaten Universitäten gibt es jährlich etwa 1.400 Absolventen für Humanmedizin, etwa 40 Prozent davon werden nicht in Österreich als Ärztinnen und Ärzte arbeiten. Es gibt also ein reales Potenzial von etwa 840 Absolventen pro Jahr, und das sind um 610 zu wenig, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Die Privatuniversitäten werden aus heutiger Sicht auch in Zukunft diese Differenz nicht kompensieren können, weil diese keine Quoten für Ausländer haben. Hier ist nicht nur die Gesundheitspolitik gefordert, sondern auch die Bildungspolitik und die Spitäler. Es muss bereits bei der Ausbildung angesetzt werden. Dazu gehören neben einem Ausbau der Basisausbildungsstellen auch Ausbildungskoordinatoren in allen Krankenhäusern. Außerdem muss die Allgemeinmedizin in Spitälern strukturell verankert werden.

 

Ärztemangel begegnen

Rezepte gegen den perspektivischen Ärztemangel sind hinlänglich bekannt. In der Schweiz und in Deutschland zum Beispiel werden sie in vielen Bundesländern bereits zügig umgesetzt, und auch die österreichische Politik lässt inzwischen Problembewusstsein erkennen und reagiert auf die bedrohlichen Entwicklungen. Welche Möglichkeiten gibt es? Man kann die Zahl der Medizinstudenten erhöhen und/oder Landarztstipendien vergeben: Wer eines bekommt, verpflichtet sich, nach Abschluss des Studiums einige Jahre in der jeweiligen Region zu arbeiten.

Außerdem können Spitäler Stipendien vergeben, wenn Studierende nach dem Studium eine Zeitlang dort arbeiten – in Deutschland gibt es das bereits. Das Land Niederösterreich hat für Absolventen der Humanmedizin an der Universität Krems einen Kreditzuschuss für den Fall vorgesehen, dass die Absolventen in einer Krankenanstalt des Landes Niederösterreich oder als niedergelassene Ärztinnen und Ärzte für die Dauer der Kreditrückzahlung in Niederösterreich tätig sind. Und schließlich könnten Jungärzte von ländlichen Regionen mit Geld und attraktiven Zusatzleistungen geködert werden.

Zentral ist allerdings, die Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit in Österreich so attraktiv zu gestalten, dass Jungärzte nicht abwandern. Hier geht es nicht nur um entsprechende Honorare, sondern auch um flexible Verträge und Arbeitsbedingungen, die den jeweiligen individuellen Vorstellungen entsprechen. Der Trend zur Gruppenpraxis, sowohl innerhalb eines Fachs als auch fächerübergreifend, ist hier unübersehbar und auch für die Versorgung der Zukunft besonders wichtig. Was die ärztliche Tätigkeit betrifft, stehen heute Länder und Gesundheitssysteme in einem internationalen Wettbewerb. Österreich darf nicht hinter das Niveau anderer Länder zurückfallen, wenn man Absolventen im Land behalten und für Ärztinnen und Ärzte aus anderen Ländern attraktiv werden möchte.

 

Niedergelassener Versorgungsbereich in Österreich abgeschlagen

Die Ergebnisse der Dreiländer-Untersuchung zeigen auch sehr deutlich auf, dass in Österreich der niedergelassene Versorgungsbereich besonders stark hinter den Krankenhausbereich zurückfällt, der für 44 Prozent aller Gesundheitsausgaben verantwortlich ist. Tatsächlich könnten viele Leistungen, die jetzt in Spitälern erbracht werden, auch von niedergelassenen Ärzten wahrgenommen werden. Das ist nicht nur für das Gesundheitssystem preiswerter, sondern auch patientenfreundlicher, weil eine wohnortnahe Versorgung in der Arztpraxis oft der „Best point of service“ ist. Dazu ist es allerdings erforderlich, dass im niedergelassenen Bereich die ärztlichen Kapazitäten zur Verfügung stehen.

Damit künftig mehr Leistungen im niedergelassenen Bereich angeboten werden können, muss der niedergelassene ärztliche Bereich zügig und massiv ausgebaut werden, und es ist eine Ausweitung des Leistungsspektrums in der Kassenmedizin erforderlich. Diesbezüglich fordert die Ärztekammer 1.300 zusätzliche Kassenärzten österreichweit. Unabhängig von tatsächlich realisierten Einsparungen oder Mehrkosten durch die Schaffung der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fordert die Ärztekammer auch wiederholt die von der Politik angekündigte Patientenmilliarde.

 

Aufholbedarf der öffentlichen Gesundheitsausgaben in Österreich

Der Dreiländervergleich zeigt aber auch, dass in Österreich die Gesundheitsausgaben mit 10,33 Prozent des BIP gegenüber Deutschland (11,23) und der Schweiz (12,18 Prozent) zurückfallen. Die Ärztekammer fordert deshalb von der nächsten Bundesregierung eine Anhebung der Ausgaben für das Gesundheitswesen auf 12 Prozent des BIP, damit das österreichische Gesundheitssystem mit dem der beiden Nachbarländer Schritt halten kann und nicht zurückfällt.

Quelle: Ärztekammer für Wien

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