Freitag, April 19, 2024

Medikamentöse Behandlung bei gestörter Schilddrüsenfunktion

Behandlung bei gestörter Schilddrüsenfunktion: praktisches Vorgehen bei Latenter und Manifester Hypothyreose sowie bei Morbus Basedow.

Eine Reihe von Erkrankungen kann eine gestörte Schilddrüsenfunktion beeinflussen. Beispiele dafür sind Infektionen / Entzündungen, Autoimmunkrankheiten – Morbus Basedow oder die Hashimoto-Thyreoiditis –, Kropf oder Struma – Vergrößerungen der Schilddrüse sowie kanzerogene Erkrankungen der Schilddrüse aber auch bei Hirntumoren.

 

Latent gestörte Schilddrüsenfunktion: Latente Hypothyreose

Unter dem Begriff latente Hypothyreose (im angelsächsischen Sprachraum »subclinical«) wird ein Patientenkollektiv mit äußerst unspezifischen Beschwerden zusammengefasst, das sich symptomatisch nicht von euthyroten Individuen unterscheidet, wohl aber im klinischen Kontrollbereich. Das heißt eine TSH-Erhöhung bei normaler fT4 Konzentration (TSH meist unter 10 mU/L). Die amerikanische NHANES III Studie gibt eine Prävalenz von 10% bei Frauen und 4% bei Männern über 60 Jahren in der Allgemeinbevölkerung an.

Therapieempfehlung: Ein Expertengremium (Surks et al. 2004) gibt zur Therapie latenter Störungen der Schilddrüsenfunktion folgende Empfehlungen ab, die sich mit dem Vorgehen an unserer Abteilung decken:

  • Ab TSH Werten > 10 mU/L sollten latente Hypothyreosen behandelt werden, da bei diesem Wert Cholesterin, LDL-Cholesterin sowie das Risiko einer Progression zu einer manifesten Hypothyreose eindeutig erhöht sind. Die Bestimmung von Schilddrüsenautoantikörpern zur Risikostratifizierung ist bei diesem Wert nicht indiziert.
  • Bei TSH < 10 U/mL und subjektiver Symptomatik ist die Gabe von Thyroxin ein Versuch mit einer kleinen Chance auf Verbesserung, die mit dem Wohlbefinden der Patienten und den potenziellen Risken der Therapie abzugleichen ist, da aufgrund der Häufigkeit inadäquater Therapien mit Thyroxin (T4) die potenziellen Nebenwirkungen in die Therapieentscheidung miteinbezogen werden müssen! (siehe weiter unten).
  • Während einer Schwangerschaft ist die Behandlung einer latenten Hypothyreose zu empfehlen.
  • Untersuchungen zeigten auch, dass sehr alte Menschen nicht nur keine Symptome zeigen, sondern dass damit oft sogar eine verlängerte Lebenserwartung einhergeht.

 

Manifeste Hypothyreose

Von einer manifesten Hypothyreose sind 0,1–1% der Bevölkerung betroffen. Eine Therapieindikation ist bei persistierender Hypothyreose prinzipiell gegeben.

  • T4 oder Kombination T4/T3: Die Prohormonwirkung von T4 sorgt dafür, dass der Körper die Produktion des aktiven T3 selbst physiologisch steuert. Allerdings zeigten auch ideal mit T4 eingestellte Patienten in einer Fall-kontrollierten Studie eine niedrigere Lebensqualität. Erste Euphorien dass eine T3/T4-Kombination (Studienwirkstoffe – Kombination nicht am Markt erhältlich) die Lebensqualität der Patienten verbessert, ließen sich jedoch bislang nicht bestätigen. Es liegen 4 randomisierte Studien vor, allerdings zeigt eine Studie, dass die Patienten diese Therapie subjektiv präferierten. Die Studien schließen einen Effekt der Kombination (in Form einer retardierten Galenik, niedrige T3 Dosis) vor allem bei thyreoidektomierten Patienten nicht aus!
  • Trotz der Häufigkeit der Einnahme von Thyroxin wird die therapeutische Breite zu wenig berück­sichtigt. Das spiegelt sich in der extrem hohen Rate an über- (21%) oder untertherapierten (19%) Patienten wieder (Colorado Thyroid Disease Prevalence Study).

Die Gründe für diese insuffiziente Substitutionstherapie bei gestörter Schilddrüsenfunktion sind einerseits beim Patienten zu suchen, andererseits beim behandelnden Arzt. Die häufigsten Faktoren der ­Patientenincompliance:

  • Unregelmäßige Einnahme
  • die Einnahme in anderer Dosis als vorgeschrieben
  • die Einnahme erfolgt nicht nüchtern

Die häufigsten Faktoren seitens des behandelnden Arztes sind Nichtbeachtung:

  • der Medikamenteneffekte wie Resorptionshemmung durch Kalzium-, Aluminiumhydroxid, Eisen (II)- Präparate, Cholestyramin, Sucralfat
  • des Mehrbedarfs während der Schwangerschaft, bei der Einnahme von Östrogenpräparaten oder Raloxifen und bei Gewichtszunahme
  • des verminderten Bedarfs bei Gewichtsabnahme oder zunehmendem Lebensalter

 

Praktisches Vorgehen bei der Thyroxintherapie

Aufgrund der langen Halbwertszeit (7 Tage) genügt die einmal tägliche Einnahme, morgens nüchtern (in Ausnahmefällen vor dem zu Bett gehen). Der Vollsubstitutionsbedarf (funktionell keine Schilddrüse) beträgt etwa 1,7 μg/kg KG/die, daher im Durchschnitt bei Frauen 0,1 mg/die und bei Männern 0,15 mg/die.

Schilddrüsenfunktion

Bei der Behandlung von Kindern ist einem viel höheren Hormonbedarf Rechnung zu tragen, ebenso wie dem erhöhten Bedarf während einer Schwangerschaft; wohingegen bei latenter Hypothyreose ein geringerer Hormonbedarf besteht, ebenso wie bei höherem Lebensalter, da ab dem 60. Lebensjahr der Bedarf abnimmt (20–30%).

Die Therapie sollte schonend gestartet werden. Patienten unter 50 Jahren, ohne Beschwerden und ohne Bestehen einer koronaren Herzkrankheit in der Anamnese, können unter Umständen mit der vollen Dosis beginnen. Allerdings ist auch hier ein langsamer Einstieg mit 50μg über 1–2 Wochen, mit anschliessender Dosissteigerung, empfehlenswert. Die Anfangsdosis beträgt bei bestehender koronarer Herzkrankheit, sowie bei langdauernder Hypothyreose 25 μg/die. Wobei man diese Dosis nach 2 bis 4 Wochen um jeweils 25 μg – bis zum Erreichen der optimalen Dosis – steigern sollte. Hingegen sollte man bei Auftreten von Beschwerden die Dosis reduzieren.

Bei älteren Personen kann mit 50 μg/Tag über 2–4 Wochen begonnen werden, bevor auf die volle Dosis umgestiegen wird. Wenn das TSH außerhalb des Zielbereiches von 0,5–2,5 mU/L liegt, sollte die tägliche Dosis in Schritten von 12,5 bis 25 μg/die geändert werden; eine neuerliche TSH-Kontrolle nach 6–8 Wochen ist indiziert.

 

Latente Hyperthyreose

Die Verfügbarkeit empfindlicher TSH-Bestimmungsmethoden generierte in der Mitte der 80er Jahre ein neues Krankheitsbild: die latente Hyperthyreose (normales fT4 und fT3, TSH< 0,1 mU/L). Leider besteht bei dieser Definition kein Konsens, so wird auch schon ein TSH-Wert unterhalb des Normbereichs (v.a. im amerikanischen Schrifttum) für die Diagnose latente Hyperthyreose herangezogen (analog zur Definition der latenten Hypothyreose). Die amerikanische NHANES III Studie gibt eine Prävalenz von 0,2% in der Allgemeinbevölkerung an (TSH<0,1 mU/L).

Sofern die Individuen nicht an einer diffusen oder knotigen Struma oder an einem Vorhofflimmern leiden, unterscheiden sie sich nicht von einem euthyreoten Kollektiv, wohl aber als Kollektiv insgesamt. Seit der Sawin-Studie 1994 an der Framingham Kohorte ist ein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern bekannt – die Studie zeigt bei niedrigem (nicht supprimiertem) TSH ein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern auf.

Eine österreichische Arbeitsgruppe beschrieb 2001 sogar ein gleich hohes Risiko bei TSH < 0,4 mU/L wie bei manifester Hyperthyreose, wobei unter gelungener Therapie bei etwa 20% der sowohl manifest als auch latent Hyperthyreoten ein Konvertieren in den Sinusrhythmus zu beobachten war. Aufgrund der Auswirkungen auf Skelett und Herz (v.a. Risiko für Vorhofflimmern) ist lt. Expertenkomitee bei latenter Hyperthyreose (TSH < 0,1 mU/L) eine Therapie in Erwägung zu ziehen. Allerdings existieren teilweise unterschiedliche Expertenmeinungen.

 

Manifeste Hyperthyreose

Im Falle der Bestätigung einer Hyperthyreose, muss nach der Ursache gesucht werden. An unserer Abteilung wird in unklaren Fällen zur DD von destruktiven Thyreoiditiden wie silent bzw. subakute Thyreoiditis von Formen mit Mehrproduktion von Schilddrüsenhormonen, immer eine Schilddrüsenszintigraphie durchgeführt. Im letzteren Fall liegt fast immer ein Morbus Basedow oder eine Form der Schilddrüsenautonomie (autonomes Adenom oder toxische multinoduläre Struma) vor.

Das therapeutische Ziel ist die Erreichung der Euthyreose mittels Thionamidtherapie (binnen 2–8 Wochen):

  • zur Erreichung einer Remission
  • vor einer Radiojodtherapie
  • vor der Operation

Die Symptome wie Herzklopfen, Tachykardie, Zittern, Schwitzen, Angst und Hitzeintoleranz werden durch Blockade des erhöhten Sympathikotonus, mittels Betablocker erreicht. (z.B. Atenolol 25 od. 50 mg 1 x 1, Bisoprolol 1,25 od. 2,5 mg) Im Falle einer latenten oder nur grenzwertigen Hyperthyreose kann bei Vorliegen einer Autonomie primär eine Radiojodtherapie geplant werden, während in manchen Ländern bei Hyperthyreose Typ Basedow primär ein medikamentöser Therapieversuch durchgeführt wird.

 

Morbus Basedow – Praktisches vorgehen bei dieser Störung der Schilddrüsenfunktion

An verschiedenen Ambulanzen wird bei schwerer Hyperthyreose in der ersten Woche mit drei Tabletten Methimazol/d, in der zweiten Woche zwei Tabletten/d, ab der dritten Woche eine Tablette/d begonnen. Nach drei Wochen erfolgt eine Laborkontrolle (T3, T4, TSH, Neutrophilenzahl, TSH anfangs supprimiert!), dann Dosistitration nach den Schilddrüsenhormonwerten alle drei bis acht Wochen bis zum Erreichen der Erhaltungstherapiedosis von 1/2 Tablette, d.h. 10 mg alle drei Tage.

Aufgrund der Pharmakokinetik und der lediglich als 20 mg-Tabletten erhältlichen Galenik wird Prothiucil nur bei Favistan-­Unverträglichkeit, sowie gelegentlich während der Schwangerschaft und Stillperiode verwendet. Nach 12 Monaten wird die thyreostatische Therapie abgesetzt und nach drei Wochen, dann in zunehmend längeren Intervallen Laborkontrollen durchgeführt.

Bei stationären Patienten werden häufiger schwere Augenerkrankungen behandelt und auch öfter chirurgisch interveniert, wie unlängst Forscher zeigen konnten. Dies könnte an der hochqualifizierten chirurgischen sowie augenärztlichen Betreuung liegen.

 

Nebenwirkungen

Die häufigste Nebenwirkung einer thyreostatischen Therapie ist die Gewichtszunahme. Patienten sind unbedingt auf die Möglichkeit des Auftretens einer Agranulozytose (in 0,2–0,5% aller Behandlungen) hinzuweisen. Diese Nebenwirkung kann schon bei der ersten Einnahme und bei jeder Dosis auftreten, wird jedoch mit höheren Dosen häufiger. Man sollte daher die niedrigst-mögliche Dosis wählen.

Prinzipiell tritt die Agranulozytose sehr rasch auf, bei über 40-jährigen häufiger, öfter in den ersten 3 Monaten, und äußert sich klinisch durch Fieber, meist mit Halsschmerzen. Auch das Auftreten von einem zwar lästigen, jedoch harmlosen Juckreiz ist zu beobachten, der durch Antihistaminika meist gut zu beherrschen ist. In diesem Fall pausieren die Patienten mit Favistan und eine sofortige Blutbildkontrolle wird durchführt.

 

Remission

Die Chance auf eine Remission bei Morbus Basedow beträgt etwa 50%. Nichtrauchende Frauen über 40, mit kleiner Schilddrüse, milder Hyperthyreose, hohen TPO-AK- und negativen TSH-R-AK-Titern, längerer Therapiedauer (mindestens 12 Monate) liegen prognostisch günstiger, wobei die einzelnen Faktoren nur einen geringen prädiktiven Wert beinhalten. Wenn eine Remission bzw. ein frühes Rezidiv ausbleibt, kann der Arzt einen zweiten medikamentösen Versuch starten – allerdings mit geringen Erfolgsaussichten. Daher empfehlen Spezialisten meist eine definitive Therapie mit Strumektomie oder Radiojodtherapie.

Bei Autonomien ist keine Remission zu erwarten. Spezialisten empfehlen bei peripherer Euthyreose (TSH kann noch supprimiert sein) eine Radiojodtherapie, bzw. eine Strumektomie; bei großer Struma oder Malignitätsverdacht ist primär eine Operation angezeigt. An unserer Institution wird Patienten mit latenter Hyperthyreose (TSH < 0,1 mU/L) und Vorliegen einer Autonomie – sowie fortgeschrittenem Lebensalter – eine Radiojodtherapie empfohlen. Dieses Vorgehen wird durch das hohe Risiko für Vorhofflimmern sowie durch das Osteoporoserisiko begründet. Bei jüngeren Patienten mit M. Basedow empfehlen Experten primär ein beobachtendes Vorgehen.


Literatur:

Lanas et al. Clinical features of patients with Basedow Graves disease seen at a university hospital. Rev Med Chil. 2017 Apr;145(4):436-440. doi: 10.4067/S0034-98872017000400003.

Stabouli S, Papakatsika S, Kotsis V. Hypothyroidism and hypertension. Expert Rev Cardiovasc Ther. 2010 Nov;8(11):1559-65. doi: 10.1586/erc.10.141. PMID: 21090931.


Quelle: Medikation bei gestörter Schilddrüsenfunktion. Univ.-Prof. Dr. Alois Gessl. MEDMIX 7-8/2005.

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