Samstag, April 20, 2024

Geruchssinn und Geschmackssinn im Fokus

Geruchssinn und Geschmackssinn des Menschen sind hoch entwickelte Sinneskanäle, die entscheidend zu Wohlbefinden und Gesundheit beitragen.

Früheren Annahmen, dass der Geruchssinn des Menschen eingeschränkt wären, konnten in jüngster Zeit widerlegt werden. Im Gegensatz dazu zeigen neueste Studienergebnisse, dass sowohl der menschliche Geruchssinn als auch der Geschmackssinn sehr gut ausgebildete Sinneskanäle darstellen, die auch entscheidend zu Wohlbefinden und Gesundheit beitragen.

 

Nobelpreis 2004 stellt den Geruchssinn ins Rampenlicht

Erstmals trat der menschliche Geruchssinn ins Interesse der breiten Öffentlichkeit als 2004 der Nobelpreis für Medizin an die Forscher Linda Buck und Richard Axel verliehen wurde. Sie beschrieben mehr als 10 Jahre zuvor die molekularen Grundlagen für die Geruchswahrnehmung. [1] Beim Menschen entscheidet die Kombination aus einer Anzahl von etwa 350 Geruchsrezeptoren über das „Geruchsbild“ der wahrgenommenen Duftstoffe. Mehr als ein Prozent des gesamten Genoms ist für die Codierung der Geruchsrezeptoren zuständig.

Aus dieser Anzahl an Rezeptoren wurde in einer aktuellen Arbeit des Wissenschaftsmagazins Science die Anzahl an theoretisch unterscheidbaren Duftstoffen aus einer Versuchsreihe mit Probanden ermittelt.[2] Dabei ergab sich die erstaunliche Anzahl von mehr als Tausend Milliarden (!) vom Menschen unterscheidbarer Duftstoffe. Die Bedeutung des menschlichen Geruchssinns ergibt sich nicht nur aus der Beeinflussung der Lebensqualität oder der Wahrnehmung von Gefahren (Feuer, austretendes Gas, verdorbene Lebensmittel), sondern auch in einer möglicherweise direkten Beeinflussung der Mortalität. Eine neue Langzeit-Studie konnte zeigen, dass ein verringertes Riechvermögen zu einer direkten und von anderen Faktoren unabhängigen Abnahme des Gesamtüberlebens führt. [3]

Diese Untersuchung legt außerdem den Schluss nahe, dass der Geruchssinn als Marker für die Regenerationskapazität des menschlichen Organismus herangezogen werden kann.

 

Menschlicher Geruchssinn beschleunigt Regeneration

Ein unlängst durchgeführte Analyse dementsprechender Publikationen verdeutlichte die wissenschaftshistorischen Hintergründe zu der widerlegbaren Unterlegenheit des menschlichen Geruchssinns und die tatsächliche Leistungsfähigkeit auf anatomischer und physiologischer Basis. [4] Ausgehend von einer falsch interpretierten Klassifikation von Broca und den Ansichten Freuds konnte sich lange Zeit die irrige Annahme des unterentwickelten menschlichen Riechvermögens halten und ist auch heute noch weit verbreitet.

Die Wahrnehmung beim Essen und Trinken (engl., flavor- Feingeschmack) beruht beim Menschen auf einer hoch entwickelten kognitiven Leistung mit Integration aller Sinne. [5] Allein die chemischen Sinne tragen mit vier unterscheidbaren Wahrnehmungskanälen dazu bei (orthonales und retronasales Riechen, Schmecken, trigeminale Wahrnehmung).

Die Leistungsfähigkeit und Plastizität des menschlichen Geruchssinns wird auch therapeutisch im Rahmen des standardisierten Riechtrainings genutzt. Dabei zeigen neue Studien die beschleunigte Regeneration bei Patienten mit Anosmie (verlorenes Riechvermögen) und Hyposmie (vermindertes Riechvermögen) bei zumindest zweimal täglichem Training mit vier Duftstoffen. [6]

 

Immunabwehr ist auch eine Frage des Geschmacks

Auf dem Gebiet der Gustologie (Geschmacksforschung) wurde vor längerer Zeit die schon vor über hundert Jahren vom japanischen Forscher Ikeda erstbeschriebene fünfte Geschmacksqualität umami (Glutamat) molekularbiologisch in Form spezifischer Rezeptoren nachgewiesen. In den letzten Jahren tritt nun abermals der Geschmackssinn in den Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses. Die Gruppe um Noam Cohen aus Philadelphia konnte die Expression von Geschmacksrezeptoren auf Zellen der Nasenschleimhaut und deren Bedeutung in der Abwehr von Bakterienprodukten zeigen.[7] Eigene erste Forschungsergebnisse mit den in Erlangen entwickelten Schmeckstreifen konnten klinisch messbare Unterschiede im Schmeckvermögen von Patienten mit und ohne chronischer Nasennebenhöhlenentzündung zeigen.[8]

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sowohl der menschliche Geruchs- als auch Geschmackssinn hoch entwickelte Sinneskanäle darstellen, die entscheidend zu Wohlbefinden und Gesundheit beitragen.

Quelle: »Geruchs- und Geschmackssinn, neu erforscht« Statement Assoc. Prof. PD Dr. Christian Müller, Leiter der Ambulanz für Allergie, Riech- und Schmeckstörungen Univ.-HNO-Klinik, Medizinische Universität Wien anlässlich des 61. Jahreskongresses der Österreichischen HNO-Gesellschaft.

[1] Buck and Axel. Cell 1991;65:175-87.
[2] Bushdid et al. Science 2014;343:1370-2.
[3] Pinto et al. PLoS One 2014;9:e107541.
[4] McGann. Science 2017;356(6338).
[5] Shepherd. OUP 2012: Neurogastronomy.
[6] Damm et al. Laryngoscope 2014;124:826-31.
[7] Cohen and Lee. Scientific American 2016(2):314-43.
[8] Wolf et al. Gustatory function in patients with chronic sinusitis, in preparation.

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