Dienstag, April 16, 2024

Genetische Ursache für Polyneuropathie entschlüsselt

Angeborene Genmutationen könnten eine genetische Ursache für eine schwere Polyneuropathie bei älteren Erwachsenen mit Gehunfähigkeit sein.

Angeborene Genmutationen lassen eine genetische Ursache für Polyneuropathie vermuten. Denn das führt dazu, dass Betroffene in höherem Lebensalter mit Polyneuropathie Gefühlsstörungen und Schmerzen entwickeln. Als Polyneuropathie bezeichnet man bekanntlich eine schwere Nervenerkrankung des peripheren Nervensystems.



Die Polyneuropathie kann rasch fortschreiten und bis hin zur Gehunfähigkeit mit Rollstuhlabhängigkeit führen. Das betroffene Gen wurde nun von einem internationalen Forscherteam unter Führung der Medizinischen Universität Wien und der Universität München identifiziert.

 

Polyneuropathie und verminderte Enzymaktivität

Genmutationen führen zu einem Enzymmangel, der wahrscheinlich Ursache für die Nervenschädigung bei Polyneuropathie ist. Der Ausgleich der verminderten Enzymaktivität könnte in Zukunft einen neuartigen Therapieansatz darstellen, durch den die Erkrankung gestoppt werden könnte.

Eine Polyneuropathie kommt bei 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung und bei 7 Prozent der über 65-Jährigen vor, die Ursache bleibt derzeit noch in bis zu 50 Prozent der Betroffenen unklar. Und es steht für diese PatientInnengruppe bisher keine kausale Therapie zur Verfügung.

Ausgangspunkt dieser Entdeckung waren drei nicht miteinander verwandte österreichische Familien, in denen mehrere Familienmitglieder zwischen dem 55. und 80. Lebensjahr zunächst Gefühlsstörungen und Missempfindungen in den Zehen bemerkten, die sich innerhalb weniger Monate bis Jahre bis hin zu den Knien ausbreiteten. Hinzu kamen oft Schmerzen und auch eine relativ rasch fortschreitende Muskelschwäche beim Anheben der Zehen und Füße.

Nach einigen Jahren war freies Gehen oft nicht mehr möglich. Trotz umfassender Untersuchungen konnte die Forschung die Ursache für die Polyneuropathie zunächst nicht klären.

 

MME-Gen für das Enzym Neprilysin verantwortlich

Einige PatientInnen wurden wegen der raschen Verschlechterung der Symptome zunächst mit ungeeigneten Medikamenten behandelt, die keine Besserung, aber oft erhebliche Nebenwirkungen hervorriefen.

Aufgrund des schlechten Ansprechens auf entzündungshemmende Medikamente, aber auch wegen der familiären Häufung der Polyneuropathie, vermuteten wir schließlich eine genetische Ursache, auch wenn der späte Krankheitsbeginn für vererbte Polyneuropathien eher untypisch erschien.



Eine Analyse des gesamten Exoms der PatientInnen, also aller Abschnitte der Erbsubstanz, die Proteine verschlüsseln, ergab dann in allen drei Familien eine schwerwiegende genetische Abweichung im MME-Gen, das für die Bildung des Enzyms Neprilysin verantwortlich ist.

Schließlich testete man das MME-Gen dann bei weiteren PatientInnen. Nach Einbeziehung weiterer europäischer und amerikanischer Forscher konnte man Mutationen bei 28 PatientInnen aus 19 Familien identifizieren.

Eine weitere Bestätigung dieser Forschungsergebnisse lieferten dann die Resultate der Messungen des Enzyms Neprilysin im Blut- und Fettgewebe, die bei PatientInnen signifikant niedriger waren als bei Kontrollpersonen. Eine zusätzliche Studie aus Japan, die ebenfalls schwere Polyneuropathien bei völligem Fehlen des Enzyms Neprilysin beschreibt, bestätigte die Studienergebnisse der Wiener und Münchener Arbeitsgruppen.

 

Schwere Polyneuropathie durch Mangel an Neprilysin

Die Entdeckung der Ursache der Polyneuropathie ermöglicht die gezielte genetische Diagnostik und Beratung betroffener PatientInnen und ihrer Familien. So sollen zukünftig nicht wirksame, aber durch unerwünschte Nebenwirkungen belastende Therapien vermieden werden.

Wenn weitere Studien bestätigen, dass der Mangel an Neprilysin zur Entstehung der Polyneuropathie führt, gibt es berechtigte Hoffnung, dass auch bald eine wirksame Therapie entwickelt werden kann. Entweder durch Enzymersatz oder mit Wirkstoffen, von denen bereits bekannt ist, dass sie den Neprilysin-Spiegel erhöhen.

Weitere epidemiologische Untersuchungen von PatientInnen mit unklaren Polyneuropathien sollen zeigen, ob Mutationen im MME-Gen auch bei sporadischem (nicht familiär gehäuftem) Auftreten von Polyneuropathien eine Rolle spielen.

Eine Polyneuropathie ab dem 50. Lebensjahr ist häufig, aber nur bei ca. 50 Prozent kann derzeit die Ursache geklärt und eine entsprechende Therapie eingeleitet werden. Die Forscher hoffen, dass zukünftig ein MME-/Neprilysin-Schnelltest zur raschen Diagnose führen kann. Und dass das auch die Entwicklung einer Therapie beschleunigt.




Literatur:

Auer-Grumbach M, Toegel S, Schabhüttl M, Weinmann D, Chiari C, Bennett DLH, Beetz C, Klein D, Andersen PM, Böhme I, Fink-Puches R, Gonzalez M, Harms MB, Motley W, Reilly MM, Renner W, Rudnik-Schöneborn S, Schlotter-Weigel B, Themistocleous AC, Weishaupt JH, Ludolph AC, Wieland T, Tao F, Abreu L, Windhager R, Zitzelsberger M, Strom TM, Walther T, Scherer SS, Züchner S, Martini R, Senderek J. Rare Variants in MME, Encoding Metalloprotease Neprilysin, Are Linked to Late-Onset Autosomal-Dominant Axonal Polyneuropathies. Am J Hum Genet. 2016 Sep 1;99(3):607-623. doi: 10.1016/j.ajhg.2016.07.008. PMID: 27588448; PMCID: PMC5011077.

Quelle:

www.meduniwien.ac.at/

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