Freitag, März 29, 2024

Madentherapie zur Wundheilung: Fliegenmaden zur Behandlung von Wunden

Die von Fliegenmaden abgegebenen Sekrete können chronische Wunden heilen, diese Madentherapie ist schon seit sehr langer Zeit den Menschen bekannt.

Die Geschichte der Madentherapie mit Fliegenmaden zur Wundheilung – auch zur Behandlung von chronischen Wunde – reicht sehr weit in die Vergangenheit. Australische Abrigines, die Mayas sowie weitere Naturvölker verwendeten die Madentherapie zur Wundbehandlung.

Der französische Militärarzt Ambroise Parre – gelebt von 1510 bis 1590 – berichtete zwar negativ über eine explosionsartige Vermehrung von Schmeißfliegen auf den Schlachtfeldern und deren zerstörerische Maden. Er beobachtete aber auch, dass die von Fliegenmaden befallene Wunden besser heilten.

John Forney Zacharias, amerikanischer Chirurg auf Seiten der Konföderierten Armee, setze als einer der ersten im 19. Jahrhundert bewusst Fliegenmaden zur Behandlung von Wunden ein.

Im ersten Weltkrieg bestand großer Mangel an antiseptischen Mittel, wodurch die Sterblichkeitsrate der Soldaten auf 70% anstieg. Dr. William Baer erkannte bei zwei Soldaten, die schon 7 Tage auf dem Schlachtfeld gelegen hatten und deren Wunden von zahllosen Maden befallen waren, dass nach dem entfernen der Maden aus den Wunden, gut durchblutetes Gewebe zum Vorschein kam.

1931 veröffentlichte Baer – mittlerweile Professor an der John Hopkins Universität – eine weltweit anerkannte Publikation zu Fliegenmaden zur Behandlung von Wunden, in der er die intentionelle Infestation von infizierten Wunden mit eigens dafür gezüchteten Fliegenmaden propagierte. Heute verfügbare Bioanalytik-Technologien lassen die Entschlüsselung der von den Maden abgegebenen Sekrete und deren Effekt auf die Wundheilung nun näher rücken.



Wirkung der Wundheilung von Fliegenmaden gegen Wunden

Die Madentherapie mit ihrer bakteriziden und die Wundheilung fördernden Wirkung der Larven war vor der Entwicklung der Antibiotika von großer Bedeutung. Damals wurden sterile Fliegenmaden unter dem Namen »Surgical Maggots Lederle« vertrieben. Die zweite große Publikationswelle, die Anfang der 1990er-Jahre des letzten Jahrhunderts begann, hält bis heute an. Weltweit arbeiten eingeschworene Fans der Methode – Biologen und Mediziner – an der Aufklärung des Wirkmechanismus, der Bakterien verschwinden lässt und die Herstellung von Granulationsgewebe fördert.

 

Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Madentherapie eine Zukunft im Bereich der Wundversorgung haben könnte

Wollina et al. (2000) fanden bereits nach 3 bis 5 Tagen Madentherapie bei chronischen Ulzera cruris verschiedener Genese eine signifikante Verbesserung des Wund-Scores. Die Wundsekretion wurde gesteigert, das Laser-Remissionsspektrum zeigte eine bessere Oxygenierung des Gewebes und eine Abnahme des Ödems. Biosurgery sei eine schnelle und effektive Behandlungsmethode für chronische Wunden, mit höherer Selektivität und weniger Nebenwirkungen als mechanisches Debridement, reüssierten die Studienautoren.

Mumcuoglu (2000 a) berichtete von ­einem erfolgreichen Debridement bei etwa 95% der 97 behandelten Patienten mit bis dahin therapieresistenten Wunden bei unterschiedlichsten Grund­erkrankungen. Der oft üble Geruch der infizierten Wunden besserte sich zusammen mit den Schmerzen im Verlauf der Therapie.

In einer weiteren Studie (Mumcuoglu et al. 2000 b) konnte der Parasitologe aus Israel zeigen, dass nicht nur die von den Maden abgegebenen Sekrete bakterizid wirkt, sondern auch GFP-produzierende Escherichi coli im Verdauungstrakt der Maden zu über 80% abgetötet werden.

In einer In-vitro-Studie (Mumcuoglu 2000c) zeigte sich, dass Fliegenmaden selbst offensichtlich spezielle Zytokine (IFNγ und IL-10 wurden nachgewiesen) sezernieren – ein weiterer Faktor, der zur schnellen Granulationsgewebsbildung in den vorher statischen Wunden beitragen könnte.

 

Fliegenmaden-Anwendung

Die Lieferung der Fliegenmaden nach Bestellung dauert etwa 1 bis 2 Tage. Idealerweise kommen die Maden sofort nach Erhalt zum Einsatz. Eine Lagerung im Kühlschrank ist prinzipiell für maximal zweit Tage möglich, die Überlebensfähigkeit der Maden und deren therapeutisches Potenzial wird dadurch aber eingeschränkt. Eine ambulante Behandlung ist bei fachmännisch angebrachtem Verband und genauer Instruktion des Patienten jederzeit möglich.

 



Anwendungsgebiete der Madentherapie mit Fliegenmaden zur Wundheilung und der Wirkmechanismus gegen Wunden

Die aussichtsreichen Anwendungsgebiete für die sogenannte Biochirurgie mit Fliegenmaden sind vor allem diabetische Wunden, Dekubitalulzerationen sowie akute posttraumatische und post­operative Wundinfektionen. Die heterogene Gruppe der Ulzera cruris spricht – aufgrund ihrer komplexen Genese – am besten auf eine polypragmatische Therapie an. Die schlechtesten Ergebnisse sind bei PAVK im Stadium 4 zu erwarten, da hier die trophischen Verhältnisse eine Heilung oft unmöglich machen.

Hauptmechanismen der Madentherapie mit Fliegenmaden gegen chronische Wunden


 1. Wund-Debridemen

  • Extrakorporale Verdauung der Larven durch proteolytische Enzyme (Kollagenase und Trypsin und Chymotrypsin ähnliche Enzyme)
  • Mechanisches »Abkratzen« der Nekrosen durch den Mundhaken und die feinen Hakenkränze der Larven.

2. Antimikrobielle Aktivität der Larven

  • Durch starke Zunahme der Wundsekretion entsteht ein »Spüleffekt«.
  • Larven sezernieren Ammoniak, Calcium-Bicarbonat (evtl. Stimulation der Phagocytose)
  • Der pH-Wert der Wunde steigt unter Madentherapie an.
  • Im Verdauungstrakt der Larven (pH-Wert 2–3) werden Bakterien in großer Zahl abgetötet.
  • Proteus mirabilis produziert als Komensale im Intestinaltrakt der Larven* Substanzen, die im sauren Milieu eine bakterizide Wirkung auf grampos. und gramneg. Erreger besitzen. (* Da sterile Larven zur Anwendung gelangen, müssen sie Proteus aus ihrer Umgebung aufnehmen.)
  • Zwei dieser Substanzen wurden als Phenylessigsäure und Phenylacetaldehyd identifiziert. · Madensekret zeigt in vitro starke Wirkung gegen MRSA und pathogene Streptococcus sp.
  • Aktivierung von Neutrophilen und CD4+ T-Helfer Zellen (beim Schaf nachgewiesen)
  • Defensine der Larven wirken evtl. auch im Verdauungstrakt (ähnlich Komplementsystem)

 


3. Stimulation der Wundheilung mit der Madentherapie

  • Durch mechanische Reizung des Wundgewebes
  • Allantoin, Harnstoff und Ammonium-Bicarbonat im Madensekret
  • Hämolymphextrakte und Sekrete der Maden stimulieren Fibroblastenkulturen in vitro.
  • 20-Hydroxyecdyson, ein Häutungshormon der Insekten stimuliert ebenfalls das Wachstum von Fibroblastenkulturen in vitro.
  • Allgemeine Aktivierung des Immunsystems

Der positive Einfluss der Fliegenmaden auf akute infizierte und chronische Wunden dürfte durch eine große Zahl von Faktoren entstehen, die zum Teil synergis­tisch wirken. Die drei Hauptmechanismen umfassen Debridement der Wunde (Nekrolyse), die Vernichtung von Keimen und die Stimulation der Wundheilung. Eine zukünftige Anwendung von Madenextrakten oder von biotechnisch hergestelltem Madensekret hätte einige Vorteile gegenüber der Verwendung ­lebender Maden:

  • Einheitliches und haltbares Produkt zur Wundheilung.
  • Bessere Akzeptanz bei Patienten und Personal.
  • Einfachere und möglicherweise billigere Herstellung und Applikation.
  • Neue, bisher nicht mögliche Indikationen wie z.B. Corneale Ulzera oder offene abdominelle Wunden.



BioBag

Der BioBag – ein aus einem 0,5 mm dünnen Polyvinylalkohol-Hydroschwamm geformter Beutel – beinhaltet die lebenden Larven, welche kontinuierlich Sekret abgeben. Durch seine ganz spezifische Struktur und Oberfläche stimuliert der Schwamm, der in dickerem Zustand auch bei der Vakuumversiegelung Verwendung findet, zusammen mit dem Madensekret die Granulationsgewebsbildung, löst die nekrotischen Beläge auf und verringert die Keimzahlen in den Wunden. Die Ergebnisse verschiedener Studien mit dem BioBag zeigten eine ähnlich gute Wirkung wie bei der offenenMadentherapie.


Literatur:

Raposio E, Bortolini S, Maistrello L, Grasso DA. Larval Therapy for Chronic Cutaneous Ulcers: Historical Review and Future Perspectives. Wounds. 2017 Dec;29(12):367-373.


Quellen: Wundheilung mit Fliegenmaden. Dr. Darko Stamenov. MEDMIX 3/2009.

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