Freitag, April 26, 2024

ER-Stress bei Darmentzündungen zeigt positive Effekte

Das genetische Erzeugen von ER-Stress in den Darmzellen konnte bei keimfreien Mäusen konnte die Schutzbarriere der empfindlichen Darmschleimhaut verstärken.

Forscher konnten einen bislang unbekannten Schutzmechanismus des Darms identifizieren. Dementsprechend soll die gezielte Beeinflussung von ER-Stress zukünftig die Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen verbessern. Von ER-Stress spricht man, wenn der wichtige Bestandteil innerhalb der Darmzellen – das endoplasmatische Retikulum (ER) – besonders sensibel auf Umweltstressoren reagiert.

 

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen durch überschiessende Abwehrreaktionen des Körpers

Unser Darm ist täglich einer Vielzahl von Umwelteinflüssen ausgesetzt. Einige dieser Faktoren, wie Nahrungsbestandteile, Bakterien oder Viren, können das empfindliche Gleichgewicht im Darm stören. Zusammen mit genetischen Faktoren können sie zu überschiessenden Abwehrreaktionen führen, die sich als chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Inflammatory Bowel Diseases, IBD) äussern. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, zu denen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zählen, betreffen rund 20’000 Menschen in der Schweiz und führen häufig zu erheblichen körperlichen und psychischen Belastungen.

Ein Bestandteil innerhalb der Darmzellen, der besonders sensibel auf Umweltstressoren reagiert, ist das endoplasmatische Retikulum (ER). Dieses verzweigte Membrannetzwerk spielt bei der Produktion für die Zelle lebenswichtiger Eiweisse eine wichtige Rolle. Schon früher konnten Forscher zeigen, dass sogenannter ER-Stress für die Entstehung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bedeutsam ist. Ob ER-Stress dagegen auch eine Darmentzündung hemmen kann, war bislang unklar.

 

ER-Stress kann auch positiv wirken

Neueste Resultate von einem internationalen Forschungsteam mit massgeblicher Beteiligung von Forschenden vom Department for Biomedical Research (DBMR) der Universität Bern und der Abteilung Gastroenterologie der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital Bern zeigen zum ersten Mal positive Effekte von ER-Stress bei Darmentzündungen. Durch diesen werden in der Darmschleimhaut gezielt Abwehrzellen aus der Bauchhöhle rekrutiert. Diese Zellen können über die Produktion von Antikörpern vom Typ Immunoglobulin A (IgA) die Schutzbarriere der empfindlichen Darmschleimhaut verstärken und damit vor überschiessenden Entzündungsreaktionen schützen. Die Studie wurde im Journal «Science» publiziert.

Die Forschenden untersuchten mehrere Mausmodelle, bei denen sich durch genetische Veränderungen ER-Stress in den Zellen der Darmschleimhaut entwickelt, und fanden als gemeinsames Merkmal aller Modelle einen signifikanten IgA-Anstieg. Wenn die Forschenden zusätzlich die Produktion oder den Transport von Antikörpern störten, wurde der Schutzeffekt von IgA unterbunden, und es kam zu einer vermehrten Darmentzündung.

«Besonders wichtig für diese Studie waren Beobachtungen an keimfreien Mäusen», sagt Niklas Krupka, einer der Ko-Erstautoren der Studie. Da in keimfreien Mäusen der stimulierende Einfluss von Bakterien, Viren oder Pilzen auf das Immunsystem fehlt, stellen diese Tiere normalerweise nur wenig IgA her. «Allein durch das genetische Erzeugen von ER-Stress in den Darmzellen konnten wir in keimfreien Mäusen einen deutlichen Anstieg der IgA-Produktion auslösen. Dies zeigt, dass wir es mit einem fundamentalen Schutzmechanismus des Darmes zu tun haben, für den nicht einmal eine natürliche mikrobielle Besiedlung erforderlich ist.»

 

Nutzung von ER-Stress

Ursprung für die durch ER-Stress ausgelöste IgA-Antwort sollen spezielle Abwehrzellen in der Bauchhöhle sein. «Unsere Daten zeigen, dass der Darm bei ER-Stress über bislang noch unbekannte Faktoren aktiv mit diesen Zellen kommuniziert und sich damit Hilfe aus der Ferne holt», erklärt Niklas Krupka. Vergleichbare Schutzmechanismen könnten auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eine Rolle spielen. Als Hinweis dafür fanden die Forschenden in Darmbiopsien von Patientinnen und Patienten, die eine ER-Stress-fördernde Genvariante aufwiesen, vermehrt IgA-produzierende Zellen.

Die gewonnenen Erkenntnisse sollen zukünftig dabei helfen, neue Behandlungsansätze für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen zu entwickeln. Deswegen planen die Forscher bereits weiterführende Studien. «ER-Stress der Darmschleimhaut kann eine nützliche Funktion ausüben. Vergleichbar mit dem aus der Psychologie entlehnten Begriff «Eustress». Einem stressauslösenden Reiz, der den Organismus jedoch positiv beeinflusst», sagt Krupka.

Literatur:

Joep Grootjans, Niklas Krupka, Shuhei Hosomi et al.: Epithelial endoplasmic reticulum stress orchestrates a protective IgA response. Science, 1. März 2019,http://dx.doi.org/10.1126/science.aat7186


Quelle: Department for Biomedical Research, Universität Bern, und Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital Bern

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