Donnerstag, März 28, 2024

Epidemien besser verstehen

Der Schlüssel für ein besseres Verständnis von Epidemien liegt in der Veränderlichkeit und damit in der Evolution der verursachenden Krankheitserreger.

 

Mithilfe neuartiger Experimente im Labor konnten Forschende der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) nun wichtige Erkenntnisse zur Evolution von Krankheitserregern gewinnen. Dazu untersuchten sie die äußerst schnellen, wechselseitigen Anpassungen von Wirt und Krankheitserreger. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in der aktuellen Ausgabe des renommierten Fachmagazins PLOS Biology.

Dem Forschungsteam gelang es, anhand eines Modellsystems der Evolution bei der Arbeit zuzusehen. Dabei identifizierten sie die zugrundeliegenden genetischen Mechanismen und die konkreten, dem Selektionsdruck unterliegenden Merkmale bei Wirt und Krankheitserregern. Die Forschenden der CAU-Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik untersuchten in einer langjährigen Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppen am Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der CAU und an den Universitäten Münster, Göttingen, Osnabrück und Tübingen experimentell die wechselseitigen Anpassungen zwischen dem verwendeten Modellwirt (dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans) und einem Modellkrankheitserreger (dem Bakterium Bacillus thurigiensis). „Wir konnten im Labor das Ausmaß der gegenseitigen Anpassungen und damit der Koevolution präzise kontrollieren. Dies hat uns den ultimativen Test geliefert, um zu ermitteln, was bei der Koevolution zwischen Wirt und Krankheitserreger wirklich passiert“, betont Professor Hinrich Schulenburg, Leiter der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik und Mitglied im Exzellenzcluster Entzündungsforschung.

Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans eignet sich ideal als Modellorganismus in der Evolutionsbiologie. © Antje Thomas, Hinrich Schulenburg
Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans eignet sich ideal als Modellorganismus in der Evolutionsbiologie.
© Antje Thomas, Hinrich Schulenburg

Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse deuten auf zwei wichtige neue Erkenntnisse hin: Zum einen erhalten Krankheitserreger während der Koevolution nur dann einen evolutionären Vorteil, wenn sie virulent sind. Das heißt, wenn sie in der Lage sind, den Wirt zu schädigen oder zu töten. Dr. Leila Masri, Erstautorin der Studie, erklärt: „Erstaunlich war für uns, dass die Virulenz nur erhalten bleibt, wenn es eine entsprechende evolutionäre Gegenantwort des Wirtes gibt und somit ein evolutionäres Wettrüsten auftritt.“ Wenn der Wirt keine Gegenanpassungen zeigt, kann der Krankheitserreger seine Virulenz verlieren.

Zum anderen konnten die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachweisen, dass die Bakterien die hohe Virulenz durch eine vermehrte Produktion eines wirtsschädigenden Giftstoffes erzielen. Das erhöhte Vorkommen des Giftes ist dabei an eine bestimmte genetische Ausstattung des Bakteriums geknüpft, die sich unter dem Druck der wechselseitigen Anpassung durchsetzt. „Unsere Ergebnisse belegen, dass eine andauernde Koevolution für eine spezifische Ausprägung des Genoms und damit aller Lebenscharakteristiken des Krankheitserregers sorgt“, sagt Masri weiter.

Mikroskopische Aufnahme des Fadenwurms Caenorhabditis elegans mit den in rot eingefärbten Bakterien in seinem Inneren. © Andrei Papkou, Hinrich Schulenburg
Mikroskopische Aufnahme des Fadenwurms Caenorhabditis elegans mit den in rot eingefärbten Bakterien in seinem Inneren.
© Andrei Papkou, Hinrich Schulenburg

Die vorliegende Studie ist in ihrer Komplexität bis dato einzigartig. Sie basiert auf einem umfassenden Forschungsansatz, bei dem Evolutionsexperimente mit Genomsequenzierungen, genetischen Analysen und umfangreichen mathematisch-statistischen Untersuchungen kombiniert werden, die eine vollständige Bestandsaufnahme der komplexen Anpassungen zwischen den Interaktionspartnern erlauben. Von Vorteil bei der Beobachtung dieser Wechselwirkungen ist, dass sich die evolutionären Anpassungen in Wirt und Krankheitserreger innerhalb weniger Generationen ausprägen.

Weiteren Forschungsbedarf sehen die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Frage, wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Bekämpfung von Krankheitserregern anwenden lassen. Vorläufige Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass ein künstlich erhöhter Evolutionsdruck – zum Beispiel durch Antibiotikaeinsatz – zu einer erhöhten Schädlichkeit der Krankheitserreger führen kann. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, bedarf es laut Schulenburg einer geänderten Strategie: „Statt der Ausrottung des Pathogens sollte sie die Toleranz des Wirtes gegenüber den Krankheitserregern zum Ziel haben.“ Die Bearbeitung dieser und ähnlicher Forschungsfragen zur Veränderlichkeit von Krankheitserregern bildet aktuell einen wichtigen Fokus des neuen Forschungsschwerpunktes „Kiel Life Science“ an der Universität Kiel. Die nun veröffentlichte Forschungsarbeit entstand zudem im Rahmen des deutschlandweiten Prioritätsprogramms „Host-Parasite-Coevolution“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Die Erstautorin der Studie, Dr. Leila Masri, bei der Laborarbeit in der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik an der Uni Kiel. © Hinrich Schulenburg
Die Erstautorin der Studie, Dr. Leila Masri, bei der Laborarbeit in der Arbeitsgruppe Evolutionsökologie und Genetik an der Uni Kiel.
© Hinrich Schulenburg

Quellen und Informationen:

Leila Masri, Antoine Branca, Anna E. Sheppard, Andrei Papkou, David Laehnemann, Patrick S. Guenther, Swantje Prahl, Manja Saebelfeld, Jacqueline Hollensteiner, Heiko Liesegang, Elzbieta Brzuskiewicz, Rolf Daniel, Nicolaas K. Michiels, Rebecca D. Schulte, Joachim Kurtz, Philip Rosenstiel, Arndt Telschow, Erich Bornberg-Bauer, Hinrich Schulenburg (2015): Host-Pathogen Coevolution: The Selective Advantage of Bacillus thurigiensis Virulence and its Cry Toxin Genes, PLOS Biology

http://www.uni-kiel.de/zoologie/evoecogen/

http://www.kls.uni-kiel.de

http://www.uni-muenster.de/Evolution/spp/

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