Freitag, April 19, 2024

Entspannungstechniken und Verhaltenstherapien in der Migräne-Behandlung

Entspannungstechniken und Verhaltenstherapien gefragt: Viele Patienten möchten bei ihrer Migräne-Behandlung nicht nur auf Medikamente zurückgreifen.

12 bis 14 Prozent der Frauen und 6-8 Prozent der Männer leiden an Migräne, auch Kinder und Jugendliche können betroffen sein. Migräneattacken stellen im Alltag eine ganz erhebliche Beeinträchtigung dar: Es ist nicht nur der heftige pulsierende Kopfschmerz, der sich schon bei der geringsten körperlichen Belastung weiter verstärkt, sondern es sind auch die Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Lärm- und Lichtüberempfindlichkeit, die die Betroffenen regelrecht lahmlegen. Viele Patienten möchten bei der Migräne-Behandlung nicht nur auf Medikamente zurückgreifen. Die aktuelle Leitlinie der DMKG fasst wissenschaftliche Untersuchungen zu Entspannungstechniken und anderen verhaltenstherapeutischen Interventionen erstmalig zusammen und bewertet die Qualität der Daten und die klinische Effektstärke der verschiedenen Verfahren.

 

Information, Entspannungstechniken, Biofeedback-Therapie, Verhaltenstherapien

Einer Placebo-Behandlung deutlich überlegen sind: Aufklärung und Beratung über Migräne, Entspannungstechniken, Biofeedback, kognitive Verhaltenstherapie und wahrscheinlich auch Ausdauersport. Die genannten Verfahren werden in der Praxis vor allem für die vorbeugende Migräne-Behandlung eingesetzt.

In der Attacke können Schmerzbewältigungstraining und Biofeedback-Therapie angewendet werden: Schmerzbewältigungstraining, wenn eine Attacke als extrem beeinträchtigend erlebt wird und starke Ängste vor einer weiteren Schmerzzunahme entstehen und so das Schmerzerleben verstärken. Imaginationstechniken ermöglichen eine Distanzierung vom Schmerz. Mit Biofeedback-Therapie kann der Schmerz in der Attacke gelindert werden: Man lernt, seine Schläfenarterien, die in der Attacke weitgestellt sind und deswegen schmerzen, willentlich zu verengen. Das ist aufwändig – und wahrscheinlich weniger effektiv als Medikamente. Vergleichsuntersuchungen liegen allerdings nicht vor. Verhaltenstherapeutische Verfahren zur Prophylaxe der Migräne sind insgesamt besser untersucht.

Verschiedene Studien bei Kindern und Erwachsenen haben gezeigt, dass schon eine Beratung über die Migräne und mögliche Auslöser – also die Vermittlung eines Krankheitsmodells – zu einer messbaren Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit führt. Es ist also sinnvoll, einen Kopfschmerzspezialisten aufzusuchen, sich dort zu informieren und einen individuellen Therapieplan aufzustellen.

Besonders gut untersucht sind Entspannungstechniken. Bei der progressiven Muskelrelaxation (PMR), die einfach zu erlernen ist, werden Muskelgruppen gezielt angespannt und dann entspannt. Bei regelmäßiger Anwendung dieser Entspannungstechniken werden die zentrale Schmerzverarbeitung beeinflusst und schmerzhemmende Strukturen des Gehirns aktiviert. Es kann eine Reduktion der Migränehäufigkeit von 35-45 Prozent erreicht werden. Da die Übungen ohne Hilfsmittel praktisch überall angewendet werden können, sind sie vor allem bei hoher Stressbelastung ein wertvolles Alltagsinstrument.

Die Datenlage zu Ausdauertraining ist insgesamt etwas widersprüchlich. Manche, vor allem ältere Arbeiten konnten lediglich eine Abnahme der Schmerzintensität durch Ausdauertraining feststellen, neuere Arbeiten dagegen sogar eine Abnahme von Anfallshäufigkeit, -dauer und -intensität. Die kognitive Verhaltenstherapie ist bei Patienten, die hohen Alltagsbelastungen ausgesetzt sind, besonders wirkungsvoll. Dabei wird der Umgang mit Stress verbessert, indem u.a. überzogene Ansprüche an die eigenen Leistungen abgebaut und das Erkennen von Körpersignalen in Belastungssituationen erlernt wird.

Mit Biofeedback-Therapie kann unter Anleitung in 8-12 Therapiestunden erlernt werden, an sich unbewusste, vegetative und zentralnervöse Funktionen wie die Gefäßweite, die Hauttemperatur oder den Hautwiderstand zu steuern. Bei regelmäßiger Anwendung entfaltet auch dies migräneprophylaktische Effekte.

 

Entspannungstechniken, Verhaltenstherapien mit Medikamenten kombinieren

Selbstverständlich kann man Entspannungstechniken und verhaltenstherapeutische Maßnahmen untereinander und mit medikamentösen Verfahren zur Prophylaxe kombinieren. Die Datenlage und die klinische Erfahrung zeigen, dass damit die besten Effekte in der Migränetherapie erzielt werden können. Multimodale Therapieprogramme greifen dies auf und sind deswegen gerade für besonders schwer betroffene Patienten die beste und umfassendste Therapie.

Quelle:

PD Dr. med. Stefanie Förderreuther
PD Dr. med. Stefanie Förderreuther

Statement »Ohne Pillen gegen Schmerzen: Was die neue Leitlinie der DMKG zu „Entspannungsverfahren und verhaltenstherapeutischen Interventionen zur Behandlung der Migräne“ empfiehlt« von PD Dr. med. Stefanie Förderreuther, Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. und Oberärztin an der Neurologischen Klinik, Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum Innenstadt, München anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V.,Oktober 2016, Mannheim

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