Freitag, April 19, 2024

Entfernung der Mandeln bei Kindern

Zur Entfernung der Mandeln bei Kindern gibt es Änderungen bei der Indikation zum chirurgischen Eingriff sowie bei der OP-Technik.

Eingriffe am lymphatischen System im HNO-Bereich – Gaumenmandeln = Tonsillen; Rachenmandeln „Polypen“ = Adenoide) sind in den westlichen Industrieländern rückläufig – besonders stark in Österreich und da vor allem die Entfernung der Mandeln bei Kindern.

Zum Teil bestehen sehr starke regionale Unterschiede in den einzelnen Staaten und im Vergleich der Staaten untereinander. OP-Frequenzen in Ungarn und Tschechien sind hoch, in Italien und der Schweiz niedrig, Österreich nähert sich durch den OP-Frequenzrückgang immer mehr Deutschland an.

 

Todesfälle nach Entfernung der Mandeln

In einigen Prozenten aller operierten Patienten kann es nach Entfernung der Mandeln zu Nachblutungen bei Abstoßung der Wundbeläge oder durch Aufplatzen von Gefäßen kommen. Von diesen Nachblutungen kann eine lebensgefährliche Bedrohung ausgehen durch starken Blutverlust oder durch Verlegung der Atemwege.

In den Jahren 2006 und 2007 starben insgesamt 5 Kinder unter sechs Jahren nach Entfernung der Mandeln. Diese tragischen Todesfälle führten zu Änderungen hinsichtlich OP-Indikation und OP-Technik und einem deutlichen Rückgang der Operationen.

 

Teilweise statt vollständiger Entfernung der Mandeln

Die früher häufige Tonsillektomie, die komplette Ausschälung der Mandeln, wird seitdem bei Kindern deutlich seltener angewendet. Stattdessen wird der Tonsillotomie, der Verkleinerung der Mandeln mit Belassen der Tonsillenkapsel, der Vorzug gegeben. Die Nachblutungsrate ist bei der Verkleinerung der Gaumenmandeln deutlich geringer als bei der kompletten Ausschälung. Bei Kindern vor dem sechsten Lebensjahr sollte keine Tonsillektomie, sondern eine Tonsillotomie und/oder eine Adenoidektomie durchgeführt werden. Bei Erwachsenen sollten keine Mandeloperationen bei Zustand nach Abszess (Intervalltonsillektomie) bei unauffälligen Mandeln und keine Mandeloperationen bei bloßem Verdacht auf einen Krankheitsherd durchgeführt werden. In besonders gelagerten Fällen muss aber von diesen Empfehlungen abgewichen werden. Die intraoperativen Blutstillungsverfahren wurden geändert und in der präoperativen Diagnostik erhielten Aufdeckungen von Blutungsneigungen einen höheren Stellenwert.

 

Rasche Reaktion

Gleich im Jahr 2007 veröffentlichten die Österreichischen Gesellschaften für Hals-NasenOhren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie und für Kinder- und Jugendheilkunde eine gemeinsame Empfehlung zur Entfernung der Gaumenmandeln. Darin sind drei Hauptindikationen zur Entfernung der Gaumenmandeln bei Kindern definiert:

  • a.) Starke Vergrößerung (Hyperplasie) der Gaumenmandeln mit Luftwegeobstruktion
  • b.) Wiederholte, schwere Infektionen der Gaumenmandeln
  • c.) Verdacht auf einen bösartigen Tumor der Gaumenmandeln

Die Hyperplasie führt zu einer behinderten Nasenatmung, dauernder Mundatmung, gestörter Zungenlage, gestörten Entwicklung der Kiefer- und Zahnstellung und zu Aussprachefehlern (Artikulationsstörungen), sowie zu chronisch-rezidivierenden Infektionen der Nase und Nebenhöhlen, zu Schlafstörungen durch nächtliche Atemaussetzer (sog. obstruktives Schlafapnoe Syndrom OSAS) mit Tagesmüdigkeit, Gedeih- und Entwicklungsstörungen. Dies ist vor allem im Kleinkindesalter von Bedeutung.

Bei wiederholten, schweren Infektionen der Gaumenmandeln ist die Häufigkeit das Hauptkriterium: Jeweils fünf oder mehr Tonsillitiden in mindestens zwei aufeinander folgenden Jahren oder sieben oder mehr Tonsillitiden innerhalb eines Jahres gelten als indiziert. Zusätzliche Kriterien sind Tonsilläres Exsudat (flüssige Absonderungen), Fieber über 38,3° C, vergrößerte Kieferwinkellymphknoten, ärztliche Dokumentation und ausreichende antibiotische Behandlung.

 

Die Entwicklung in Zahlen

Der Rückgang der Operationsfrequenzen von 2002 bis 2014 ist sehr deutlich: Bei der Adenotomie liegt er bei 40 Prozent bei der Tonsillektomie sogar bei 62 Prozent über alle Altersgruppen. Der Ausgangspunkt 2002 waren jeweils etwa 22.000 Eingriffe. Der Rückgang bei der Tonsillektomie war in den Jahren von 2002 bis 2010 besonders stark, seither ist er annähernd konstant. Bei Personen über einem Alter von 15 Jahren wurden um 37 Prozent weniger Mandeloperationen durchgeführt, bei Kindern zwischen sechs und 15 Jahren um 56 Prozent weniger und bei Kindern bis fünf Jahren sogar 87 Prozent.


Quelle:

Statement von MR Dr. Wilhelm Streinzer HNO-Facharzt in Wien, HNO-Bundesfachgruppenobmann der Österr. Ärztekammer, 2016

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