Freitag, April 19, 2024

Evidenzbasierte Empfehlungen zur Primärversorgung

Die neue Primärversorgung soll mehrere Gesundheitsberufe unter einem Dach vereinen und neue Qualitätsstandards bei der Patientenbetreuung setzen.

In den neuen Einheiten zur Primärversorgung (Gesundheitszentren) sollen nicht nur mehrere Gesundheitsberufe unter einem Dach zusammenarbeiten, sondern auch neue Qualitätsstandards bei der Betreuung der Patienten gesetzt werden. Das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV) an der Medizinischen Universität Graz hat evidenzbasierte Behandlungspfade für die Primärversorgung nach internationalem Vorbild erstellt.

 

Leitlinien für die Primärversorgung

„Leitlinienkonforme Behandlungspfade und Disease Management Programme tragen nachweislich dazu bei, die Versorgung bei chronischen Erkrankungen und anderen Volkskrankheiten zu verbessern“, konkretisiert Univ.-Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch, Leiterin des IAMEV. Als Basis dienen aktuelle, methodisch hochwertige Leitlinien zu einzelnen Krankheitsbildern, aus denen Handlungsempfehlungen für die ärztliche Praxis entwickelt werden. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist Kooperationspartner des IAMEV. „Unser Ziel ist es, österreichweite Standards in der Versorgung zu etablieren“, sagt Dr. Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Während in anderen Ländern Leitlinien und Behandlungspfade bereits fest im System verankert sind, kommen sie in Österreich bisher noch selten zum Einsatz. „Die neuen Primärversorgungseinheiten mit ihren multidisziplinären Teams bieten eine exzellente Chance, den Patientinnen und Patienten künftig eine strukturiertere und qualitätsgesicherte Behandlung zu bieten“, so Probst. Auch für Allgemeinmediziner/innen in Einzelordinationen bieten die Behandlungspfade eine wichtige Unterstützung. „Es handelt sich um evidenzbasierte Empfehlungen und nicht um in Stein gemeißelte Vorgaben. Selbstverständlich verdient jede Patientin und jeder Patient eine individuelle Behandlung“, betont Andrea Siebenhofer-Kroitzsch.

 

Adipositas: Prävention und Therapieoptionen

Der erste von drei Behandlungspfaden für die Primärversorgung, die vom IAMEV erstellt wurden, widmet sich dem Thema „Übergewicht und Adipositas“. In Österreich sind 42 Prozent der Erwachsenen und 24 Prozent der Kinder im Alter zwischen 7 und 14 Jahren übergewichtig. Von Adipositas, also Fettleibigkeit, spricht man bei einem Body Mass Index (BMI) von 30 oder mehr. Das ist der Fall, wenn jemand bei einer Körpergröße von 170 cm an die 90 kg wiegt. Adipositas gilt als ein wesentlicher Risikofaktor für zahlreiche Erkrankungen und belastet vor allem den Herzkreislauf und die Gelenke.

„Die Behandlungspfade basieren auf internationalen, evidenzbasierten Leitlinien. Die Abläufe wurden speziell auf die Strukturen in den neuen Primärversorgungseinheiten abgestimmt“, sagt Projektleiter Thomas Semlitsch vom IAMEV. In übersichtlichen Entscheidungsbäumen und Infoboxen werden die einzelnen diagnostischen und therapeutischen Schritte dargestellt. Im Mittelpunkt steht das Gewichtsmanagement. Neben Anamnese, Beratung, Planung und Durchführung der Therapie wird eine kontinuierliche Betreuung durch ein multidisziplinäres Team – bestehend aus Ärzten, Diätologen, Psychologen und Bewegungstherapeuten – empfohlen. Bei Erwachsenen, die einen BMI von 30 kg/m2 oder bei einem BMI von 25 kg/m2 bereits Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck haben, ist jedenfalls eine Gewichtsreduktion erforderlich. „Diese soll in erster Linie mit einer Änderung des Lebensstils durch eine Kombination von Ernährungs-, Bewegungs-  und Verhaltenstherapie erzielt werden. Medikamente können in eingeschränkten Fällen dabei unterstützen“, erläutert Thomas Semlitsch. Sollte das Abnehmen auf diesem Wege nicht gelingen, kann bei einem BMI ≥ 40 kg/m2 (oder ≥ 35 kg/m2 mit Begleiterkrankungen) auch eine Operation („bariatrische Chirurgie“), etwa in Form einer Magenverkleinerung, in Betracht gezogen werden. Der Behandlungspfad sieht hier ein umfassendes prä- und postoperatives Management sowie eine lebenslange Nachbetreuung vor.

 

Therapie bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen

Bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen ist die Änderung des Lebensstils die wichtigste Maßnahme. Liegt bereits eine Adipositas vor, ist eine Gewichtsreduktion dringend empfohlen. Sie sollte durch eine Kombination von Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie, immer unter Einbeziehung der Eltern, erfolgen. Wenn bereits schwerwiegende Begleiterkrankungen vorliegen, kann ab dem 12. Lebensjahr im Einzelfall zusätzlich eine medikamentöse Therapie überlegt werden. Diese sollte jedoch ausschließlich in auf Kinder spezialisierte Einrichtungen begonnen werden. Die bariatrische Chirurgie wird bei Kindern und Jugendlichen nicht empfohlen. Bei Jugendlichen mit einem BMI ≥ 40 kg/m2 oder bei einem BMI ≥ 35 kg/m2 bereits an Diabetes oder Gelenkserkrankungen leiden und bei denen alle andere Versuche zur Gewichtsreduktion erfolglos waren, kann nach der Pubertät unter Umständen eine Magenband-Operation angezeigt sein.

 

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