Montag, März 18, 2024

Dysmorphophobie, Entstellungssyndrom: eine körperdysmorphe Störung

Menschen mit Dysmorphophobie, einer körperdysmorphen Störung, sind mit ihrem Körper krankhaft unzufrieden, wobei die Behandlung schwierig ist.

Heutzutage hat Schönheit vielleicht noch größere Bedeutung. Wir leben im digitalen Zeitalter mit Instagram, Snapchat, Facebook und Whatsapp, das Äußere der Menschen ist zu einem noch wichtigeren gesellschaftlichen, ökonomisch und auch sozialpolitischen Faktor geworden. Für den Dermatologen ist das Thema Schönheit beziehungsweise die kosmetische Dermatologie ständiger Begleiter in der täglichen Praxis. Dementsprechend müssen sich Fachleute aber auch mit krank machenden Auswüchsen von Schönheit beschäftigen. Und hierzu müssen sie bei betroffenen Patienten eine Dysmorphophobie – auch als körperdysmorphe Störung oder Entstellungssyndrom bekannt und den ICD-10 somatoformen Störungen zugehörig – erkennen können. Zudem sollten Dermatologinnen und Dermatologen über die Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen Bescheid wissen.



Möglichen Betroffenen mit körperdysmorpher Störung sollte man jedenfalls eine psychotherapeutische Dysmorphophobie-Behandlung beziehungsweise die Konsultation eines Psychiaters anraten. Wobei die körperdysmorphe Störung häufig in der Kindheit beginnt, jedenfalls treten in den meisten Fällen die Symptome vor dem 18. Lebensjahr auf. Die Dysmorphophobie-Forschung konzentrierte sich bislang jedoch hauptsächlich auf Erwachsene.


Gemüse und Obst steigern auch das psychische Gesundheit und Wohlbefinden

Reichlich Obst und Gemüse fördern die Zufriedenheit und das psychische Wohlbefinden. © RossHelen / shutterstock.com
Reichlich Obst und Gemüse fördern die Zufriedenheit und das psychische Wohlbefinden. © RossHelen / shutterstock.com

Psychische Gesundheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit mit dem eigenen Leben ist bei jenen Menschen, die mehr Gemüse und Obst essen, deutlich höher. Mehr dazu siehe https://medmix.at/obst-und-gemuese-psychische-wohlbefinden/.


Geschichtliches, Verbreitung und ICD-10 Zuordnung der Dysmorphophobie

Der italienischen Psychiater Enrico Morselli beschrieb das Entstellungssyndrom erstmals 1886, 1891 führte er dann den Begriff Dysmorphophobie ein. Von verschiedenen Experten wurden in Folge vor allem immer wieder junge Frauen beschrieben, die wegen ihrer eingebildeten Hässlichkeit Angst hatten, keinen Mann zu finden.

Fast jeder Hunderste in der Bevölkerung soll an Dysmorphophobie leiden. Diese körperdysmorphe Störung ist übrigens vor allem eine auf die Hautoberfläche beziehungsweise sein Äußeres projizierte psychische Störung. Die Patienten glauben, dass einzelne Körperteile entstellt sind, ohne dass das bei objektiver Betrachtung festgestellt werden kann beziehungsweise zutrifft. Diese Art des Entstellungssyndroms kommt in der dermatologischen beziehungsweise kosmetischen Beratung bei etwa jedem zehnten Patienten vor.

1987 ist das wurde Krankheitsbild der Dysmorphophobie in den USA offiziell als Krankheitsdiagnose aufgenommen worden. Heute wird die körperdysmorphe Störung im DSM-IV beziehungsweise in ICD-10 den somatoformen Störungen zugerechnet.



 

Dysmorphophobie – Depressionen und Sozialphobie

Im Grunde genommen führt eine Dysmorphophobie dazu, dass sich die betroffenen Patienten als hässlich oder entstellt wahrnehmen. Sehr oft ist nicht die gesamte Erscheinung, sondern einzelne Körperteile wie Brüste, Po, Ohren, Nase, Haut, Haare, Augen, Arme oder Beine. Die körperdysmorphe Störung ist zudem sehr oft mit Depressionen vergesellschaftet, weiter leiden viele Patienten an einer soziale Angststörung – der Sozialphobie. Und zwar haben sie Angst vor den prüfenden Blicken andere Mitmenschen, was in Folge zur Vermeidung sozialer Situationen führen kann.

Sozialer Rückzug bis hin zur Isolation können die Folge sein. Die Betroffenen begeben sich nur noch ganz selten in Gesellschaft, scheuen jeden Kontakt, werden arbeitsunfähig und sozial ausgegliedert. Essstörungen und schwere Depressionen sowie häufig ein Ansteigen des Körpergewichts sind die Folge. Etwa 15 % dieser Betroffenen sind selbstmordgefährdet.


Positive Erfahrungen: Lichttherapie hilft bei Depressionen

Das wichtigste Anwendungsgebiet für die Lichttherapie sind saisonal abhängige Depressionen wie Winterdepressionen. © peshkova / shutterstock.com
Das wichtigste Anwendungsgebiet für die Lichttherapie sind saisonal abhängige Depressionen wie Winterdepressionen. © peshkova / shutterstock.com

Die Lichttherapie hilft in über 70% der psychiatrischen Krankenhaus-Abteilungen bei der Therapie von saisonabhängigen Depressionen, zeigen die Erfahrungen. Mehr dazu siehe https://medmix.at/lichttherapie-bei-depressionen/.


Klinische Merkmale von 172 Kindern und Jugendlichen mit körperdysmorphen Störungen

Im Grunde genommen tritt eine körperdysmorphe Störung aber häufig bereits in der Kindheit, wobei die meisten Betroffenen Symptome vor dem 18. Lebensjahr entwickeln. Die Dysmorphophobie-Forschung konzentrierte sich jedoch hauptsächlich auf Erwachsene. Eine rezente Studie berichtet über die klinischen Merkmale der weltweit größten Kohorte sorgfältig diagnostizierter Jugendlicher mit körperdysmorpher Störung. Dabei konzentrierten sich die Forscher auf bisher unerforschte Geschlechts- und Altersunterschiede.

Dazu sammelten sie systematisch die klinische Daten von 172 jungen Menschen, die nacheinander an 2 spezialisierte Ambulanzen für pädiatrische Zwangsstörungen und verwandte Erkrankungen in Stockholm, Schweden, und in London, England, überwiesen wurden. Es wurde eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt, die von Ärzten, Selbst- und Eltern gemeldet wurden.



Die Kohorte bestand aus 136 Mädchen, 32 Jungen und 4 Transgender-Personen (Altersgruppe 10-19 Jahre). Die mittlere Schwere der Dysmorphophobie-Symptome lag im mittleren bis schweren Bereich. Mehr als ein Drittel der Betroffenen zeigte schwere Symptome und bei mehr als die Hälfte hatten Wahnvorstellungen und schlechte oder fehlende Einsichten.

Die Forscher beobachteten hohe Raten aktueller psychiatrischer Begleiterkrankungen (71,5%), früherer oder aktueller Selbstverletzungen (52,1%), Selbstmordversuchen (11,0%), aktuellem Wunsch nach kosmetischen Eingriffen (53,7%) und vollständigem Schulabbruch (32,4%).

Im Vergleich zu Jungen berichteten die Mädchen über schwerere Dysmorphophobie-Symptome, Depressionen, Selbstmordgedanken und Selbstverletzungen. Im Vergleich zu den jüngeren Teilnehmern (14 oder jünger) hatten die ältere Teilnehmer signifikant schwerere Zwänge. Außerdem hatten sie eher den Wunsch, kosmetische Eingriffe durchführen zu lassen.

Jedenfalls ist die körperdysmorphe Störung bei Jugendlichen kann eine schwere und behindernde Störung sein, die mit erheblichen Risiken und erheblichen Störungen verbunden ist. Das klinische Erscheinungsbild der Störung ist in Bezug auf Geschlecht und Altersgruppen weitgehend ähnlich. Jedenfalls scheint die Früherkennung und ein rascher Beginn der Behandlung der Dysmorphophobie große Bedeutung zu haben. Weitere Forschungsarbeiten sind erforderlich, insbesondere zu jungen Menschen vor der Pubertät.

 

Body Integrety Identy Disorder, bis zu Amputation, und Dorian-Gray-Syndrom

Schönheitswahn kann Menschen langfristig krank machen. Je öfter Betroffene mit verschiedenen Schönheitsbehandlungen wie Unterspritzungen aber auch chirurgischen Methoden die Situation verbessern wollen, desto deutlicher kann sich die körperdysmorphe Störung ausprägen. Die Meinungen von Partnern, Angehörigen, Freunden und Ärzten, dass das Aussehen völlig in Ordnung sei, wird ignoriert. Die Patienten halten sich einfach für hässlich und nicht lebenswert.

Dysmorphophobie zeigt sich in verschiedenen Varianten. Es gibt beispielsweise sogar betroffene Patienten, gewisse Körperteile gar nicht mehr akzeptieren können und vom Arzt die Amputation fordern. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Body Integrety Identy Disorder.



Doch auch das sogenannte Dorian-Gray-Syndrom wird als körperdysmorphe Störung angesehen. Dabei haben Betroffenen über die Maßen das Bedürfnis, nicht altern zu wollen. Rekordhalterin im Guinness Buch der Rekorde ist eine US-Amerikanerin, die wie eine Barbiepuppe aussehen will und mittlerweile 47 chirurgische Eingriffe durchführen will.


Psilocybin bei Patienten mit Krebs stark wirksam gegen Angst und Depression

Deer Spitzkegelige Kahlkopf – Psilocybe semilanceata – enthält Psilocybin. © Arp / CC BY-SA 3.0 / wikimedia
Deer Spitzkegelige Kahlkopf – Psilocybe semilanceata – enthält Psilocybin. © Arp / CC BY-SA 3.0 / wikimedia

Psilocybin – die psychaktive Substanz in Magic Mushrooms – wirkt sehr rasch gegen Angst und Depression bei Patienten mit Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Mehr dazu siehe https://medmix.at/psilocybin-stark-wirksam-angst-depression/.


Behandlung bei Dysmorphophobie

Psychotherapeutische Methoden gelten bei Dysmorphophobie als Behandlung der ersten Wahl, begleitend können auch Antidepressiva wie SSRIs eingesetzt werden. Doch im Grunde genommen ist die Behandlung der Menschen mit einem Entstellungssyndrom schwierig.

Zwar können auch operative beziehungsweise andere ästhetische Maßnahmen den betroffenen Menschen dabei helfen, besser mit ihrer Dysmorphophobie fertig zu werden. Doch etwaige Schönheitsbehandlungen führen nur bei etwa 15 % der Patienten zu einem besseren Gefühl. Beim Großteil der Betroffenen ändert sich die Einstellung zu ihrem Körper kaum. Etwa jeder fünfte Patient fühlt sich danach sogar schlechter.

Die Behandlung von Patienten mit Dysmorphophobie ist bisher nur wenig untersucht worden. Bekannt sind Studien zur Einzel-Verhaltenstherapie im ambulanten Bereich, die den Nutzen einer Psychotherapie zeigen konnten. Doch bei schwereren Formen mit Angst- und Persönlichkeitsstörungen sowie Depressionen scheint eine ambulante Therapie nicht wirksam genug zu sein.

 

Persönlichkeitsstörungen in der Dermatologie

Im Allgemeinen gibt es einen signifikant hohen Anteil an Persönlichkeitsstörungen in der ästhetischen und kosmetischen Chirurgie. Dementsprechend ist die körperdysmorphe Störung eine psycho-dermatologische Erkrankung, die vor allem bei Patienten in Kliniken für Dermatologie, ästhetische und kosmetische Chirurgie häufig ist. Dabei besteht ein beträchtlicher Einfluss des Persönlichkeitstyps des Patienten.



Auch bei verschiedenen anderen dermatologischen Problemen gibt es eine signifikante psychiatrische Komorbidität, die auf die psychische Verfassung des Patienten zurückzuführen ist. Hierzu gibt es verschiedene Arten von Persönlichkeitsstörungen, die den Verlauf und die Prognose solcher psycho-dermatologischen Störungen beeinflussen. Beispielsweise sind das selbst zugefügte Hautläsionen normalerweise mit zwanghaftem Verhalten verbunden. Es gibt jedoch auch Zusammenhänge mit narzisstischen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen.

Das Management von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen ist im Grunde genommen eine Herausforderung, bei der sich die interdiziplinäre Verbindung zwischen Psychiatrie und Dermatologie als hilfreich erwiesen hat. Damit erhalten die Patienten eine bessere dermatologische sowie psychische Behandlung.


Cannabidiol zeigt Wirkung bei psychischen Störungen und Sucht

Cannabidiol aus CBD-Marihuanablüten kann bei Angststörung und Depression gute Wirkung bringen. © Cook-Shoots-Food / shutterstock.com
Cannabidiol aus CBD-Marihuanablüten kann bei Angststörung und Depression gute Wirkung bringen. © Cook-Shoots-Food / shutterstock.com

Die Forschungen zur Wirkung von Cannabidiol zeigen neue Anwendungsgebiete für Cannabidiol wie bei psychischen Erkrankungen und Sucht.  Mehr dazu siehe https://medmix.at/cannabidiol-wirkung-psychischen-erkrankungen-sucht/.


Literatur:

Rautio D, Jassi A, Krebs G, Andrén P, Monzani B, Gumpert M, Lewis A, Peile L, Sevilla-Cermeño L, Jansson-Fröjmark M, Lundgren T, Hillborg M, Silverberg-Morse M, Clark B, Fernández de la Cruz L, Mataix-Cols D. Clinical characteristics of 172 children and adolescents with body dysmorphic disorder. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2020 Nov 9. doi: 10.1007/s00787-020-01677-3. Epub ahead of print. PMID: 33165651.

Jafferany M, Afrin A, Mkhoyan R, Khemani U, Sadoughifar R. Therapeutic Implications Of Personality Disorders In Dermatology [published online ahead of print, 2020 Jun 28]. Dermatol Ther. 2020;e13910. doi:10.1111/dth.13910

Gieler U (2003) Psychodynamische Diagnostik und Therapie der körperdysmorphen Störung. In: Aglaja Stirn, Oliver Decker, Elmar Brähler (Hrsg.) Körperkunst und Körpermodifikation. Psychosozial 26:55-64.

Rief W, Buhlmann U, Wilhelm S, Borkenhagen A, Brahler E. The prevalence of body dysmorphic disorder: a population-based survey. Psychol Med. 2006;36(6):877-85.

Stangier, U. & Hungerbühler, R. (2001). Eingebildete Häßlichkeit: Die Körperdysmorphe Störung aus psychologischer Sicht. Zeitschrift für Klinische Psychologie, 30, 77-83 Stangier, U. (2002). Hautkrankheiten und Körperdysmorphe Störung. Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Veale, D., Gournay, K., Dryden, W., Boocock, A., Shah, F., Willson, R. & Walburn, J.(1996). Body dysmorphic disorder: A cognitive behavioural model and pilot randomised controlled trial. Behaviour Research Therapy, 34, 717-729.


Quelle:

»Schönheit und Schönheitswahn. Die körperdysmorphe Störung – Psychodermatologische Diagnostik und Therapie« – Prof. Dr. Uwe Gieler, Univ.-Hautklinik Giessen, Stellv. Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Related Articles

Aktuell

Depressive Störung im Alter rechtzeitig erkennen und wirksam behandeln

Eine depressive Störung im Alter kann man durchaus erfolgreich behandeln. Bedeutend ist eine rechtzeitige Diagnose und das Erkennen der Ursachen. Laut demoskopischer Voraussagen sind wir eine Bevölkerung,...
- Advertisement -

Latest Articles

Intermittierendes Fasten gegen Diabetes und Fettleibigkeit

Intermittierendes Fasten ist vielversprechend gegen Diabetes und Fettleibigkeit. Wobei man trotz Schummeltagen von den Vorteilen profitieren kann. Aktuelle Forschungen beleuchten die positiven Effekte, die Intermittierendes...

Zervikale Bandscheibenprothese: zukunftsweisende Behandlung für Bandscheibenvorfälle

Die Behandlung mit einer zervikalen Bandscheibenprothese ist eine zukunftsweisende Therapie für Bandscheibenvorfälle. In Europa ist die anteriore Diskektomie und Fusion, oft durchgeführt mit einem Cage,...

Gesunde Wirkungen der Katzenkralle: gegen Rheumatoide Arthritis, Entzündungen bei vielen anderen Erkrankungen

Die südamerikanische Heilpflanze Katzenkralle, Uncaria tomentosa, zeigt Wirkung bei Patienten mit rheumatoider Arthritis und verbessert die eingeschränkte Beweglichkeit. Die Katzenkralle – auch als Krallendorn oder...