Donnerstag, April 18, 2024

Diabetische Polyneuropathie – diabetische Neuropathie

Die Diabetische Polyneuropathie (diabetische Neuropathie) ist nicht nur eine schwere Komplikation des Diabetes, die sehr schmerzhaft ist. Sie belastet auch sehr Herz und Gefäße.

Im Grunde genommen wisen die Forscher heutzutage, dass man Komplikationen des Diabetes organspezifisch behandeln muss. Die diabetische Polyneuropathie (diabetische Neuropathie – DNP) ist beispielsweise eine sehr schmerzhafte Begleiterkrankung des Diabetes mellitus, die sehr häufig vorkommt. Man erkennt sie leider vor allem in frühen Stadien viel zu selten.

In epide­miologischen Untersuchungen konnte man feststellen, dass die diabetische Polyneuropathie bei Patienten unter dem 74. Lebens­jahr in knapp 23% der Fälle vorkommt. Und der Prozentsatz steigt dann aber ab dem 75. Lebensjahr sprunghaft auf über 37% an (J Cabezas-Cerrato, Diabetologia 1998).

 

Woran man die Diabetische Polyneuropathie erkennt und welche Symptome sie verursachen kann

Abgesehen von klinischen Symptomen zeigen sich bei der diabetischen Polyneuropathie deutliche neurophysiologischen Veränderungen in der Elektromyoneurographie. Dazu gehören die Verlängerung der Nervenleitgeschwindigkeit und der distalen Latenz.

Weiter sind das die Verminderung der Amplituden sowie Veränderungen der (antidromen) Chronaxie. Außerdem zeigen sich neuro­morpho­lo­gische Veränderungen in der ­Histologie mit segmentaler Demyelinisierung sowie eine (primär) axonale Degeneration.

Das klinische Erscheinungsbild ist vielfältig und daher ist auch die Einteilung nicht einheitlich. Am häufigsten kommt die distale sensomotorische Form vor (MJ Young, Diabetologia 1993). Seltener kommen hingegen mononeuritische Formen, die vor allem die Augenmuskeln betreffen, vor. Gelegentlich kann man auch Mononeuritis multiplex mit disseminierten Ausfällen beobachten.

Eine seltene Variante ist die Diabetische Amyotrophie (Burns-Gerland-Syndrom). Die betrifft vor allem ältere Typ-II-Diabetiker. Und zwar im Bereich der Schulter sowie dem Beckengürtel.

 

Autonome ­Neuropathie

Besonders vielfältig im Erscheinungsbild ist die autonome ­Neuropathie. Die kann im Grunde genommen alle Organe betreffen. Das kann einerseits die Symptome auch verschleiern. Das zeigt sich beispielsweise als stumme Ischämie oer als Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung.

Die autonome Neuropathie kann aber auch andere Erkrankungen vortäuschen. Dazu zählen die Anisokorie, die Diarrhoe, eine Tachykardie sowie die erektile Dysfunktion (Erektionsstörungen).

Klinisch von Bedeutung ist die Gastroparese (Lähmungserscheinungen), die es schwerer macht, den Blutzucker zu kontrollieren. Typisch ist dadurch auch die verminderte Herzfrequenzvariabilität besonders in Kombination mit verlängerter QT-Zeit oder großer QTc-­Dispersion. Das kann wiederum Sterblichkeits­risiko deutlich erhöhen(RE Maser, Diabetes 1989).

Schließlich ist die orthostatische Hypotension zu erwähnen, die gelegentlich die Charakteristik eines Shy-Drager-Syndroms aufweist.

 

Diabetische Polyneuropathie diagnostizieren

Die klinischen Leitsymptome der diabetischen Polyneuropathie resultieren aus der Reduktion bis Aufhebung nociceptorischer Empfindungen vor allem für Schmerz und Temperatur bei gleichzeitigem Auftreten von neuropathischen Schmerzen, die entweder bei bloßer Berührung oder auch völlig spontan auftreten können.

In typischer Weise können gleichzeitig spontane Dys- und Parästhesien neben provozierten Hyperästhesien bestehen. Besonders unangenehm wird der lanzinierende Schmerz und das vor allem nachts auftretende Burning-Feet-Syndrom als Zeichen eines Small-Fiber-Disease beschrieben. Für die Erfassung der peripheren sensiblen diabetischen Neuropathie eignen sich drei einfache Testmöglichkeiten:

  • der Monofilament-Test nach Semmes und Weinstein,
  • die Prüfung des Vibrationsempfindens mit der C-128-Stimmgabel nach Rydel-Seiffer oder mit dem Vibrathesiometer sowie
  • die Testung der Temperaturdiskriminanz.

Obwohl diese Tests nur semiquantitative Ergebnisse liefern, ist mit einer gewissen Erfahrung und dem klinischen Bild eine sichere Diagnose möglich. In der Regel zeigt sich zusätzlich ein reduzierter Achillessehnen-Reflex.

Prinzipiell sollte bei Schmerzen der Beine beim Diabetiker auch an andere Ätiologien, wie vaskulär und orthopädisch bedingter Schmerz, gedacht werden. Dieser zeichnet sich durch Bewegungs- und Lageabhängigkeit aus.

Aber auch bei klassischen neuropathischen Schmerzen sollte differenzialdiagnostisch an ein Paraneoplastisches Syndrom (vor allem N. bronchi), einer toxischen Neuropathie (Alkohol, Cytostatika) gedacht werden, während hereditäre Formen der Neuropathie (Phytansäure-Dehydrogenase-Mangel) sehr selten angetroffen werden.

 

Behandlung

Die Effizienz einer Therapie der diabetischen Polyneuropathie steht in inversem Verhältnis zur Dauer und Ausprägung der Erkrankung. Allem voran steht die Optimierung der Glykämie obwohl sowohl für Typ-I-Diabetiker (DCCT, N Engl J Med 1993) als auch für Typ-II-Diabetiker (UKPDS, Lancet 1998) zwar eine Verzögerung nicht aber eine Vermeidung der DNP erzielt werden konnte.

Die medikamentöse Therapie der diabetischen Polyneuropathie ist vielfältig, aber überwiegend symptomatisch. Wenig effizient in der Analgesie sind NSAR inklusive der neuen Coxibe, da diese vor allem den nociceptorischen Schmerz lindern.

Antidepressiva kommen erfolgreich zum Einsatz. Zunehmend werden SSRI verwendet, da trizyklische bei guter Wirksamkeit kardiotoxisch sind. Auch der Einsatz bestimmter Antikonvulsiva kann erfolgreich sein.

Diesbezüglich hat Gabapentin und Pregabalin das ältere Carbamazepin wegen guter Wirksamkeit und besserer Magenverträglichkeit abgelöst. Zunehmend gibt es positive Daten über Thioctsäure (alpha-Liponsäure) in der Therapie der DNP (D. Ziegler, Diab Med 2004).

Da Thioctsäure im Gegensatz zu anderen Pharmaka teilweise einen pathogenetisch orientierten Wirkmechanismus aufweist (M Nagamatsu, Diab Care 1995), ­zeigen kontrollierte Studien (ALADIN, ALADIN II, ALADIN III, DEKAN, ORPIL, SYDNEY, NATHAN II) sowohl eine Verbesserung des Symptome-Score als auch des Disability und Impairment Score, wobei letztere maßgebend für die Abnahme harter Endpunkte – vor allem der Amputation – sind.

Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) ist eine elektroanlagesierende Therapie auf Basis von niederfrequentem Gleichstrom geringer Spannung. In Abhängigkeit der Applikationsdauer verbessert sich der Symptome-Score (MA Hamza, Diab Care 2000) signifikant. Schließlich können bei ausgeprägten sonst therapierefraktären Schmerzen Opioide eingesetzt werden.

 

Risiken der diabetischen Neuropathie

Die diabetische Polyneuropathie ist nicht nur eine schmerzbehafte, sondern auch risikoreiche Komplikation des Diabetes. Die autonome Neuropathie des Herzens, die mit ­Ruhetachy­kardie und mangelnder Frequenzvariabilität einhergeht, führt zu einer QT-Zeit Verlängerung, die häufig uneinheitlich ist.

Diese QT-Zeit Dispersion ist Zeichen einer elektrischen Instabilität und Vulnerabilität, was über Torsades de Point zum Kammerflimmern und zum plötzlichen Herztod führen kann (EA Whitsel, Diab Care 2000).

Selten aber recht beeinträchtigend ist die autonome Blutdruckdysregulation. Dabei können im Liegen normale, gelegentlich auch hypertensive Blutdruck­werte auftreten. Während sich nach dem Aufrichten ein Blutdruck­abfall einstellt, der über lange Perioden zu ausgeprägten orthostatischen Beschwerden führt.

Die sensomotorische diabetische Polyneuropathie ist aber vor allem der Wegbereiter für den so genannten »diabetischen Fuß«. Die ist wohl die häufigste Komplikation der diabetischen Polyneuropathie. Eine gestörte Abrollbewegung und Nociception führen über Schwielenbildung zum neurotrophen Fuß­ulkus.

Eine Infektion und die häufig ko­existente Minderperfusion geben zur Weich­teilinflammation eventuell Osteomyelitis Anlass. Gangränbildung, Amputation, Meta­tarsalköpfchen-Resektionen führen zur weiteren Instabilität bis zum Charcot-Fuß und der diabetischen Osteo­arthropathie.

Es ist sehr wicht, dass man die diabetische Polyneuropathie rechtzeitig erkennt und behandelt. ­Dazu gehört auch, dass man gefährdete Füße mittels Pedobarographie erkennt. Im Enrstfall sollte man unbedingt entlastende Einlagen oder ortho­pädischer Schuhe tragen. Das gehört zu den Voraussetzungen, die Komplikation diabetische Polyneuropathie zu minimieren.

 


Literatur:

Eid S. New insights into the mechanisms of diabetic complications: role of lipids and lipid metabolism. Diabetologia. 2019 Sep;62(9):1539-1549. doi: 10.1007/s00125-019-4959-1. Epub 2019 Jul 25.

Myron A. Bodman; Matthew Varacallo. Diabetic Neuropathy. StatPearls [Internet]. Last Update: December 6, 2019.

Andrew J.M. Boulton. Management of Diabetic Peripheral Neuropathy. Clinical Diabetes 2005 Jan; 23(1): 9-15. https://doi.org/10.2337/diaclin.23.1.9

Cabezas-Cerrato J. The prevalence of clinical diabetic polyneuropathy in Spain: a study in primary care and hospital clinic groups. Neuropathy Spanish Study Group of the Spanish Diabetes Society (SDS). Diabetologia. 1998 Nov;41(11):1263-9.


Quellen:

Die diabetische Polyneuropathie. MEDMIX 06/2004. Prim. Univ.-Prof. Dr. Mario Francesconi.

http://www.mayoclinic.org/diseases-conditions/diabetic-neuropathy/basics/definition/con-20033336

http://www.joslin.org/info/diabetic_neuorpathy_nerve_damage_an_update.html

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