Donnerstag, April 18, 2024

Warum die Früherkennung von Symptomen einer Demenz so wichtig ist

Die Früherkennung von Symptomen einer Demenz bringt eine bessere Behandlung und ist auch wegen sozialer und rechtlicher Fragen sehr wichtig.

Die rechtzeitige Früherkennung von Symptomen einer Demenz spielt eine ­wichtige Rolle, denn sie ermöglicht in den letzten Jahrzehnten eine bessere Therapie. Zudem ist es wichtig wegen sozialer und rechtlicher Fragen. Ein wichtiges Abklärungsziel besteht im Erkennen behandelbarer demenzieller Syndrome (beispielsweise subdurales Hämatom, kardiale Emboliequelle, Schilddrüsenerkrankung etc.). Die Demenz-Diagnostik zur Demenz-Früherkennung bei ersten Symptomen ist aber vor allem für Risikogruppen wichtig.

Ein erhöhtes Demenzrisiko liegt vor allem bei Menschen mit hohem Lebensalter, Komorbiditäten (beispielsweise neurologische, Herz-Kreislauf-, metabolische oder Krebserkrankung), genetischer Belastung oder einer Depression vor. Besonders zu beachten ist das erhöhte Demenzrisiko bei Personen mit bereits vorhandenem, milden Verlust kognitiver Leistungen, wie etwa bei einem so genannten Mild Cognitive Impairment (MCI). Ein MCI ist charakterisiert durch eine von Außenstehenden und objektiven Befunden bestätigte Gedächtnisstörung, während nichtmnestische Leistungen und Alltagsaktivitäten ungestört sind (Petersen, 2001). Die jährliche Konversionsrate zur Alzheimer-Erkrankung ist deutlich höher als bei gesunden alten Menschen und liegt für Personen mit MCI je nach Studie zwischen 12 und 25%.



 

Erste Symptome der ­Demenz, die eine Früherkennung ermöglichen

Viele Menschen erleben den Verlust kognitiver Leistungen als Reaktion auf belastende Lebensereignisse. Dazu gehören vor allem eine eigene schwere körperliche Erkrankung, ein Pflege- oder Todesfall in der Familie oder andere gravierende Änderungen der Lebensumstände wie beispielsweise die Pensionierung oder eine »empty nest«-Situation mit der begleitenden Lebensumstellung.

Die ursächliche Deutung als reaktiv-psychisch trifft objektiv aber oft nicht zu und kann den Beginn einer »echten« Demenz maskieren. Verdächtig auf eine sich entwickelnde Demenz sind vor allem kombiniert auftretende Störungen des Alltagsgedächtnisses und komplexer Nicht-Routinetätigkeiten sowie bisher nicht beobachtete psy­chopathologische Auffälligkeiten. Diese Symptome gewinnen vor allem dann an Bedeutung, wenn sie von der Umgebung des Patienten bestätigt, als alltagsbehindernd und progredient beschrieben werden.

In der nachstehenden Tabelle 1 sind typische und häufig beobachtete Ausfälle bei beginnender Demenz erfasst, nach denen im Anamnese­-Gespräch gezielt gefragt werden sollte.




Früherkennung der Symptome im Alltag bei beginnender Demenz


Amnestische Leistungen – Alltagsgedächtnis:

  • Reduzierte Merkfähigkeit für neue Information (Gesprächsinhalte, Termine, Abmachungen, Nachrichten, ­ Lektüre, geplante Erledigungen etc.), Altgedächtnis (beispielsweise Autobiographie) meist gut erhalten Iteratives Fragen und Erzählen Verlust von Orientierung in neuer Umgebung Notwendigkeit, für viele Tätigkeiten und Details Notizen machen zu müssen

Exekutive Leistungen – Planung und Problemlösen:

  • Lösung von komplexen und Nicht-Routinetätigkeiten (beispielsweise Geld verwalten, Einkaufen, Urlaubsplanung, Familienfeier ­ organisieren, Funktion eines neuen Gerätes erlernen, Sachverhalte erklären)

Exekutive Leistungen – Selbstwahrnehmung und Urteilsvermögen

  • Reduziertes Einschätzungsvermögen für eigene Leistung; Regelverletzungen; Verlust von Fehlermonitoring, Krankheitseinsicht und Urteilskraft

Exekutive Leistungen – Generative Leistungen

  • Ideenarmut, Mangel an Assoziationen und Alternativen  beim Problemlösen

Exekutive Leistungen – Aufmerksamkeit

  • Vergessen, was man gerade vorhatte, holen oder sagen wollte, schlechtere Daueraufmerksamkeit

Werkzeugfunktionen – Sprache:

  • Wortfindungs-, Diskurs-, Abrufstörung (Objekte, Eigenna- men), Formulierungschwierigkeiten (beispielsweise Brief schreiben), Verständnisstörung für komplexe oder indirekte Sprache (Text, Metapher, Sprichwort, Humor)

Werkzeugfunktionen – Rechnen:

  • Fehler bei Kopfrechnen, Textaufgaben

Werkzeugfunktionen – Hobbies und Fertigkeiten:

  • Reduzierte Geschicklichkeit beim Basteln oder Musizieren,  Fehler beim Autofahren, Reduktion intellektueller Interessen

Werkzeugfunktionen – Raumverarbeitung:

  • Störung der topographischen Orientierung

Psychische Leistungen – Befindlichkeitsstörung:

  • Depression, Angst, Dysphorie

Psychische Leistungen – Wahn:

  • Verfolgungs-, Bedrohungsideen

Psychische Leistungen – Stereotypien,Rituale, Zwang:

  • Mangel an Flexibilität, immer gleiche Abläufe, Horten von Dingen, Zwangsgedanken

Psychische Leistungen – Antrieb:

  • Apathie, Lustlosigkeit, Überforderung

Psychische Leistungen – Verhaltenskontrolle:

  • Impulsivität, Irritierbarkeit, Agitiertsein

Psychische Leistungen – Sozialer Umgang:

  • sozialer Rückzug

Motorik

  • Bradykinese und Rigor, Störung der Optomotorik, Gangstörung, Stürze, Dysarthrie

Tag-Nachtrhythmus:

  • Ein-, Durchschlafstörung, Tagesmüdigkeit

Ess-, Suchtverhalten:

  • Bevorzugung einzelner Speisen (oft Süßigkeiten), Bulimie, Alkoholismus

Hygiene:

Verwahrlosung


Tabelle 1 zur Demenz-Früherkennung


Früherkennung und Diagnose einer Demenz

Eine Demenz wird vor allem klinisch diagnostiziert. Im Vordergrund der Erstabklärung stehen eine spezielle Anamnese (mit Fremdanamnese), eine neurologische und körperliche Untersuchung sowie Fragen zu Verhalten und Befindlichkeit. Vor Beginn einer umfassenden (und aufwändigen) Abklärung und zur globalen Einschätzung empfiehlt sich die Anwendung von Screeningmethoden (beispielsweise Mini Mental State Examination, Clinical Dementia Rating, Mattis Dementia Rating Scale, Uhrentest, Clinician’s Interview Based Impression of Change, Reisberg-Skalen, Blessed Dementia Scale etc.).

Laborbefunde, eine strukturelle Abklärung (CCT, besser MRT) und ein EEG sind zum Ausschluss bestimmter Pathologien (beispielsweise metabolisches Syndrom, Lungenerkrankung, vas­kuläre oder entzündliche cerebrale Erkrankung; Hirntumor, Normaldruckhydrocephalus; Delir, Anfallsleiden, Schlafapnö) unentbehrlich. Vor allem für die Alzheimer-Erkrankung haben sich klinische Diagnosekriterien (beispielsweise DSM IV, NINCDS-ADRDA) als sehr sensibel und spezifisch erwiesen (Chui, 2003).

Besonders wichtig ist die Erfassung von Gedächtnis- und anderen kognitiven Leistungen. Eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung ist die Basis für die individuelle Beurteilung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Normdaten, die Alter und Schuldbildung berücksichtigen, erlauben die Erstellung eines aussagekräftigen Defizitprofils. Einschränkungen bei Alltags- und psychischen Funktionen können mit speziellen Fragelisten erfasst werden (beispielsweise Functional Assessment Staging, ADCS Activities of Daily Living, Geriatrische Depressionsskala, neuropsychiatrisches Inventar etc.).



 

Diagnostik

Im Frühstadium kann größere diagnostische Sicherheit durch zusätzliche Spezialuntersuchungen (beispielsweise Perfusions- oder Dopamintransporter-SPECT-Untersuchung, EEG, Biomarker im Liquor, Gerucherkennungstest, quantitative Bildgebung im mesialen Temporallappen etc.) gewonnen werden. Eine Verlaufsuntersuchung zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose ist unerlässlich.

 

Differenzialdiagnose Demenz und Depression

Eine wichtige Differenzialdia­gnose der frühen Demenz ist die Depression, welche auch die häufigste Alterserkrankung darstellt. Patienten mit Depression leiden neben den depressiven »Kernsymptomen« auch an einer Störung von Gedächtnis, exekutiven Leistungen, Konzentration und Psychomotorik (»depressive Pseudodemenz«), die sich auch bei ausreichender antidepressiver Behandlung oft nur teilweise bessert. Antriebsminderung und Depression sind zugleich auch Risikofaktoren und sehr häufige Begleitsymptome der Alzheimer-Erkrankung.

Auch andere, neu aufgetretene psychische Erkrankungen (beispielsweise Angststörung, Panikattacken, Persönlichkeitsveränderungen, Verwirrtheit) können im höheren Alter eine Demenz-Abklärung notwendig machen. Das Bestehen einer körperlichen (beispielsweise Herz-Kreislauf-, gastrointestinale, Lungenerkrankung, chronisches Schmerzsyndrom, Karzinom-Erkrankung und -behandlung) oder cerebralen (beispielsweise vas­kuläre Vorschädigung, Trauma, Epilepsie etc.) Multimorbidität mit begleitenden kognitiven Ausfällen erschwert bei vielen Patienten eine klare Abgrenzung zur degenerativen Demenz. Schlafstörungen (Schnarchen, obstruktives Schlafapnösyndrom, abnorme Tagesmüdigkeit), Medikamenten- (beispielsweise Benzodiazepine) und chronischer Alkoholmissbrauch können vor allem im Alter mit einem erheblichen Verlust kognitiver Leis­tungen einhergehen.



 

Behandlung zu Beginn der Demenz

Eine degenerative Demenz besteht vermutlich bereits viele Jahre, bevor sie klinisch manifest wird. Im subklinischen Erkrankungsstadium kann das Gehirn durch Reservekapazitäten (»kognitive Reserve«) den relativen Verlust von beispielsweise Gedächtnis- oder Werkzeugfunktionen kompensieren. Eine andauernde Progredienz der Erkrankung führt schließlich zur alltagsrelevanten Störung von Gedächtnis- und anderen Leistungen. Obwohl derzeit noch keine medikamentöse Behandlung die Konversion von MCI zur Demenz sicher verhindern kann, ist das frühe Demenz-Screening für das Management dennoch wesentlich.

Moderne Behandlungsstrategien zielen gleichermaßen auf die Erfassung und Beseitigung von Risiken (beispielsweise Sekundärprophylaxe bei Gefäßsklerose, Therapie von Hochdruck, Stoffwechselerkrankungen, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz etc.) und ein Eindämmen der Krankheitsprogression durch Erhaltung der kognitiven Reserve ab. Bei gesicherter Diagnose ist der Effekt einer medikamentösen Behandlung erwiesen und soll früh genutzt werden. Das Behandlungsziel ist dabei vor allem die Verlangsamung der Krankheitsprogression. Zu den wichtigen nichtmedikamentösen Behandlungsstrategien zählen unter anderem ein Gedächtnistraining und die Schaffung eines »enriched environment«, also einer Umgebung, die regelmäßige und angepasste cerebrale Leistungen erfordert, ohne den Patienten zu überfordern oder reaktiv zu deprimieren (Verghese, 2006).




Literatur:

DenBoer JW. Cognitive intervention for early stage dementia: Research and techniques. Appl Neuropsychol Adult. 2018 Nov-Dec;25(6):562-571. doi: 10.1080/23279095.2017.1330748. Epub 2017 Sep 7. PMID: 28880690.
Robinson L, Tang E, Taylor JP. Dementia: timely diagnosis and early intervention. BMJ. 2015 Jun 16;350:h3029. doi: 10.1136/bmj.h3029. PMID: 26079686; PMCID: PMC4468575.

Quelle:

Demenz-Früherkennung. MEDMIX 7-8/2007

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