Mittwoch, April 24, 2024

Darmflora und Gehirn im Blickpunkt der Forschung

Darmflora und Gehirn stehen immer mehr im Fokus – Forscher entdeckten mehrere Zusammenhänge der menschlichen Darmflora und neurologischen Erkrankungen.

Darmbakterien beeinflussen die Gesundheit des Gehirns, dies ist derzeit Gegenstand moderner neurologischer Forschung. Wissenschaftler entdecken Wechselwirkungen zwischen der menschlichen Darmflora und Gehirn beziehungsweise neurologischen Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose (MS), der Parkinson-Krankheit oder dem Schlaganfall.

Mikrobiota: Darmflora aus Billionen von Mikroben

Die menschliche Darmflora ist ein eigener Mikrokosmos. Jeder Mensch beherbergt eine Wohngemeinschaft aus etwa 100 Billionen Bakterien. Die Darmflora, auch Mikrobiota oder Mikrobiom genannt, setzt sich aus schätzungsweise 1000 verschiedenen Arten von Darmbakterien zusammen, die in den Wänden des Darms und in dessen Inhalt siedeln. Die Darmflora ist wichtig für die Verdauung, die Abwehr von gefährlichen Keimen und Giften oder die Stärkung des Immunsystems. Jeder Mensch besitzt eine individuelle Lebensgemeinschaft von Mikroben, die schützende Funktionen hat – aber auch krank machen kann.

Die menschliche Darmflora erweitert die Zahl der menschlichen Körperzellen um ein Vielfaches. Sie bringt in den Körper 100-mal mehr Gene ein, als der Mensch besitzt. Neue Methoden der Erbgutentschlüsselung, die Gen-Sequenzierung, und die Bioinformatik brachten den Durchbruch in der Darmflora-Forschung. Selbst äußerst komplexe Metagenome, also die Gene aus einer Bakterienmixtur, können schnell analysiert werden. Ziel ist es, individuelle mikrobielle Risikoprofile zu identifizieren, die Menschen zum Beispiel für MS anfällig machen. Dadurch könnten sich völlig neue Möglichkeiten zur Vorbeugung und Therapie der Multiplen Sklerose eröffnen.

Mikrobiota: Fernsteuerung der Autoimmunreaktion bei Multipler Sklerose

Dass es zwischen Darmflora und Gehirn eines Menschen sowie der Entstehung der Multiplen Sklerose eine Verbindung gibt, wurde schon in Tierstudien nachgewiesen. Multiple Sklerose ist eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems, bei der das körpereigene Immunsystem Nervenstrukturen angreift und zerstört. Bei der Entstehung der MS spielen Gene und Umweltfaktoren eine Rolle. Zu Letzteren zählen beispielsweise eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus, Rauchen, Adipositas in der Kindheit oder ein Mangel an Vitamin D.

Un Untersuchungen mit genetisch veränderten Mäusen wurden eine Gruppe unter sauberen, aber nicht keimfreien Bedingungen gehalten. Diese Tiere entwickelten eine Krankheit, die der schubförmigen MS ähnlich ist – die experimentell-autoimmune Enzephalomyelitis. Im Gegensatz dazu waren jene Tiere, die unter Keimfreiheit gehalten wurden, vor dieser Krankheit geschützt. Sobald der Darm dieser „keimfreien“ Mäuse aber mit der Darmflora von normal aufgewachsenen Tieren besiedelt wurde, erkrankten sie ebenfalls sofort spontan an experimentell-autoimmune Enzephalomyelitis.

Ernährung und die Entwicklung von Multiple Sklerose

Welche Arten von Mikroben und in welcher Anzahl sie im menschlichen Darm vorkommen, hängt entscheidend von der Ernährung und von immunologischen Prozessen im Darm ab. Forscher konnten zur Verbindung zwischen MS, Ernährung und der Darmflora zeigen, dass der zunehmende Gehalt von Kochsalz in der modernen Ernährung eine entzündungsfördernde Wirkung bei MS entfalten kann. Auch die Zusammensetzung verschiedener Fettsäuren in der Nahrung scheint die Entwicklung dieser Autoimmunerkrankung zu beeinflussen, wie noch unveröffentlichte Studienergebnisse belegen. Sie verändern das Vorkommen bestimmter Immunzellen, die an der Entstehung und dem Verlauf der Multiplen Sklerose beteiligt sind. Die Forscher arbeiten bereits an einer Fettsäure-Diät für MS-Patienten.

Dass die Ernährung die Entwicklung von MS beeinflussen könnte, zeigt auch folgendes Beispiel: In Japan hat die Häufigkeit der MS in den letzten Jahren zugenommen. Ein Grund könnte die Umstellung der traditionellen asiatischen Ernährung auf westliche Ernährungsweisen und die damit verbundene Veränderung der Darmflora sein, vermuten Forscher.

In Zukunft könnte man die Darmflora gezielt über die Ernährung beeinflussen, etwa mit Präbiotika und Probiotika. Auch Antibiotika könnten die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft im Darm modulieren. Geforscht wird auch an der sogenannten Fäkaltransplantation, bei der die Mikrobiota eines gesunden Spenders auf eine Person übertragen werden, die zum Beispiel an MS erkrankt ist. Dieses Verfahren wurde schon bei Patienten mit einer schweren Darminfektion erfolgreich eingesetzt.

Quellen:

Hohlfeld R., Wekerle H. Multiple Sklerose und Mikrobiota. Vom Genom zum Metagenom? Nervenarzt 2015, doi: 10.1007/s00115-014-4248-7
Berer K. et al. Commensal microbiota and myelin autoantigen cooperate to trigger autoimmune demyelination, Nature 479, 538–541, 24 November 2011, doi:10.1038/nature10554
Haghikia A. et al. Immunity (2015), in press

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