Donnerstag, März 28, 2024

Darmbakterien und Darmkrebs

Wie Darmbakterien das Wachstum von Darmkrebs kontrollieren und was wir daraus für neue Therapien lernen, erörtert Prof. Dr. Sebastian Zeißig in seinem Statement.

Darmkrebs ist eine der häufigsten Tumorformen in der westlichen Welt [1]. In Deutschland stellt Darmkrebs eine der drei häufigsten Krebsformen dar, wobei jährlich etwa 60.000 Neuerkrankungen diagnostiziert werden [1]. Mit circa 25 000 Krebstodesfällen pro Jahr ist Darmkrebs nach dem Lungenkrebs auch eine der führenden Ursachen für die Krebssterblichkeit [1].

Aus der Tatsache, dass Darmkrebs im Frühstadium typischerweise auch keine Krankheitssymptome aufweist erklärt sich, dass die Diagnosestellung zumindest in Personen die nicht die empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen nutzen häufig in fortgeschrittenen und metastasierten Stadien erfolgt.

Darmkrebs entsteht aus der Schleimhaut des Darmes oder, genauer gesagt, aus dessen Deckschicht, dem sogenannten Darmepithel. Das Epithel trennt das weitestgehend keimfreie Körpergewebe vom Darminhalt, der neben Viren und Pilzen geschätzte 10 bis 100 Billionen Bakterien enthält und somit eines der am dichtesten besiedelten mikrobiellen Reservoire darstellt.

Interessanterweise ist das Darmepithel kein statisches Gewebe sondern erneuert sich in rapider Weise, so dass im Dünndarm alle drei bis fünf Tage und im Dickdarm alle fünf bis sieben Tage ein kompletter Zellaustausch stattfindet. Diese Regeneration geht von Stammzellen aus, die sich innerhalb des Darmepithels befinden.

Krankheitsprozesse die diese regenerativen Vorgänge stören wie etwa Chemotherapien oder Bestrahlungen führen zu ausgeprägten und teils lebensbedrohlichen Beschwerden wie schweren Wasser- und Elektrolytverlusten. Darüber hinaus ist die Regeneration des Darmepithels von entscheidender Bedeutung für die Heilung von Schleimhautdefekten wie beispielsweise bei Entzündungsprozessen oder Infektionen.

Umgekehrt gilt jedoch, dass insbesondere genetische Veränderungen, dass heißt Mutationen, die zu einer verstärkten Zellteilung im Darmepithel führen in einem unkontrollierten Zellwachstum münden können. Dies ist das Grundprinzip der Entstehung von Darmkrebs.

Revolutionäre wissenschaftliche Arbeiten vor mehr als 25 Jahren konnten zeigen, dass Darmkrebs aus einer sukzessiven Anreicherung genetischer Mutationen resultiert [2]. So entstehen aus einem gesunden Gewebe zunächst gutartige Polypen, aus denen wiederum nach weiteren Mutationen bösartige, invasive Karzinome, dass heißt Darmkrebs im eigentlichen Sinne entstehen kann [3].

Dieser Prozess dauert viele Jahre und erfordert, dass Zellen in einem Zufallsprozess Mutationen in den „richtigen“ Genen und in der „richtigen“ zeitlichen Abfolge akquirieren. Dabei erfolgt eine Art evolutionäre Selektion, in der Mutationen die mit einer verstärkten Zellteilung einhergehen einen Überlebensvorteil erwerben. Darüber hinaus haben Forschungsergebnisse der letzten Jahre gezeigt, dass vor allem Mutationen die das Stammzellkompartiment betreffen zu Darmkrebs führen, da nur Stammzellen vor Ort verbleiben, während die aus den Stammzellen hervorgehenden Zellen wie eingangs geschildert bereits nach wenigen Tagen aufgrund der Regeneration abgeschilfert werden. Insgesamt dauert der Prozess von der ersten Mutation über das Stadium von Polypen bis hin zum Darmkrebs viele Jahre. Das erklärt auch die Wirksamkeit der Darmspiegelung in der Vorsorge von Darmkrebs: Polypen sind zunächst gutartige Veränderungen. Wenn diese vollständig abgetragen werden kann aus ihnen kein Darmkrebs entstehen.

Darmkrebs stellt somit die Konsequenz genetischer Mutationen dar. Faszinierende Arbeiten der letzten Jahre haben jedoch gezeigt, dass dieser Prozess durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflussbar ist. So können neben Bestandteilen der Ernährung vor allem Entzündungsprozesse die Entstehung von Darmkrebs regulieren. Entzündungsprozesse, wie sie beispielsweise bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie dem Morbus Crohn oder vor allem der Colitis ulcerosa beobachtet werden, fördern über entzündliche Botenstoffe, aber auch über eine Schädigung des Darmes und die damit verbundene verstärkte Regeneration die Darmkrebsentstehung [3]. Interessante Daten der letzten Jahre zeigten dabei, dass selbst in der Abwesenheit chronischer Darmentzündung, dass heißt in typischen Fällen von Darmkrebs, auf molekularer Ebene Entzündungsprozesse stattfinden, die in zentraler Weise zum Wachstum von Darmkrebs beitragen [3]. Darüber hinaus haben wir gelernt, dass die Mikrobiota des Darmes eine wesentliche Rolle in der Aktivierung dieser Entzündungsvorgänge spielt [4].

Diese Vorgänge haben wir in einer aktuellen Forschungsarbeit im Detail weiter untersucht [5]. Dabei konnten wir die Beobachtung machen, dass bereits frühe und gutartige Vorstufen von Darmkrebs mit einer Störung der Gewebearchitektur verbunden sind, die dazu führt, dass sich Bakterien Zugang zum ansonsten weitestgehend keimfreien Darmgewebe verschaffen. Das ist verbunden mit der Erkennung von Bakterienwandbestandteilen durch Rezeptoren, die sowohl auf Immunzellen als auch auf dem Darmepithel zu finden sind. Die Erkennung von Bakterien durch diese Rezeptoren aktiviert dann Entzündungsprozesse. Das erscheint auf den ersten Blick als nachvollziehbarer und vernünftiger Weg der Immunabwehr. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass diese Entzündungsprozesse aktiv zum Wachstum von Darmkrebs beitragen, das heißt Darmbakterien das Krebswachstum steuern.

So konnten wir zeigen, dass die Erkennung von Bakterien über das Darmepithel ein Eiweiß aktiviert, das sich Calcineurin nennt. Dieses Eiweiß kennt man seit mehr als zwei Jahrzehnten, denn es spielt eine zentrale Rolle in der Aktivierung von Immunzellen. Wir konnten jedoch zeigen, dass dieses Eiweiß interessanterweise auch im Darmepithel vorhanden ist und in Folge der Erkennung von infiltrierenden Bakterien aktiviert wird – und zwar insbesondere in Stammzellen des Darmepithels. Dort fungiert Calcineurin als Schnittstelle, die die Zellteilung von Tumorstammzellen fördert. Zusammengefasst führen Störungen der Gewebearchitektur im Bereich von frühesten Vorstufen von Darmkrebs somit zur Infiltration des Gewebes mit Darmbakterien, die dann über die Aktivierung von Entzündungsprozessen das Krebswachstum fördern.

Das hat möglicherweise relevante Implikationen vor allem für die Prävention von Darmkrebs. So konnten wir zeigen, dass die Gabe von Antibiotika in Mäusen das Wachstum von Darmkrebs deutlich reduzieren kann [5]. Antibiotika sind aufgrund ihrer Nebenwirkungen und des mehrjährigen Wachstums von Darmkrebs natürlich keine geeignete Maßnahme zur Prävention. Wir wissen aber, dass sich im Bereich von Darmpolypen und Darmkrebs bestimmte Darmbakterien anreichern, die die angesprochenen Entzündungsvorgänge ganz besonders stimulieren. Hier ist denkbar, dass man beispielsweise durch Probiotika, das heißt durch „gute“ Bakterien eben diese krebsfördernden Bakterien verdrängt. Darüber hinaus wäre vorstellbar, probiotische Bakterien so zu verändern, dass sie Botenstoffe freisetzen, die krebsfördernde Entzündungsprozesse hemmen. Diese Strategien testen wir aktuell im Labor.

Ich denke insofern, dass zukünftige Strategien zur Darmkrebsvorsorge in gezielter Weise Darmbakterien als therapeutische Vehikel nutzen könnten. So ist denkbar, dass der Joghurt der Zukunft vielleicht bereits die Entstehung von Vorstufen von Darmkrebs blockieren könnte. Aber hiervon trennen uns sicher noch 20 bis 30 Jahre intensiver Forschung.

Quelle:

Professor Dr. med. Sebastian Zeißig
Professor Dr. med. Sebastian Zeißig

Statement von Professor Dr. med. Sebastian Zeißig, Medizinische Klinik I – Universitätsklinikum Dresden und Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD), Technische Universität Dresden anlässlich der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, 2016.

Literatur:

1. Robert-Koch-Institut. Krebs in Deutschland 2011/2012. 2015,10. Ausgabe.

2. Fearon ER, Vogelstein B. A genetic model for colorectal tumorigenesis. Cell 1990,61(5),759-67.

3. Terzic J, Grivennikov S, Karin E, Karin M. Inflammation and colon cancer. Gastroenterology 2010,138(6),2101-14 e5.

4. Sears CL, Garrett WS. Microbes, microbiota, and colon cancer. Cell Host Microbe 2014,15(3),317-28.

5. Peuker K, Muff S, Wang J, et al. Epithelial calcineurin controls microbiota-dependent intestinal tumor development. Nat Med 2016,22(5),506-15.

Related Articles

Aktuell

Steviosid: Eine revolutionäre Alternative zu Zucker

Mit seiner Süßkraft, die deutlich stärker ist als die von Zucker, hat Steviosid (ohne jegliche Kalorien) die Welt der Süßstoffe revolutioniert. Mit einer Süßkraft, die...
- Advertisement -

Latest Articles

Digital Detox: Der Weg zu einer besseren Männergesundheit

Die Entscheidung für einen Digital Detox ist ein Schritt hin zu bewussterem Leben und Arbeiten. In unserer heutigen, digital dominierten Welt ist es kaum noch...

Gartenmelde und seine Heilwirkung

Die Gartenmelde kommt in der Volksmedizin mit seiner diuretischen (harntreibenden) Heilwirkung als Brechmittel und als Abführmittel zum Einsatz. Gartenmelde ist ein vielseitiges Kraut in Küche...

Biosimilars in der Therapie der Psoriasis

Vergleich der Wirksamkeit und Sicherheit von Biosimilars mit Original-Biologika für die Behandlung von Psoriasis lässt Fragen offen. Bei der Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Psoriasis...