Freitag, April 19, 2024

CRISPR/Cas9-Gentherapie bei Sichelzellenanämie und Beta-Thalassämie

Die im Jahr 2020 Nobelpreis prämierte Crispr/Cas9-Gentherapie zeigt auch Erfolge zur Behandlung der Beta-Thalassämie und der Sichelzellenanämie.

Vor rund einem Jahr, Ende 2019, wurde weltweit erstmals bei einer Beta-Thalassämie-Patientin am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) durch Professor Selim Corbacioglu, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation, die CRISPR/Cas9-Gentherapie angewandt. Im nächsten Schritt der Studie konnten erste Erfolge der CRISPR/Cas9-Gentherapie auch bei der Behandlung von drei Patienten mit einer Sichelzellenanämie verzeichnet werden. Die Ergebnisse der insgesamt ersten sieben Patienten wurden nun im renommierten New England Journal of Medicine, mit Professor Corbacioglu als Letztautor, veröffentlicht. Im Interview beleuchtet er die Vorteile des CRISPR/Cas9-Verfahrens und gibt einen Ausblick auf eine mögliche Weiterentwicklung der gewonnenen Erkenntnisse.

 

Die Studien-Ergebnisse bei der Behandlung von Patienten mit Beta-Thalassämie und Sichelzellenanämie mittels der CRISPR/Cas9-Gentherapie geben Anlass zur Hoffnung. Welche konkreten Möglichkeiten bieten sich dadurch in der medizinischen Therapie und welche Vorteile bringt diese für Patienten?

Professor Corbacioglu: Beta-Thalassämie und die Sichelzellanämie sind Erkrankungen, denen ein erblich bedingter Gendefekt zugrundeliegt, welcher die Hämoglobinbildung hemmt. Die Entwicklung der CRISPR/Cas9-Gentherapie konnte erstmals zeigen, dass Gen-Editierung, also die gezielte Veränderung des Genoms, nicht nur im Reagenzglas ‚funktioniert‘. Sondern die Gentherapie auch nachhaltig und längerfristig die Lebensqualität schwerkranker Menschen mit Beta-Thalassämie und die Sichelzellanämie verbessern.

Für Patienten, die an Beta-Thalassämie oder der Sichelzellerkrankung leiden, war die Hoffnung auf Heilung bislang stets mit einer Blutstammzelltransplantation verbunden. Jedoch findet sich manchmal kein Spender oder eine solche Transplantation kann aufgrund diverser Risikofaktoren nicht durchführbar sein. Dann sind betroffene Thalassämie-Patienten auf regelmäßige Bluttransfusionen angewiesen. Und Sichelzellpatienten leiden weiter an den schweren Schmerzkrisen und anderen Komplikationen dieser Erkrankung – mit all ihren potentiell lebensverkürzenden Nebenwirkungen.

Bei beiden Krankheitsbildern, Beta-Thalassämie und Sichelzellanämie, soll und kann, soweit der bisherige Stand der Wissenschaftler, nun die CRISPR/Cas9-Gentherapie helfen, die erkrankten Blutzellen durch genetisch veränderte Blutzellen zu ersetzen. Diese Entwicklung ist ein riesiger und wichtiger Schritt in eine Richtung, die es Ärzten ermöglicht, jetzt über weitere Krankheiten nachzudenken, für die eine Heilung bis dato jenseits unserer Möglichkeiten lag.

 

Wo im Körper setzt das CRISPR/Cas9-Verfahren an? Was geschieht, um den Gendefekt zu beheben?

Professor Corbacioglu: Blutstammzellen des Patienten werden entnommen. In einem speziellen Gentherapie-Labor werden die Stammzellen mit dem CRISPR/Cas9-Gentherapie so verändert, dass die Blockade der fötalen Hämoglobinbildung, die natürlicherweise nach der Geburt einsetzt, wieder aufgehoben wird. Danach werden die Zellen, wie bei einer regulären Stammzelltransplantation, dem Patienten wieder infundiert. Funktioniert das wie in den bisherigen Studienergebnissen, hat das zur Folge, dass sich die Patienten keiner Bluttransfusion und dementsprechend auch keiner Blutstammzelltransplantation mehr unterziehen müssen.

 

Das CRISPR/Cas9-Gentherapie bringt erhebliche Verbesserungen in der Therapie von Patienten mit Beta-Thalassämien und Sichelzellanämie mit sich. Existieren bereits weitere Forschungsansätze, um auch andere genetisch bedingte Erkrankungen zu behandeln?

Professor Corbacioglu: Das CRISPR/Cas9-Verfahren ist mittlerweile das am weitesten verbreitete Gentherapie-Verfahren. Damit versucht man jetzt, Therapieansätze für eine ganze Reihe genetischer Defekte zu finden. Auch in der Pflanzenbiologie kommt das Verfahren bereits sehr breitflächig zum Einsatz. Denn es ist sicherer, schneller und kostengünstiger als alle anderen bis dato bekannten Verfahren.

 

Welche Bedeutung hat eine Veröffentlichung der aktuellen Studienergebnisse im hochangesehenen New England Journal of Medicine. Und lassen sich daraus weitere Vorteile generieren?

Professor Corbacioglu: Eine Veröffentlichung der aktuellen Studienergebnisse in der weltweit renommierten medizinischen Fachzeitschrift zeigt, wie wichtig und bahnbrechend die Erkenntnis ist, dass dieses vielversprechende Verfahren erfolgreich beim Menschen eingesetzt werden kann. Die Erwartungen an das CRISPR/Cas9-Verfahren sind sehr hoch, denn weit mehr als 40 klinische Studien rekrutieren Patienten mit den unterschiedlichsten Erkrankungen von der Hornhautentzündung bis zum Nierenzellkarzinom.


Literatur:

Frangoul H, Altshuler D, Cappellini MD, Chen YS, Domm J, Eustace BK, Foell J, de la Fuente J, Grupp S, Handgretinger R, Ho TW, Kattamis A, Kernytsky A, Lekstrom-Himes J, Li AM, Locatelli F, Mapara MY, de Montalembert M, Rondelli D, Sharma A, Sheth S, Soni S, Steinberg MH, Wall D, Yen A, Corbacioglu S. CRISPR-Cas9 Gene Editing for Sickle Cell Disease and β-Thalassemia. N Engl J Med. 2020 Dec 5. doi: 10.1056/NEJMoa2031054. Epub ahead of print. PMID: 33283989.


Quelle:

Universitätsklinikum Regensburg

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