Montag, März 18, 2024

Cannabidiol zeigt Wirkung bei psychischen Störungen und Sucht

Die Forschungen zur Wirkung von Cannabidiol zeigen neue Anwendungsgebiete für Cannabidiol wie bei psychischen Erkrankungen und Sucht.

Im Grunde genommen zeigen Arzneimittel auf der Basis der Cannabinoide Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC) bei zahlreichen Anwendungen vielfältige positive Wirkung. Wobei der Einsatz von Cannabisblüten, Cannabisblättern oder Cannabisharz in Europa unterschiedlich geregelt ist. Nach wie vor sehen viele Experten deren Einsatz sehr skeptisch gesehen.

 

Cannabinoide zur medizinischen Anwendung

Unter dem Strich ist Diskussion über Anwendungsmöglichkeiten, Wirksamkeit sowie mögliche Risiken von Cannabinoid-basierten Arzneimitteln und Cannabis jedenfalls hochaktuell. Denn die Wirkung der Cannabinoide Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC) gewinnt in der Medizin weiter an Bedeutung. Erst unlängst haben die EU-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein mit Epidiolex erstmals in den EU-Staaten sowie in Norwegen, Island und Liechtenstein ein CBD-Fertigarzneimittel zugelassen. Zugleich ranken sich um deren Einsatz auch viele Mythen und Missverständnisse.

 

Wirkung von Cannabidiol und Tetrahydrocannabinol

Das körpereigene Endocannabinoid-System hat vielfältige Regulationsaufgaben im Organismus. Cannabidiol und Tetrahydrocannabinol docken an den im gesamten Köper vorhandenen CB-Rezeptoren an und entfalten so sehr vielfältige Wirkungen. Wie Prof. Philip McGuire (Department of Psychosis Studies, King’s College, London) beim European Health Forum Gastein berichtete, haben THC und CBD trotz ähnlicher molekularer Struktur höchst unterschiedliche psychopharmakologische Eigenschaften. CBD ist im Gegensatz zu THC nicht psychotrop. „In vielen Gehirnregionen hat CBD die gegenteiligen Wirkungen auf die Gehirnfunktion als dies THC“, so Prof. McGuire. „THC kann bei gesunden Personen akute psychotische Symptome und Angstzustände verursachen, diese Wirkung ist jedoch abgeschwächt, wenn zuvor CBD verabreicht wurde.“

 

Cannabidiol mit vielfältiger Wirkung

CBD habe, so der Experte, das Potenzial für eine neue Behandlungsoption bei psychotischen Symptomen und Angstzuständen. In einer Studie, die in Großbritannien, Polen und Rumänien durchgeführt wurde, zeigten Schizophrenie-Patientinnen und -Patienten nach einer sechswöchigen Behandlung mit CBD nicht nur einen deutlichen Rückgang der Symptomatik, sondern auch eine Verbesserung ihrer kognitiven Fähigkeiten. Der genaue Wirkmechanismus ist zwar noch nicht erforscht, allerdings beruht er nicht auf dem Dopamin-Rezeptor-Antagonismus herkömmlicher antipsychotischer Medikamente, betonte Prof. McGuire. Derzeit laufen umfangreiche Studien, die den Nutzen von CBD als neue Therapie bei psychischen Erkrankungen klären sollen.

 

CBD bei psychischen Erkrankungen

Auf Studien seines Teams zur Wirkung von CBD bei psychischen Erkrankungen verwies in Bad Hofgastein auch Prof. Paul Amminger von der Universität Melbourne. Im Rahmen einer open label Pilotstudie an 30 Jugendlichen mit Angststörungen im Vorjahr zeigten sich bei 90 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer klinische Verbesserungen, berichtete der Experte: „Bei etwas mehr als der Hälfte der Teilnehmer waren die Verbesserungen sogar deutlich oder sehr deutlich. Angstsymptome gingen dabei durchschnittlich um etwa 50 Prozent vom Ausgangswert zu Studienbeginn zurück. Auch die Verbesserung depressiver Symptome war statistisch signifikant. Diese Verbesserungen sind bei einer zuvor therapieresistenten Patientengruppe bemerkenswert, müssen aber in einer größeren, Placebo kontrollierten Studie bestätigt werden.“

 

Cannabidiol zeigt Wirkung bei Schizophrenie

Ebenfalls im Vorjahr konnte in einer Placebo-kontrollierten Studie die klinische Wirksamkeit von CBD (1000mg Tagesdosis) an 88 Patienten mit Schizophrenie, die trotz Behandlung mit Antipsychotika psychotische Symptome hatten, gezeigt werden. „Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass CBD psychotische Symptome über einen neuen zusätzlichen Wirkmechanismus beeinflussen kann. Auch in dieser Studie erwies sich CBD als gut verträgliche und sichere Behandlung“, so Professor Amminger. „Aufgrund der hohen Sicherheit und guten Verträglichkeit ist CBD auch ein idealer Kandidat, um für die Frühbehandlung beginnender psychotischer Störungen getestet zu werden. Im Gegensatz zu vielen anderen antipsychotisch wirksamen Substanzen ist CBD sogar neuroprotektiv wirksam.“

Es laufen zur Zeit einige randomisierte kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit von CBD bei Suchterkrankungen untersuchen. Das Wirkungsspektrum von CBD ist auch darüber hinaus sehr vielfältig. Das soeben in der EU zugelassene Fertigarzneimittel wird bei seltenen und schweren Formen der kindlichen Epilepsie eingesetzt. Hochdosiertes CBD kann in Kombination mit Opioiden und anderen Schmerzmedikamenten auch bei sonst therapieresistenten Schmerzsymptomen eingesetzt werden. Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt, verweist auf die Wirksamkeit der Substanz bei der Behandlung von Patienten mit Glioblastom.

„Die Schmerzen dieser Hirntumor-Patienten gehen zurück, ihre depressive Verstimmung und die Schlafqualität bessern sich eindeutig und auch die chronische Erschöpfung lässt nach. Neueste Daten aus einer Fallserie, die wir gerade publiziert haben, lassen darüber hinaus darauf schließen, dass bei dieser Patientengruppe nicht nur die Lebensqualität verbessert wird, sondern dass sie auch eine längere Überlebenszeit haben.“ Mögliche weitere Einsatzgebiete von CBD sind unter anderem Morbus Parkinson, die Graft-versus-Host-Reaktion bei Transplantationen oder Hauterkrankungen mit starkem Juckreiz.

 

Tetrahydrocannabinol: Vielfältige Anwendung von Übelkeit bis Schmerzen

THC als Fertig- oder Rezepturarzneimittel hat ebenfalls ein potenziell weit gefächertes Anwendungsspektrum. So wird es etwa auch in einem Positionspapier der Europäischen Schmerzföderation EFIC bei chronischem neuropathischem Schmerz als Add-on-Therapie zur herkömmlichen medikamentösen Behandlung empfohlen. Bei anderen chronischen Schmerzen kann THC als individueller Therapieversuch zum Einsatz kommen. Gute Ergebnisse zeigt THC unter anderem auch bei der Behandlung von Chemotherapie-bedingter Übelkeit oder schmerzhafter Spastik bei Multipler Sklerose. Darüber hinaus gibt es Belege für Anwendungsgebiete wie Appetitlosigkeit, etwa bei Krebspatienten, oder verschiedenen chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie Rheumatoide Arthritis oder Darmerkrankungen.

 

Reinsubstanzen wirksamer und sicherer

Mit anderen Worten sind Cannabinoide beziehungsweise Zubereitungen aus Cannabis in unterschiedlichen Formen verfügbar. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind in den einzelnen EU-Staaten aber recht unterschiedlich. Für medizinische Zwecke stehen Fertigarzneimitteln oder in der Apotheke („magistraliter“) zubereitete Arzneimittel aus natürlichen oder synthetischen Reinsubstanzen zur Verfügung. Und zwar mit einem sehr hohen CBD- und THC-Anteil. Diesen Zubereitungen stehen Produkte gegenüber, die aus der Pflanze gewonnene Extrakte enthalten. Wobei dabei oft sehr niedriger Dosierungen vorliegen. In einigen Ländern wie etwa Deutschland, Italien, den Niederlanden oder Großbritannien ist medizinisches Cannabis („Cannabis medicinalis“: Kraut, Blüten, Harz) nach ärztlicher Verschreibung freigegeben.

Ob letzteres tatsächlich einen Nutzen bringt ist, sehen viele Expertinnen und Experten skeptisch. Denn es gibt keine Hinweise, dass medizinisches Cannabis wirksamer oder sicherer wäre als die bereits verschreibbaren und gut untersuchten Cannabinoid-Reinsubstanzen. Oder auch zugelassenen Cannabis-basierte Medikamente. Diese sind, wie auch die Europäische Schmerzföderation EFIC in ihrem Positionspapier zu Cannabinoiden betont, schon wegen der Dosis- und Anwendungssicherheit, wann immer möglich, dem Konsum von Pflanzenteilen vorzuziehen.

Im Bereich der Psychiatrie kommen bei Personen im Alter zwischen 12 und 25 Jahren lediglich reines CBD (>99.5%) in Frage. Und zwar zur Behandlung von Angst, Depression sowie psychotischen Symptomen. Denn das THC kann Psychosen auslösen oder schon bestehende psychotische Symptome verstärken. Zudem kann es verschieden andere psychiatrische Symptome hervorrufen.

 

Cannabis – viele Fragen zum Risiko einer Abhängigkeit ungeklärt

In diesem Sinne gibt es wenig gesichertes Wissen über die Zahl der Cannabis abhängigen Menschen sowie das Risiko für eine Abhängigkeit. Beobachtungsstudien zum „Freizeitgebrauch“ beziffern die Raten von Abhängigkeit bei Personen, die im vorangegangenen Jahr Cannabis konsumiert hatten. Und zwar mit 0,5 bis zu 42 Prozent.

Solche weit auseinander liegenden Schätzungen sind ein Hinweis, dass es hier Probleme bei der Erhebung der Daten gibt. Zudem bei der einheitlichen Diagnose einer Abhängigkeit. Das hat jedenfalls auch Konsequenzen für die Politik. Denn die Politiker haben keine zuverlässige Datenbasis für Entscheidungen. Beispielsweise über die Liberalisierung des Konsums von Cannabis.

Das Risiko für eine Abhängigkeit sollte jedenfalls nicht unterschätzt werden. Dementsprechend gibt es etliche Untersuchungen dazu. Denn das THC kann das Risiko, an einer psychotischen Störung zu erkranken, erhöhen. Das Risiko scheint zudem höher zu sein, wenn der THC Konsum früh im Leben beginnt. THC hat außerdem ein hohes Abhängigkeitspotential und kann zu einer Vielzahl von psychiatrischen Störungen beitragen.

 

Wirksamkeit von Cannabis – Perspektiven von Wissenschaft und Patienten

Was den Gebrauch von Cannabis für medizinische Zwecke betrifft, ist die Perspektive der evidenzbasierten Medizin und die der Patienten unterschiedlich. Patienten sind aber auch ohne harte Evidenz häufig davon überzeugt, dass sie von Cannabis profitieren könnten. Hierzu gibt es beispielsweise klinische Studien zum Einsatz von Cannabis bei Multipler Sklerose. Neben den klinisch-wissenschaftlichen Ergebnissen sollen hierzu zudem auch Erfahrungen der Patienten in Bezug auf die Lebensqualität einfließen.

 

Ruf nach Konsumentenschutz: CBD ins Arzneibuch

Im Zuge des aktuellen „CBD-Hypes“ sind in zahlreichen europäischen Ländern CBD-Extrakte frei erhältlich. Man verkauft sie unter anderem als Öle, Tees oder in Nahrungsmitteln. Ihre Verwendung zur Selbstmedikation können jedoch bedenklich sein. Denn oft ist unklar, wie viel CBD sie enthalten. Zudem können sie verunreinigt sein und enthalten immer auch einen gewissen Anteil an THC..

In Österreich gilt jedenfalls CBD neuerdings als „Novel Food“- Damit darf man es ohne Aufnahme in die entsprechende EU-Liste im Grunde genommen nicht in den Handel bringen. Das hat jedoch laut Experten nicht wesentlich zur Klärung der Lage beigetragen. Sie fordern im Sinne des Konsumentenschutzes, dass CBD in das österreichische Arzneibuch aufgenommen und der einfachen Rezeptpflicht unterworfen wird. Auch eine Aufnahme in das Europäische Arzneibuch wäre eine hilfreiche Maßnahme.


Literatur:

McGuire et al. Cannabidiol (CBD) as an Adjunctive Therapy in Schizophrenia: A Multicenter Randomized Controlled Trial. Am J Psychiatry 2018;175(3)

Likar et al. Concomitant Treatment of Malignant Brain Tumors With CBD – A Case Series and Review of the Literature. Anticancer Research 2019, doi:10.21873/anticancerres.11xx

Häuser W, Finn DP, Kalso E, Krcevski-Skvarc N, Kress HG, Morlion B, Perrot S, Schäfer M, Wells C, Brill S. European Pain Federation (EFIC) position paper on appropriate use of cannabis-based medicines and medical cannabis for chronic pain management. Eur J Pain. 2018 Oct;22(9):1547-1564


Quellen: European Health Forum Gastein 2019: Workshop Session L2 -Thursday, October 3, 12:00-13:30: Medical use of cannabis and cannabinoids

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