Freitag, April 19, 2024

Telemedizin erlebte zuletzt einen Boom, kann sie Lösung für Ärztemangel sein?

Telemedizin bietet in vielen Bereichen Vorteile, zu Coronazeiten kam sie verstärkt zum Einsatz. Kann aber Telemedizin auch den Ärztemangel beheben?

Nicht wenige sehen in der Telemedizin einen Weg den Ärztemangel, besonders in ländlichen Regionen auszugleichen. Fakt ist, dass auf der einen Seite in Deutschland zwar so viele Ärzte wie noch nie arbeiten. Auf der anderen Seite fehlen jedoch im ländlichen Raum so etwa in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen oder Sachsen-Anhalt Ärzte.

 

Telemedizin: Kann sie den Ärztemangel auffangen?

Bestehende Arztjobs können oft nicht besetzt werden. Vor allem bei bestimmten Fachrichtungen gibt es Engpässe. So wollen sich beispielsweise immer weniger Ärzte zum Kinder- und Jugendmediziner ausbilden lassen. Aber auch in den Ballungsgebieten wird es wegen überfüllten Praxen zum Teil immer schwieriger einen Termin zu ergattern, wenn es sich nicht gerade um einen Notfall handelt.

Hinzu kommt, dass die Zahl der Medizinstudenten abnimmt und ein nicht geringer Prozentsatz von Ärzten auch in Teilzeit arbeitet. Die Deutschen werden immer älter und haben im zunehmenden Alter mehr und vor allem auch chronische Beschwerden. Die Patienten spüren den Ärztemangel in langen Wartezeiten auf einen Termin und auch in den Praxen.

Vor allem Menschen, die an chronischen Krankheiten wie Diabetes leiden und beispielsweise regelmäßig Gesundheitsdaten wie den Blutzucker oder Blutdruck mit dem Arzt besprechen müssen, messen können sie die Werte in der Regel selbst zu Hause, könnte sich durch Online-Sprechstunden eine spürbare Erleichterung ergeben. Wer nur ein Rezept benötigt, muss deshalb nicht extra jedes Mal zum Arzt fahren und das Wartezimmer füllen.

 

Viele Vorteile – Telemedizin stellt dennoch nur ein ergänzendes Angebot dar

Zu denken, der verstärkte Einsatz von Telemedizin könne den strukturellen Ärztemangel beseitigen, ist jedoch vermessen. Grundsätzlich wird die Arbeit der Ärzte durch Telemedizin nicht weniger. Die Ärzte, die Patienten in einer Online-Sprechstunde annehmen, können in der gleichen Zeit keine Patienten in der Haus- oder Facharztpraxis oder in den Stationen behandeln.

Bei chronischen Patienten, bei denen die Ärzte regelmäßig zu den Patienten fahren oder diese sich in den Praxen sehen lassen müssen, könnten Online-Sprechstunden jedoch für beide Seiten einen zeitlichen Vorteil bieten. Fahrten zum Arzt, die entweder bei der Krankenkasse abgerechnet werden, könnten entfallen und Ärzte könnten tatsächlich auch mehr solcher Patienten annehmen.

Bei bestimmten Leiden ist eine persönliche Vorstellung beim Arzt weiterhin unumgänglich. Daher kann die Telemedizin trotz vieler Vorteile für Patienten und Ärzte eine Beseitigung des strukturellen Ärztemangels nicht leisten. Sie muss daher eher als zusätzliches Angebot gesehen werden. Das dies gut funktioniert, hat sich vor allem in der Coronakrise gezeigt, als Patienten gebeten wurden auf einen Arztbesuch zu verzichten, um sich oder andere nicht anzustecken.

Was muss noch getan werden?

Zum einen muss angesichts der weniger werdenden Medizinstudenten die Anzahl der Studienplätze erhöht werden. Ein erleichterter Zugang zum Medizinstudium durch einen geringeren NC und mehr Studienplätze sind ebenfalls Möglichkeiten zu mehr angehenden Ärzten zu kommen. Wichtig ist, dass die Ärzte ihr Studium bestehen. Auch eine Abiturnote von 1,3 könnte zu einer ausgezeichneten Arztkarriere führen.

Außerdem könnte man darüber nachdenken, Anreize zu schaffen, dass sich junge Ärzte zu einer bestimmten Facharztrichtung ausbilden lassen und auch zumindest eine gewisse Zeit auf dem Land verbringen. Angesichts des demografischen Wandels geht jedoch auch kein Weg an der Rekrutierung von Ärzten und Fachpersonal aus dem Ausland vorbei, um bestehende Lücken möglichst schnell zu schließen. Die Ausbildung zum Facharzt nach dem Studium dauert in der Regel einige Jahre.


Literatur:

Elawady A, Khalil A, Assaf O, Toure S, Cassidy C. Telemedicine during COVID-19: a survey of Health Care Professionals‘ perceptions. Monaldi Arch Chest Dis. 2020 Sep 22;90(4). doi: 10.4081/monaldi.2020.1528. PMID: 32959627.

Clark PA, Capuzzi K, Harrison J. Telemedicine: medical, legal and ethical perspectives. Med Sci Monit. 2010 Dec;16(12):RA261-72. PMID: 21119593.

Ekeland AG, Bowes A, Flottorp S. Effectiveness of telemedicine: a systematic review of reviews. Int J Med Inform. 2010 Nov;79(11):736-71. doi: 10.1016/j.ijmedinf.2010.08.006. PMID: 20884286.

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