Freitag, April 19, 2024

Physiologie und Pathophysiologie der Blutgerinnung

Das komplexe System Blutgerinnung, Physiologie und Pathophysiologie, interagiert mit allen Organ- und Regelsystemen, seine wichtigste Aufgabe ist die Blutstillung.

Durch die Bildung eines Gerinnsels aus Blutplättchen und Fibrin werden Gefäßverletzungen verschlossen – zur Verhinderung des Austrittes von Blut. In dieses Blutgerinnsel wachsen Fibroblasten ein und es wird neues Gewebe gebildet. Somit ist auch das System der Blutgerinnung – mit Physiologie und Pathophysiologie – an der Wundheilung des Gefäßdefekts beteiligt.

Bei Gefäßverletzungen werden Substanzen freigesetzt, die eine Verengung des betroffenen Blutgefäßes und damit eine Verminderung des Blutzustromes bewirken. Nach erfolgter Blutstillung sorgt die Fibrinolyse dafür, dass das nach der Wundheilung nicht mehr benötigte Blutgerinnsel wieder aufgelöst wird und das Blut wieder frei strömen kann.

Im Gegensatz zu diesen beschriebenen Blutstillungsmechanismen, die bei Gefäß­verletzungen innerhalb weniger Sekunden für die Ausbildung eines Gerinnsels sorgen, soll das Blut in intakten Blutgefäßen nicht zur Gerinnung neigen, auch wenn es zu langsam strömt.

Dazu sind Mechanismen notwendig, die der Blutgerinnung entgegenwirken. Diese verschiedenen Mechanismen zeigen, dass das gesamte hämostatische System sehr komplex ist und verschiedensten Regelmechanismen zur Anwendung kommen, um optimal zu funktionieren. Das Blutgerinnungssystem im weiteren Sinne besteht aus verschiedenen Komponenten.

 

Plasmaproteine

Plasma­proteine werden in vier Gruppen, die für einen regulären Ablauf der Blutgerinnung notwendig sind bzw. eng mit dem hämostatischen System verbunden sind, unterschieden. Die Proteine dieser Gruppen werden fast alle wird in der Leber gebildet, nur einige auch in den Endothelzellen.

Proteine als Gerinnungsfaktoren werden zum Großteil in der Leber gebildet, einige davon (F II, F VII, F IX, F X) Vitamin K-abhängig. Die meisten Gerinnungsfaktoren werden als inaktive Vorstufen gebildet und dann durch einen bestimmten Aktivator, der oft selbst ein aktivierter Gerinnungsfaktor ist, durch Abspaltung einer kurzen Peptidkette – dem Aktivierungspeptid – in ein aktives Enzym umgewandelt. Ein aktiver Gerinnungsfaktor (mit einem »a« bezeichnet wie F VIIa) kann dann seine Funktion, beispielsweise eben Aktivierung eines anderen Zymogenes, erfüllen.

Das Gerinnungssystem verfügt über leistungsfähige Mechanismen, die einen überschießenden Ablauf der Blutgerinnung bremsen bzw. die Gerinnung des Blutes in gesunden Blutgefäßen verhindern. Dazu gehören neben spezifischen Inhibitoren (beispielsweise AT III, Protein C) auch unspezifische Serinproteaseinhibitoren.

Als Fibrinolyse oder Fibrinspaltung bezeichnet man die körpereigene Auflösung eines Blutgerinnsels bzw. Thrombus durch ein Enzym Plasmin. Die Enzyme dieses fibrinolytischen Sys­tems werden zum Teil auch in Endothelzellen gebildet. Sonstige Proteine sind vor allem Adhäsions- und Transportproteine.

 

Zelluläre Elemente der Blutgerinnung

Einen zentralen Faktor bei der Einleitung der Blutgerinnung spielen die Thrombozyten, die Blutplättchen. Megakaryozyten bilden sie im Knochenmark durch Abschnürung des Zellplasmas. Weiter enthalten Thrombozyten Granula mit verschiedenen wirksamen Inhaltsstoffen. An ihrer Oberfläche haben Thrombozyten verschiedenste Antigene, darunter so genannte Glycoproteine. Über diese erfolgt bei Kontakt mit negativ geladenen Oberflächen, wie sie beispielsweise bei Gefäßverletzungen entstehen, die Aggregation. Bei der Aggregation setzen die Thrombozyten den Inhalt ihrer Granula frei und stellen Phospholipide aus ihren Zellmembranen zur Verfügung, die für den weiteren Ablauf der Blutgerinnung wichtig sind.

 

Endothelzellen

Endothelzellen bilden die innere Auskleidung aller Blutgefäße. Sie trennen das flüssige Blut vom umgebenden Gewebe, wobei diese Grenzschicht äußerst sensibel ist.

Das Blut, das direkt an der Endothel­zelloberfläche sehr langsam fließt, darf nicht gerinnen. Dazu ist eine gesunde Endothelzelle mit Mechanismen zur Hemmung der Blutgerinnung versehen. Die Oberfläche enthält Heparin-ähnliche Moleküle, die über Antithrombin III die Gerinnungskaskade hemmen. Endothelzellen exprimieren Thrombomodulin, ein membranständiger Rezeptor für Thrombin, der die prokoagulatorische Wirkung von Throm­bin blockiert, wobei jedoch Protein C aktiviert wird. Weiters produziert die Endothelzelle den tissue factor pathway inhibitor (TFPI), der unter Einfluss von F Xa das exogene Gerinnungssystem (F VIIa) hemmt, und die fibrinolytischen Faktoren tPA und PAI.

Andererseits muss beim Auftreten von Gefäßverletzungen oder bei Schädigung der Endothelzellen sofort die Blutgerinnung gestartet werden, so dass kein Blut aus dem Gefäß austreten kann. Dazu exprimiert die Endothelzelle den Tissue Factor (TF), das »Gewebsthromboplastin«. Dieser startet durch Aktivierung von F VII das exo­gene Gerinnungssystem.

Außerdem werden die Glycosaminoglycane sowie Thrombomodulin von der Endothelzelle abgespalten und von Willebrand Faktor und F VIII sowie vermehrt PAI freigesetzt. Dadurch wird die Endothelzelle thrombogen. Weitere Funktionen der Endothelzellen sind die Regulation des Gefäßtonus über Endotheline, NO, Prostaglandine, etc., und die Produktion von Hormonen, Proteinen, Zytokinen.

Durch die riesige Oberfläche der Endothelzellen in ihrer Gesamtheit können diese einen wesentlichen Einfluss auf die Funktion des Gesamtorganismus nehmen, man spricht sogar vom »Endothelzell-Organ«, wobei jedoch die Funktion der Endothelzellen vom Stromgebiet (arteriell/venös; Makro-/ Mikrozirkulation) abhängig ist.

 

Retikulo-Endotheliales ­System (RES)

Leber und Milz sind die wichtigsten Organe des RES. Neben der Synthesefunktion der Leber ist das Retikulo-Endotheliales ­System wichtig für die Elimination von Stoffwechsel-Endprodukten, Aktivierungspeptiden, »verbrauchten« Gerinnungsfaktoren, Toxinen und Zelldetritus, die alle thrombogen wirken können. Ein Ausfall des Retikulo-Endothelialen ­Systems (beispielsweise bei Leberzirrhose) ist daher oft mit einer Störung der Blutgerinnung – meist im Sinne einer disseminierten intravasalen Gerinnung – verbunden. Einleitung der Blutgerinnung Bei Verletzung der Endothelzell-Schicht wird die Blutgerinnung durch drei verschiedene Mechanismen eingeleitet.

Durch Expression des Tissue Factor startet der Organismus das exogene Gerinnungssystem, das zur Aktivierung von F VII führt. Dieses ist der physiologisch wichtige Weg der Blutgerinnung. Durch Kontakt des Blutes mit subendothelialen Schichten (Kollagen) wird die Kontaktaktivierung eingeleitet. Dieses komplexe System ist eng mit der Fibrinolyse, dem Komplementsystem und dem exogenen Gerinnungsystem verknüpft und führt über F XII und F XI zur Aktivierung der Gerinnungskaskade.

Über Kontakt mit Kollagen werden Thrombozyten zunächst über von Willebrand-Faktor und GP Ib/IX, danach über Fibrinogen und GP IIb/IIIa aggregiert.

 

Der Einfluss von Thrombin auf die Gerinnungskaskade

Der weitere Ablauf der Blutgerinnung erfolgt »wasserfallartig« – die sog. Gerinnungskaskade. Dabei kommt es zu einer stufenweisen Aktivierung von Gerinnungsfaktoren, wobei ein Faktor den nächsten unter dem Einfluss von Kofaktoren, Phospholipiden (PL) und Kalzium aktiviert.

Es ist wichtig zu wissen, dass diese Vorgänge nicht im freien Blutstrom stattfinden. Sondern sie geschehen lokalisiert durch die Bindung an Phospholipide am Ort der Gefäßschädigung. Dadurch entstehen Blutgerinnsel dort, wo sie der Körper benötigt. Als zentrales Enzym der Gerinnungskaskade ist Thrombin zu sehen, das durch Wirkung der Prothrombinase (= F Xa, F Va, PL, Ca++) aus Prothrombin gebildet wird.

Thrombin bewirkt die Polymerisierung von Fibrinogen und die Quervernetzung durch F XIIIa, so dass ein dreidimensionales Fibrinnetzwerk gebildet wird, das schlussendlich das »Blutgerinnsel« ausmacht und den Gefäßdefekt verschließt.

Weiter gehen von Thrombin wichtige, den Ablauf der Gerinnungskaskade verstärkende, Rückkopplungskreise aus. Die sind dafür verantwortlich, dass der Organismus bei einer kleinen Gefäßverletzung rasch eine ausreichende Menge Fibrin bildet, um den Defekt zu verschließen. Thrombin wirkt verstärkend durch Aktivierung von F V, F VIII, F XI, Thrombozyten und Endothelzellen.

 

Die Rolle der Gerinnungsinhibitoren bei der Blutgerinnung

Das Blutgerinnungssystem verfügt, wie schon gesagt, über sehr wirksame Mechanismen, die einen hemmenden Einfluss auf die Gerinnungskaskade ausüben und damit eine überschießende Blutgerinnung verhindern.

Durch diese Inhibitoren kommt es zur Modulation des hämostatischen ­Systems. Dadurch entsteht einerseits bei Gefäßverletzungen zwar rasch, innerhalb von wenigen Sekunden, ein Fibringerinnsel. Andererseits kommt es aber auch rechtzeitig wieder zum Abbruch der Bildung des Gerinnsels. Damit bleibt die Blutgerinnung auf den Ort der Verletzung beschränkt. Störungen dieser inhibitorischen Systeme können zu einer erhöhten Thromboseneigung führen.


Literatur:

Lagrange J, Wagner B, Nagler M, et al. Characterization of Thrombin Generation Curve Shape in Presence of Platelets from Acute Venous Thromboembolism Patients. J Clin Med. 2020;9(9):E2892. Published 2020 Sep 7. doi:10.3390/jcm9092892

Andrew LaPelusa; Heeransh D. Dave. Physiology, Hemostasis. StatPearls [Internet]. Last Update: July 10, 2020.

Rinder HM. Hemostasis and coagulation. Clin Lab Med. 2009;29(2):xi. doi:10.1016/j.cll.2009.06.003


Quelle: Blutgerinnung, Organsysteme und ­Regelmechanismen. MEDMIX 4/2009

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