Freitag, April 19, 2024

Blutdruck senken bei alten Menschen über 80 mit Bluthochdruck

Das Blutdruck senken bei alten Menschen über 80 Jahre, die an Bluthochdruck leiden, muss sorgsam bezüglich Nutzen und Risiken evaluiert werden.

Bis nach der Jahrtausendwende wurde von vielen Ärzten ein Bluthochdruck bei alten Menschen über 80 toleriert. Wegen der zunehmenden Rigidität, Starrheit und Härte, der Gefäße hielt man einen ansonsten empfohlenen Zielblutdruck von 140 mmHg für nicht erstrebenswert. ­Eine medikamentöse Behandlung der Hypertonie wurde bei Älteren über 80 Jahren nur bei deutlich erhöhtem Blutdruck begonnen. Beispielsweise sah man Werte von 150 bis 160 mm Hg als ausreichend an. Denn Ärzte befürchteten bei alten Menschen mit Bluthochdruck, dass das Senken des Blutdrucks auch eine Unterschreitung des zerebralen und renalen Basisperfusionsdrucks verursacht.

Die HYVET-Studie („Hypertension in Very Elderly Double Blind Trial“) brachte 2008 eine Wende. Denn die Ergebnisse zeigten, dass das adäquate Blutdruck senken bei alten Menschen mit Bluthochdruck über 80 Jahren eine deutliche Risikosenkung brachten. Die aktuellen ESH/ESC-Leitlinien und die US-Guidelines orientieren sich auch heute bei ihren Empfehlungen an den HYVET-Ergebnissen. Dort konnte mittels Therapie mit dem Thiazid-Analoga Indapamid – teilweise kombiniert mit dem ACE-Hemmer Perindopril – das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse und die Mortalität von alten Menschen mit Bluthochdruck über 80 Jahren signifikant reduziert werden.



 

Uneinheitliche Blutdruckzielwerte

Für verschiedene blutdrucksenkende Wirkstoffe und auch diverse Patientengruppen bringt eine adäquate antihypertensive Therapie einen Rückgang von Schlaganfall-Ereignissen, Infarkten und Herzinsuffizienz. Die Daten für ältere Menschen sind widersprüchlich. Grundsätzlich erhöht sich mit steigendem Blutdruck über 115/75 mmHg auch das Schlaganfallrisiko, doch mit höherem Alter nimmt dieses wieder ab. Epidemiologische Studien haben zudem bei über 80-Jährigen auch gezeigt, dass Bluthochdruck bei diesen sehr alten Patienten mit einer geringeren Sterblichkeit assoziiert war.

In einigen Studien zeigte sich sogar, dass das medikamentöse Senken des Blutdrucks auf 140 mmHg die ­Lebenserwartung bei diesen alten Menschen sogar verkürzte.

Dementsprechend ist trotz der HYVET-Studie die Evidenz für Blutdruckzielwerte für über 80-jährige Bluthochdruckpatienten auch heute noch uneinheitlich und vage. Grundsätzlich muss sich auch die Frage stellen, ab welchem systolischen Blutdruck die Patientensicherheit durch den Einsatz von antihypertensiven Wirkstoffen auch gefährdet sein kann.

 

Aktuelle Leitlinien

Die aktuellen ESH/ESC-Leitlinien sehen einen Nutzen Bluthochdruck-Therapie für Menschen mit einem Alter von über 80 Jahre. Hochbetagte Bluthochdruckpatienten in einem guten mentalen und körperlichen Zustand sollten deshalb bei einem systolischen Blutdruck von 160 mmHg oder höher mit der Behandlung beginnen. Dieser Grenzwert wurde in der HYVET-Studie als Einschlusskriterium festgelegt. Die US-amerikanischen Guidelines legen sogar einen Wert von 150 mmHg fest.

Dennoch sind diese Empfehlungen durch Studiendaten nicht abgesichert. Der Nutzen einer medikamentösen Blutdruck senkenden Therapie zwischen bei Hochbetagten, alten Menschen mit über 80 Jahren mit Blutdruckwerten zwischen 140 und 159 mmHg ist nicht klar. Es zeigt sich auch immer wieder in Beobachtungen, dass ein zu niedriger Blutdruck bei sehr alten Menschen mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität vergesellschaftet ist.



Eine rezente Umfrage bei Allgemeinmediziner aus 29 Ländern wollte herausfinden, wie die Ärzte bei sehr alten, gebrechlichen Menschen mit Bluthochdruck den Blutdruck senken. Die Allgemeinmediziner aus 26 europäischen Ländern sowie aus Brasilien, Israel und Neuseeland machten Angaben zur Behandlung ihrer Patienten mit unterschiedlichen Blutdruckwerten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Fast jeder sechst Hausarzt gab an, die Leitlinien beim Blutdruck senken bei gebrechlichen alten Menschen mit Bluthochdruck zu verwenden. Die Entscheidungen zur Behandlung von Bluthochdruck waren aber annähernd gleich mit jenen Ärzten, die die Leitlinien nicht berücksichtigten.

 

Bluthochdruck bei alten, hochbetagten Menschen mit über 80 Jahren senken

Viele Hypertensiologen und Geriater raten ab von einer initial hohen Dosis oder einer Kombinationstherapie, wie sie in Leitlinien für hochbetagte Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko empfohlen werden.

Die Kombination zweier blutdrucksenkenden Wirkstoffe sollten nur angewandt werden, wenn die Monosubstanz in initial niedriger Dosierung keinen Erfolg bringt, mehr als drei Antihypertonika sollten nicht gegeben werden. Außer bei sehr schlechter Blutdruckkontrolle oder früherem Beginn der Therapie unter 80 sowie bei guter Verträglichkeit.

Experten empfehlen regelmäßige Kontrollen des Therapieverlaufes und die ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung. Wenn der Blutdruck unter 130 mmHg sinkt, sollten die Patienten die Dosis reduzieren beziehungsweise die Behandlung überhaupt abbrechen.

 

Gefahr niedriger Blutdruck

Zu beachten ist, dass niedriger Blutdruck Synkopen, Stürze, Verletzungen und Brüche verursachen kann. Deswegen sollten man bei sehr alten und gebrechlichen Menschen mit Bluthochdruck äußerst sorgsam den Blutdruck senken und stets zwischen Nutzen und Risiken der jeweiligen Therapie evaluieren. Dabei spielen der funktionelle und kognitive Status des Patienten sowie Aspekte der Polypharmazie eine wichtige Rolle. Ärzte müssen beim Blutdruck senken bei alten Menschen auch immer darauf achten, dass das die Wirkung nicht zu stark ist. Weiter muss man an Orthostase sowie Fehlernährung und Dehydrierung denken.



 

Der Einfluss von Blutdruck auf die kognitiven Funktionen bei Patienten über 80 Jahren

Aktuell haben Forscher die Zusammenhänge zwischen Blutdruck und kognitiven Funktionen bei 1091 sehr alten Menschen mit Jahrgang 1936 untersucht. Die meisten der Probanden hatten im Alter von 11 Jahren einen Intelligenztest absolviert hatten. Die Wissenschaftler berücksichtigten dabei die Blutdruck senkenden Medikamente sowie die kognitiven Fähigkeiten im Laufe des Lebens von Kindheit an. Also die kognitiven Fähigkeiten im Kindesalter sowie im älteren Erwachsenenalter im Zusammenhang mit Blutdruckmessungen im älteren Erwachsenenalter.

Dabei zeigte sich, dass Frauen mit einer höheren kognitiven Fähigkeiten im frühen Leben einen niedrigeren Blutdruck im späteren Leben hatten. Die Forscher fanden jedoch keine Unterstützung für die Hypothese, dass Bluthochdruck mit schlechteren kognitiven Fähigkeiten bei Menschen im Alter von über 80 zusammenhängen.


Literatur:

Roulet C, Rozsnyai Z, Jungo KT, et al. Managing hypertension in frail oldest-old-The role of guideline use by general practitioners from 29 countries. PLoS One. 2020;15(7):e0236064. Published 2020 Jul 10. doi:10.1371/journal.pone.0236064

Altschul D, Starr J, Deary I. Blood pressure and cognitive function across the eighth decade: a prospective study of the Lothian Birth Cohort of 1936. BMJ Open. 2020;10(7):e033990. Published 2020 Jul 23. doi:10.1136/bmjopen-2019-033990

Beckett NS, Peters R, Fletcher AE, et al. Treatment of hypertension in patients 80 years of age or older. N Engl J Med. 2008;358(18):1887-1898. doi:10.1056/NEJMoa0801369


Quelle:

Expertenmeinung einer Arbeitsgruppe der europäischen Gesellschaft für Hypertonie (ESH) und der European Union Geriatric Medicine Society (EUGMS) zum Hypertonie-Management bei hochbetagten Patienten. 2015-2016.

Latest Articles

Folgt uns auf Facebook!

Innere Medizin

Schwangerschaft ist ein Stress-Test für das Herz der Mutter

Eine Schwangerschaft ist für das Herz der Mutter eine zusätzliche Belastung. Wobei das Herz der Schwangeren dieser nicht immer gewachsen ist. Tatsächlich stellt eine Schwangerschaft für...
- Advertisement -

Related Articles

Lungenentzündung (Pneumonie) kann tödlich sein

Eine bakterielle Lungenentzündung, Pneumonie, sowie die virale Covid-19-Pneumonie sind sehr häufige, ernste Erkrankungen, die bekantlich tödlich enden können. Millionen Menschen erkranken in unseren Breiten jährlich an einer...

Niere und Hypertonie – Bluthochdruck und Niereninsuffizienz

Der starke Zusammenhang von Niere und Hypertonie wird vor allem bei einer durch Bluthochdruck begünstigten Niereninsuffizienz deutlich. Hypertonie, Bluthochdruck, kann schwerwiegende Gesundheitsprobleme wie Schlaganfälle, Versagen von...

Stärkste unter den vermarkteten Wirkstoffen gegen Herpes Zoster: mit Brivudin die Gürtelrose behandeln

Brivudin – der Wirkstoff gegen Herpesviren – wird vor allem bei Patienten über 50 Jahren gegen Infektionen mit Herpesvirus 1 und Herpes zoster – der Gürtelrose – angewendet. Herpes zoster...