Donnerstag, April 18, 2024

Blinddarm-OP regional unterschiedlich häufig durchgeführt

Um regionale Unterschiede zur Blinddarm-OP seriös interpretieren zu können, braucht man die kompletten Daten der Patienten, so Experten der DGKCH.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) kritisiert eine soeben veröffentlichte Studie der Techniker Krankenkasse (TK). Diese zeigt große regionale Unterschiede in der Häufigkeit bei der Kinder-Blinddarm-OP. Laut TK würden Ärzte überflüssige Blinddarmoperationen an Kindern durchführen, denn diese Unterschiede seien „medizinisch kaum zu erklären“. Die DGKCH hingegen bemängelt methodische Fehler und unzulässige Schlussfolgerungen der vorgelegten Studie. Dies könne Eltern unnötig verunsichern.

Laut einer Auswertung von Daten des Statistischen Bundesamtes durch die TK wurde im Jahr 2014 bei etwa 18 000 Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren – davon waren etwas mehr als die Hälfte Jungen – eine Blinddarm-OP vorgenommen. Die regionalen Unterschiede sind dabei groß. Während in Bremer Krankenhäusern 95 Blinddarmoperationen auf 100 000 Heranwachsende kamen, waren es in Nordrhein-Westfalen 183 und in Bayern 208.

Entscheidung zur Blinddarm-OP

„Um diese regionalen Unterschiede seriös interpretieren zu können, braucht man die kompletten Daten der Patienten“, sagt Dr. med. Tobias Schuster, Pressesprecher der DGKCH. Erforderlich sei etwa die Angabe, bei wie vielen der entnommenen Blinddarmfortsätzen sich die Diagnose „Entzündung“ bei der Untersuchung des Gewebes, Histologie, auch bestätigt habe. Bei der Veröffentlichung der TK fehle zudem der Überblick über sämtliche im Vergleichszeitraum mit Verdacht auf Blinddarmentzündung vorgestellte Kinder, denn viele von ihnen seien ohne Blinddarm-OP als geheilt entlassen worden, wie viele tatsächlich operiert und wie viele davon quasi „zu spät“, also mit fast oder ganz durchbrochenem Blinddarm, so Schuster, der Chefarzt der Kinderchirurgie am Klinikum Augsburg ist.

Wichtig sei auch zu erfassen, welcher diagnostische Aufwand der Operation vorangegangen ist: „Sind die operierten Kinder vorher stationär aufgenommen worden, und ist der Verlauf ihrer Beschwerden engmaschig kontrolliert worden, bevor es zu einer Blinddarm-OP-Entscheidung kam?“

Die adäquate Diagnose und Therapie von Entzündungen der Blinddarmfortsätze von Kindern sei oft schwieriger als die von Erwachsenen, erläutert Schuster: „Kinder können ihre Beschwerden meist nicht genau beschreiben. Auch sind ihre Symptome sehr unterschiedlich – deshalb kommen sie manchmal sehr spät in die Klinik.“ Gerade bei den Jüngeren könne jedoch der entzündete Wurmfortsatz innerhalb weniger Stunden durchbrechen.

Operationen nur, wenn sie wirklich sein müssen

In der Kinderchirurgie gelte in besonderem Maße der Grundsatz, Operationen nur dann durchzuführen, wenn sie wirklich sein müssen, so der Experte weiter. „Kinderchirurgen betreiben deshalb ganz bewusst einen großen Aufwand und beobachten die betroffenen Kinder über Stunden, manchmal Tage in der Klinik, ob die Entzündung wieder abklingt.“ Dazu werde auch hochauflösender Ultraschall eingesetzt. Das bei Erwachsenen gegebenenfalls zur weiteren Diagnosesicherung eingesetzte CT komme wegen der Strahlenbelastung jedoch nicht infrage.

Der Lohn der Mühen: „Oft können wir die Kinder auch ohne Operation wieder entlassen.“ Die Schwierigkeit sei jedoch, den richtigen Zeitpunkt zwischen „nicht zu früh“ und „nicht zu spät operieren“ zu erwischen. Denn „Appendizitiden können tückisch und unvorhersehbar sein“, sagt Schuster. Im Zweifel müsse man die Risiken eines weiteren Abwartens gegenüber den Risiken der Blinddarm-OP, die ein Routineeingriff sei, abwägen, so Schuster. „Deshalb kommen selbst die besten kinderchirurgischen Kliniken auf einen gewissen Anteil sogenannter Negativhistologien – wo sich also der Verdacht auf eine Appendizitis im Nachhinein nicht bestätigt hat.“ Im Klinikum Augsburg etwa liege die Rate Dank modernster Diagnostik bei nur fünf bis sechs Prozent, führt Schuster weiter aus.

„Zu behaupten, hier würde überflüssigerweise operiert – womöglich um mehr Gelder in die Krankenhauskassen fließen zu lassen – ist absolut voreilig“, fasst Professor Dr. med. Bernd Tillig aus Berlin, Präsident der DGKCH und Chefarzt der Kinderchirurgie am Klinikum Vivantes in Berlin, zusammen. „Und wir sind die ersten, die an seriösen Ergebnissen interessiert sind.“

Quelle: https://www.tk.de/tk/pressemitteilungen/gesundheit-und-service/270358

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