Donnerstag, April 18, 2024

Beatmung zu Hause für mehr Lebenszeit, Lebensqualität und Lebensfreude

Beatmung zu Hause für mehr Lebenszeit, Lebensqualität und Lebensfreude – im Kontext des neuen Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes.

Die Möglichkeit einer Beatmung zu Hause schenkt vielen Menschen mit schweren Erkrankungen der Lunge oder der Atmungsmuskeln mehr Lebenszeit, Lebensqualität und Lebensfreude. Die Unterstützung der Atmung mit einem Beatmungsgerät über ein Maskensystem oder über ein Tracheostoma zu Hause oder in einer speziellen Wohngruppe ist fester Bestandteil der Versorgung von Patienten, die auf eine Unterstützung ihrer Atmung stundenweise oder dauerhaft angewiesen sind. Patienten mit intermittierender Heimbeatmung über eine Maske wenden in der Regel die Beatmung zu Hause selbstständig und ohne fremde Hilfe an. Für viele dieser Patienten mit schweren Lungenerkrankungen, wie fortgeschrittener COPD oder mit schwerer Kyphoskoliose, ist dabei die Beatmung, die in der Regel im Schlaf durchgeführt wird, nicht nur eine Hilfe und Unterstützung, sondern stabilisiert auch den Krankheitsverlauf, verbessert die Mobilität und ist lebensverlängernd. Diese Methode stellt sicherlich eine der erfolgreichsten medizinischen Entwicklungen für Menschen mit schweren Erkrankungen der Atmungsorgane in den letzten 20 bis 30 Jahren dar.

 

Beatmung zu Hause bei Anwesenheit von Fachpersonal

Ohne fremde Hilfe ist jedoch eine sogenannte invasive Beatmung über ein Tracheostoma im außerklinischen Bereich nicht durchführbar. Dabei wird das Beatmungsgerät an einen Schlauch angeschlossen, der direkt in die Luftröhre eingeführt wird, weil die Beatmung über die Maske nicht möglich ist. In der Regel ist bei diesen Patienten die Beatmung lebensnotwendig. Die Beatmung von Patienten wird entweder zu Hause oder in einer Wohngruppe über 24 Stunden idealerweise von Fachpersonal überwacht.

Dank der Verbesserungen der Intensivmedizin können mehr Menschen schwere Unfälle, Operationen und Erkrankungen überleben. Sie benötigen jedoch teilweise danach dauerhaft Atmungsunterstützung. Die Zahl der dauerhaft beatmeten Patienten hat in den letzten Jahren rasant zugenommen und liegt aktuell bei geschätzten 60 000 bis 80 000 Patienten in Deutschland.

Dabei hat sich ein florierender, allerdings ungeregelter Geschäftsbereich entwickelt. Es sind weder hinreichende medizinische oder strukturellen Vorgaben gegeben, noch sind Möglichkeiten einer gesicherten Qualitätskontrolle vorhanden.

Auf diese über viele Jahre bestehenden Unzulänglichkeiten in der medizinischen Versorgung haben die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) wie auch die Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) seit vielen Jahren hingewiesen und Änderungen dringend gefordert. Politisch wurde das Thema erst dann aufgenommen, als die Berichte über zweifelhafte Geschäftspraktiken in einigen Wohngruppen für Langzeitbeatmete sich häuften und die enorme finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem offenkundig wurde (Jahreskosten pro Patient zwischen 120 000 und 250 000 Euro).

 

Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz

Im letzten Jahr wurde dann eine überfällige gesetzliche Regelung mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (IPReG) geschaffen. Ziel des Gesetzes ist es, neben der sicheren und qualifizierten Versorgung von langzeitbeatmeten Patienten eine Regelung zu finden.

Neben der Regelung der Versorgung der Patienten im ambulanten Bereich ist eines der wesentlichen Ziele des Gesetzes, möglichst viele Patienten vor einer unnötigen Langzeitbeatmung zu bewahren, die eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität darstellt, meist einen Umzug in eine fremde Umgebung und eine dauerhafte Abhängigkeit bedeutet, abgesehen von den enormen wirtschaftlichen Belastungen für das Gesundheitssystem. Grundsätzlich sieht die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in dem Gesetz das Potenzial einer deutlichen Verbesserung der Versorgung von beatmungspflichtigen Patienten im ambulanten Bereich.

Die fehlenden Ausführungsbestimmungen des Gesetzes sollen aktuell in den nächsten Wochen erstellt werden. Eine Regelung des Vorgehens am Ende der akut-intensivmedizinischen Behandlung von weiterhin beatmungspflichtigen Patienten ist auch dringlich erforderlich. Viele Patienten werden in die ambulante Langzeitbeatmung aus den Kliniken direkt von den Intensivstationen entlassen, ohne dass das Entwöhnungspotenzial des Patienten festgelegt wird.

Aktuell gehen wir aufgrund der Daten aus den spezialisierten Weaningzentren davon aus, dass 20 bis 50 Prozent der Patienten, die außerklinisch invasiv beatmet werden, zuvor keine strukturierte Entwöhnungsbehandlung erfahren haben, ein Weaningpotenzial haben und entweder ganz ohne Beatmung oder über eine nichtinvasive Beatmung mittels Maske leben könnten.

 

Entlassung in Langzeitbeatmung

Daher sehen wir als Fachgesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, die ein Netzwerk von spezialisierten, qualitätszertifizierten Weaningzentren erfolgreich aufgebaut hat, es für vordringlich an, dass eine strukturierte und nachprüfbare Beurteilung eines möglichen Entwöhnungspotenzials vor Verlegung in eine Langzeitbeatmung erfolgt. Dies muss durch Ärzte erfolgen, die neben einer entsprechenden Facharztqualifikation (wie Pneumologie, Anästhesie und Intensivmedizin) eine Expertise in dem Bereich des prolongierten Weanings besitzen, die durch eine mehrjährige Tätigkeit in einem Expertenzentrum für Entwöhnung und außerklinische Beatmung erworben wurde. Ziel muss sein, ein Behandlungskonzept vor Entlassung in eine Langzeitbeatmung festzulegen, einschließlich einer direkten oder zeitnahen Verlegung in ein spezialisiertes Zentrum. Nur so kann verhindert werden, dass Patienten unnötig lange beatmet und ihnen Lebensqualität und eigenständige Lebenszeit genommen wird.


Literatur:

Windisch W, Callegari J, Karagiannidis C. 2019: Home Mechanical Ventilation in Germany. Deutsche Medizinische Wochenschrift 144: 743-747. DOI: 10.1055/a-0755-9638
https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/a-0755-9638


Quelle:

STATEMENT(Heim-)Beatmung im Kontext des neuen Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes Professor Dr. med. Michael Pfeifer Präsident der DGP, Medizinischer Direktor der Klinik Donaustauf, Zentrum für Pneumologie, und Chefarzt an der Klinik für Pneumologie und Intensivmedizin, KH Barmherzige Brüder Regensburg, Universitätsklinikum Regensburg

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