Donnerstag, März 28, 2024

Auf der Suche nach der besten Therapie bei einem Bandscheibenvorfall

Der Vergleich zweier Röntgenbilder als klinische Entscheidungsgrundlage reicht oft nicht aus, um die beste Therapie bei Bandscheibenvorfall zu finden.

Der Bandscheibenvorfall ist die häufigste Ursache einer Operation an der Wirbelsäule, doch die gewählte Therapie ist nicht immer die richtige. Nun zeigen neue Forschungsergebnisse, dass die klinische Entscheidungsgrundlage – der Vergleich zweier statischer Bilder – oftmals nicht ausreicht, um die beste Entscheidung für den Patienten zu treffen.

 

Bandscheibenvorfall als Ursache für plötzliche Rückenschmerzen

Wenn plötzliche Rückenschmerzen auftreten, ist oftmals ein Bandscheibenvorfall die Ursache. Die Bandscheiben müssen als eine Art Puffer zwischen den Rückenwirbeln über viele Jahre hinweg starke Belastungen aushalten. Wenn die Bandscheiben dann spröde werden und brechen, dann können Teile des Gewebes nach außen treten. Und auf den Nerv oder den Rückenmarkskanal drücken. Dies kann heftige Schmerzen verursachen. Besonders häufig ist die Lendenwirbelsäule betroffen. Häufig schrumpft zwar der Bandscheibenvorfall von allein wieder mithilfe einer schmerz- und entzündungshemmende, medikamentösen Therapie. Jedoch muss in schwereren Fällen eine chirurgische Therapie erfolgen.

 

Mikrochirurgie: Minimalinvasive Therapie bei Bandscheibenvorfall

Im Grunde genommen kann man durch Entfernung der ausgetretenen Bandscheibenmasse den Druck auf den Nerv oder den Rückenmarkskanal verringern. Dies geschieht heute dank der Mikrochirurgie mit einem minimalinvasiven Eingriff.

Zweitens kann man die betroffenen Wirbel versteifen. Dabei werden Schrauben in die Wirbelkörper eingesetzt und die beiden betroffenen Wirbel mit einer Metallkonstruktion fix verbunden. Dies ist insbesondere nötig, wenn sich die Wirbel in der Bewegung stark gegeneinander verschieben. Die Versteifung ist aber ein riskanterer, stark invasiver Eingriff. Und manchmal verlagert sich das Problem in der Folge nur. Denn dadurch kann die Belastung für die nachfolgenden Bandscheiben sehr stark steigen und geben diese ebenfalls nach.

 

Röntgenbilder als Entscheidungsgrundlage

Viele Ärzte verlassen sich auf die Röntgenbilder, wenn sie entscheiden müssen, welche Therapie bei dem jeweiligen Bandscheibenvorfall nötig ist. Dazu beurteilen sie eine Aufnahme im aufrechten und ein weitere im nach vorn gebeugten Zustand. Wenn sich die betroffenen Wirbel dabei stark zueinander verschieben oder gar verdrehen, ist eine Versteifung notwendig. Falls nicht, kann eine Dekompression ausreichen.

Verschiedene Studien zeigten aber, dass dieser Vergleich zweier statischer Bilder als Entscheidungsgrundlage oftmals nicht ausreicht. Deswegen muss man bei bis zu einem Drittel der Patienten, welche die einfachere Operation erhalten, einen weiteren Eingriff vornehmen. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass dies nicht bei allen Patienten, bei denen die Wirbel versteift wurden, das wirklich nötig war.

Denn das Problem ist, dass die Bilder nur den Anfangs- und den Endzustand der Wirbelposition zeigen. Sie zeigen aber nicht, was während der Bewegung geschieht.

 

Vorteile dynamischer Bewegungsmuster

Forschende des Mechanical System Engineering Lab an der Empa sowie der Abteilung für orthopädische Operationen der Universität Pittsburgh konnten unlängst zeigen, dass sich die Wirbel während der Bewegung nicht linear verschieben. „Im Gegenteil: Je nach ­Patient zeigten sich stark unterschiedliche Bewegungsmuster“, erklärt der ­Empa-Forscher und Co-Leiter des Projekts, Ameet Aiyangar.

Für die Studie, die den ISSLS-Preis in Bioengineering Science 2018 gewann, erstellten die Forschenden bei sieben Bandscheiben-Patienten sowie sieben Kontrollpersonen in derselben Altersgruppe eine kontinuierliche, dynamische Röntgenaufnahme, während die Patienten ihre Oberkörper langsam nach vorn neigten. Aus den Aufnahmen berechneten die Forscher, wie sich die Wirbel in der sagittalen Rotationsachse sowie flach zueinander bewegten. Die Resultate sind erstaunlich.

 

Wie stabil Wirbel wirklich sind

Zu erwarten wäre, was sich bei den meisten der gesunden Kontrollpersonen bestätigte, dass bei der Bewegung der sagittale Rotationswinkel und die vertikale Verschiebung gleichmäßig zunehmen.

Bei einem Patienten verschoben sich paradoxerweise die Wirbel zuerst in die Gegenrichtung zur Bewegung und dann zurück zur Mitte. Während die Anfangs- und Endposition aussahen, als seien die Wirbel stabil, zeigte sich in der Bewegung eine große Instabilität. Bei dem Individuum hätte eine Dekompression allein nicht viel genützt, sondern es wäre eine Versteifung nötig gewesen.

Die klinische Analyse hätte bei dieser Person die Instabilität massiv unterschätzt. Das zeigt sich in den Zahlen: verglichen die Forscher nur den Anfangs- und Endwert der Aufnahmen, zeigte sich ein Verschiebungswert von nur 0,4 mm. In der Bewegung selber beobachteten die Forscher hingegen einen Wert von 4,6 mm – mehr als das 11-fache des traditionell errechneten Wertes.

Bei anderen verschoben sich die Wirbel kaum. Sie rotierten während der Bewegung aber zunächst stark in die Gegenrichtung und wieder zurück. Nur bei zwei der Patienten fand eine ­Bewegung statt, die ungefähr den Erwartungen entsprach. Insgesamt erreichte jeder einzelne der untersuchten Patienten eine Verschiebung von mindestens 1,8 mm. Bei der klinischen Berechnung war bei drei der sieben Patienten aber eine Verschiebung von weniger als 0,4 mm berechnet worden.

 

Statische durch dynamische Röntgengeräte ersetzen

Das zeigt, dass die aktuelle Entscheidungsgrundlage für die Art der Operation oftmals nicht ausreicht. Hingegen wäre eine dynamische Beurteilung der Schädigung wäre notwendig. Also einfach die statische durch dynamische Röntgengeräte ersetzen, und das Problem ist gelöst? Ganz so simpel ist es leider nicht. Systeme mit der Technologie, die nötig ist, um die dynamischen Bilder zu erstellen – »Dynamic Stereo X-Ray« (DSX) – gibt es erst einige wenige weltweit. Und die Berechnungen der Bewegungen sind sehr komplex.

„Im Moment existiert die Technologie erst in der Forschung. Wir sind aber in der Frühphase des Übergangs – eines Tages könnten die Geräte Klinikalltag sein“, erklärt Aiyangar. Bis dahin, so schlägt der Forscher vor, könnte es zumindest sinnvoll sein, statt nur zwei Bilder in den Endpositionen mehrere Röntgenaufnahmen in verschiedenen statischen Zuständen zu erstellen und zu vergleichen.

 

Konservative Therapie bei Bandscheibenvorfall statt Operation

Aiyangar hat bereits weitere Ideen: Er will den Nutzen von Therapie bei Bandscheibenvorfällen untersuchen. An der Bewegung und Stabilisierung des Rückens sind 200 unterschiedliche Muskelstränge beteiligt. Es ist unmöglich, sie alle gleichzeitig zu messen, um herauszufinden, welche Therapie den grösstmöglichen Nutzen bringt. „Die Modellierung des komplexen Systems könnte hier viel zur richtigen frühzeitigen Intervention beitragen“, meint Aiyangar. Mit der richtigen konservativen Therapie, so die Hoffnung, könnte eine Operation in manchen Fällen gar ganz vermieden werden.


Quelle: Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt

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