Deutsche Leitlinie zum Autofahren mit Diabetes: Diabetespatienten können grundsätzlich sowohl privat als auch beruflich am Straßenverkehr teilnehmen.
Diabetes und Soziales. Während die Amerikanische Diabetesgesellschaft bereits vier Leitlinien über soziale Themen der Diabetologie veröffentlichte, konzentrierten sich die Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft DDG auf den organmedizinischen Bereich. Für Betroffene sind aber die Auswirkungen ihrer Erkrankung im täglichen Leben wie auf das Autofahren mit Diabetes von großer Bedeutung.
Beruflich und privat Autofahren mit Diabetes
Autofahren mit Diabetes bedeutet Mobilität und spielt für viele Patienten sowohl im privaten als auch häufig im beruflichen Bereich eine große Rolle. Letzteres gilt nicht nur für Berufskraftfahrer, sondern auch für viele Menschen, die auf den Führerschein angewiesen, um ihren Beruf ausüben zu können.
Bei der Frage, welche Auswirkungen Autofahren mit Diabetes haben können und was das für die Teilnahme am Straßenverkehr bedeuten kann, spielen medizinische Aspekte (z. B. Hypoglykämiegefahr) eine wichtige Rolle. Aber auch rechtliche Rahmenbedingungen wie Fahrerlaubnisverordnung und Begutachtungsleitlinien, EU-Recht, die Begutachtungspraxis von Verkehrsmedizinern sowie Beratung und Empfehlung durch Hausärzte, Diabetologen und Diabetesberater sind von großer Relevanz. Auch gegen unberechtigte Auflagen der Führerscheinbehörden, etwa häufige Begutachtungen bei Menschen mit Diabetes ohne entsprechende Grundlage, helfen die Informationen der Leitlinie.
Autofahren mit Diabetes – Nutzen für die Betroffenen
Die meisten Menschen mit Diabetes können Fahrzeuge der Klassen 1 und 2 sicher führen. Dennoch wird immer wieder – auch bei Diabetologen und Diabetesberatern – die Meinung vertreten, Patienten mit Diabetes, die z. B. eine Insulintherapie benötigen, könnten dadurch automatisch nicht mehr als Bus- oder Lkw-Fahrer arbeiten. Dies trifft nach den Begutachtungsleitlinien der Bundesanstalt für das Straßenwesen (BAST) nicht zu. Ein wichtiger Punkt der Leitlinie ist deshalb, diesen Sachverhalt, der für Berufstätigkeit und Teilhabe vieler Menschen mit Diabetes von enormer Wichtigkeit ist, allen mit dieser Frage konfrontierten Personen die dafür notwendigen Hintergrundinformationen zu liefern, basierend auf standardisierter externer Literatursuche. Deshalb hat die Leitlinie das Niveau S2e – das „e“ steht dabei für „evidenzbasiert“. Nach allen verfügbaren Untersuchungen ist die Unfallhäufigkeit bei Menschen mit Diabetes z. B. nur unwesentlich erhöht.
Nutzen für Betroffene: Auch nach zwei schweren Unterzuckerungen im Wachzustand kann die Fahreignung wiedererlangt werden
Wiederholte schwere Unterzuckerungen sind ein wichtiger – aber nicht der einzige Grund für Menschen mit Diabetes, die Fahreignung zu verlieren. Auswirkungen von Unterzuckerung werden deshalb in der Leitlinie umfassend dargestellt. Besonders wichtig sind aber Kompensationsmöglichkeiten, um die Gefahr von Hypoglykämien zu reduzieren. Für Menschen mit Typ-2-Diabetes gibt es mittlerweile mehrere wirksame Medikamente, die nicht oder kaum zu Unterzuckerungen führen.
Beim Typ-1-Diabetes erlauben technische Lösungen, wie z. B. die kontinuierliche Glukosemessung mit Hypowarnfunktion, das Risiko deutlich zu reduzieren. Auch spezialisierte Schulungskurse wie BGAT oder HYPOS erlauben es, die Hypoglykämiewahrnehmung zu verbessern und die Sicherheit im Straßenverkehr wiederherzustellen. Diese Kompensationsmechanismen sind in der Leitlinie aufgeführt – dies hilft Betroffenen und Behandlern. Auch bei einer Entgleisung mit sehr hohen Blutzuckerwerten kann die Fahrtauglichkeit vorübergehend nicht gegeben sein. In der Praxis wurde dies oft an einer bestimmten Grenze für den HbA1c-Wert festgemacht. Die Leitlinie hat auch zu diesem Punkt alle verfügbare Literatur recherchiert und stellt klar, dass allein aufgrund eines hohen HbA1c- Wertes der Führerschein nicht verweigert werden kann – hierfür gibt es keine Evidenz und auch die Begutachtungsleitlinien sehen das so nicht vor.
Aufklärungspflicht für Ärzte klar benannt – Führerschein ein wichtiges Thema in Beratung und Schulung
In der Einstellungsphase auf Insulin, aber auch bei relevanten Therapieumstellungen oder Dosisänderungen dürfen Patienten vorübergehend nicht Auto fahren, bis sichergestellt ist, dass unter Therapie der Blutzuckerstoffwechsel stabil ist. Diese Aufklärungspflicht – zusammen mit der notwendigen Dokumentation – ist in der Leitlinie klar benannt. Ebenso wird die Notwendigkeit, das Thema „Führerschein“ auch in Diabetesschulungen anzusprechen, betont. Menschen mit Diabetes müssen wissen, wie sie bei Teilnahme am Straßenverkehr die Sicherheit erhöhen, etwa durch eine Blutzuckermessung vor Fahrtantritt und die Verfügbarkeit von schnell wirkenden Kohlenhydraten. Eine Liste zeigt alle Schulungsprogramme, in denen das Thema erwähnt wird. Auch Menschen mit Diabetes, an die beim Thema „Führerschein“ vielleicht nicht gedacht wird, sind in einem eigenen Kapitel aufgeführt, etwa Mofaführerschein ab 15 oder begleitetes Fahren ab 17, aber auch Besonderheiten bei Menschen im höheren Erwachsenenalter.
Quelle:
Was nützt die Leitlinie Betroffenen und Behandlern? Professor Dr. med. Reinhard Holl, Koordinator und Mitautor der Leitlinie Diabetes und Straßenverkehr, Mitglied im Ausschuss Soziales der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Institut für Epidemiologie, Universitätsklinikum Ulm
Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)