Freitag, April 19, 2024

Apothekensterben durch Arzneimittel-Versandhandel

Ein neues Gutachten warnt davor, dass für deutsche Solitär-Apotheken der Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln existenzbedrohend sein könnte.

Laut einem neuen Gutachten zur Wettbewerbsökonomie der Präsenzapotheken, das der Deut­sche Apotheker-Verlag und die Noweda Apothekergenossenschaft beauftragt und nun Ende August fertig gestellt werden soll, könnten die sogenannten Solitär-Apotheken durch den Versandhandel mit verschreibungsflichtigen Arzneimitteln in ihrer Existenz stark bedroht sein. Wie das Deutsche Ärzteblatt aktuell berichtet, müssen nach Modellrechnungen in diesem Gutachten sogar alle Solitär-Apotheken um ihre Existenz bangen.

 

Modellrechnungen zu Solitär-Apotheken – Apothekensterben befürchtet

Als Solitär-Apotheken werden jene Apotheken bezeichnet, in deren Umkreis von etwa fünf Kilometern es keine weitere Apotheke gibt. Die 1.711 deutschen Solitär-Apotheken sind für die flächendeckende Versorgung besonders wichtig, weil die Orte, in denen sie sich befinden, mangels Existenz einer anderen Apotheke vor Ort mit der Schließung der Apotheke unmittelbar zu sogenannten »abgelegenen Orten« werden würden, wie in dem Gutachten erklärt wird. Von diesen häufig ärmeren Solitär-Apotheken liegen mittlerweile 760 bereits unter der kritischen Gewinnschwelle von 62.500 Euro.

Laut den Autoren des Gutachtens ist deren wirtschaftliches Überleben kaum noch denkbar, wenn der Versandhandel seinen Umsatz mit verschreibungspflichtigen Medikamenten dank erlaubter Rx-Rabatte (RX ist die gängige Abkürzung für rezeptpflichtige Arzneimittel) steigern könnte. Doch die existenzgefährdeten Solitär-Apotheken seien wiederum unmittelbar für die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung relevant und qualitativ nicht gleichwertig durch Auto­matisierung und Digitalisierung ersetzbar, warnen die Gutachter. Anhand verschiedener Modellrechnungen und ökonomischer Analysen von Apotheken in verschiedener Regionen und Lagen entwarfen sie folgende Zukunftsszenarien:

  • Progres­sive Wettbewerbsszenarien: der Versandhandel bekommt bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einem Marktanteil von 25 Prozent, nahezu alle 1.711 Solitär-Apotheken stehen dann vor dem Aus, wobei vor allem kleine Ortschaften mit weniger als 5.000 Einwohnern betroffen sind.
  • Moderate Wettbewerbsszenarien: der Versandhandel erreicht mit verschreibungspflichtige Arzneimitteln einen geringeren Marktanteil, je nach Modellrechnungen müssen 784 oder 1.212 Solitär-Apotheken aufgrund fehlender Rentabilität schließen. Durch den minima­le finanziellen Vorteil für die Verbraucher würde daher zu einem Apothekensterben und einem maximalen Schaden für die flächendeckende Versorgung führen, der wiederum mittelbar auf einen bedeu­tenden Teil der insbesondere ländlichen Bevölkerung zurückfallen würde“, warnen die Autoren.

 

 

Streit unter den deutschen Apothekern

Bereits im Mai kam es durch das vom deutschen Gesundheitsministerium gewollte Versandhandelsverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel zu heftigen Streit in der Apothekerschaft. Einerseits forderten Präsenzapotheken das Versandhandelsverbot (als Reaktion auf ein Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2016) vehement ein, andererseits forderten die deutschen Versandapotheken eine Liberalisierung des Marktes und verwiesen auf die Vorteile für die Bevölkerung – am Beispiel chronisch kranker Patienten.

Der EuGH hatte im Herbst des Vorjahrs entschieden, dass die in Deutschland geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente gegen EU-Recht verstößt, da dadurch die ausländischen Versandapotheken benachteiligt würden. So würde laut den Experten des Europäischen Gerichtshofs ausländischen Apotheken über die Festpreise der Zugang zum deutschen Markt erschwert und dieses Handelshemmnis sei nicht gerechtfertigt.

 

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