Donnerstag, April 18, 2024

Anämien-Einteilung: keine Diagnose, sondern ein Symptom

Anämien-Einteilung: Anämien werden nach dem Zellgehalt des Knochenmarks oder unter Zuhilfenahme des Erythrozyten-Index eingeteilt.

Als Anämie – umgangssprachlich als Blutarmut oder auch als Blutmangel – bezeichnet man eine Verminderung der Hämoglobin-Konzentration im Blut. Hämoglobin ist wiederum ein Sauerstoff-tragendes Protein, das sich im Blut ganz überwiegend in den roten Blutzellen, den Erythrozyten, befindet. Der bei Anämien entstandene Mangel an Erythrozyten – die sogenannte Erythrozytopenie –  führt zu einer geringeren Sauerstoff-Transportkapazität des Blutes, die der Körpers typischerweise mit einer Steigerung der Herzfrequenz zu kompensieren versucht. Als Ergebnis wird das Blut schneller durch den Kreislauf gepumpt, wodurch der Körper allerdings leicht überbelastet werden kann.



Es kommt zu den typischen Symptomen der Anämie: leichte Ermüdbarkeit, Luftknappheit vor allem bei körperlicher Belastung sowie häufig Kopfschmerzen.

 

Anämien-Einteilung – wissenschaftliche Betrachtung

Anämien gehören weltweit zu den häufigsten Erkrankungen. Es kommt zu Zuständen mit Verminderung der Erythrozytenmasse des Organismus bzw. mit Herabsetzung der Hämoglobinkonzentration. Blutbildung – die so genannte Hämatopoese – bzw. Produktion der roten Blutkörperchen, auch Erythropoese genannt, geschieht über hämatopoetische Stammzellen im Knochenmark, in Leber und Milz.

Die Entwicklung der erythropoetischen Zellen umfasst mehrere mitotische Zellteilungen sowie Reifungsschritte, so dass aus pluripotenten Stammzellen unter Einfluss verschiedener Zytokine bzw. Wachstumsfaktoren – Interleukine, Kolonie-stimulierende Faktoren, Erythropoetin –, Retikulozyten – bereits ohne Zellkern, noch endoplasmatisches Retikulum aufweisend – und reife, Hämoglobin enthaltende Erythrozyten entstehen. Eine Anämie ist Ausdruck einer akuten oder chronischen Störung des Organismus und sollte primär nicht als isolierte hämatologische Erkrankung betrachtet werden. Sie ist keine Diagnose, sondern ein Symptom!

 

Anämien-Einteilung nach Zellgehalt des Knochenmarks und Erythrozyten-Index

Die Anämie-Einteilung nach dem Zellgehalt des ­Knochenmarks ergibt folgende Unterscheidung:

Hyperproliferative Anämie

Knochenmark reich an erythropoetischen Vorstufen

  • • adäquate Antwort der Erythropoese auf Blutverlust, Hämolyse
  • • mit ineffektiver Erythropoese bei Ausreifungsstörung (»perniziöse« Anämie bei Vitamin B12-Mangel, myelodysplastische Syndrome)

Hypoproliferative Anämie

Verminderung an erythropoetischen Vorstufen im Knochenmark durch Mangel an ­Eisen, Erythropoetin, Hormonen, bei Hämoglobinopathien, durch Störungen von Proliferation und Differenzierung der Erythropoese (chronische Anämie) sowie durch Verdrängung (Leukämien, Lymphome, Metastasen)



Eine zweite Einteilung unterscheidet nach einem Erythrozyten-Index zwischen

  • dem Hämoglobingehalt,
  • dem Zellvolumen und
  • der Hämoglobin-Konzentration.

 

Erscheinungsbilder der ­hypochromen Anämien

Im klinischen Alltag tritt die hypochrome Anämie am häufigsten auf. Sie ist durch eine zu geringe erythrozytäre Zellgröße und zu geringem Hämoglobingehalt charakterisiert. Bekannte klinische Formen sind vor ­allem die Eisenmagelanämie und die Entzündungs- und Tumoranämie.

Weiters treten noch Hämoglobinopathien (Thalassämiesyndrome) und sideroachrestische Anämien auf. Bei letzterer verursacht eine verminderte Hämo­globinsynthese die Eisenüberladung des Organismus.

 

Die Eisenmangelanämie

Man zählt die Anämie zum weltweit ­bedeutendsten ernährungsbedingten Mangelzustand. Frauen sind besonders betroffen, findet man doch bei 50% der menstruierenden und 90% der Graviden einen latenten Eisenmangelzustand. In diesem Stadium, also einem Eisendefizit ohne gleichzeitiger Anämie, äußert sich der Mangel eher diffus, zum Beispiel mit Konzentrationsschwäche. Bei manifestem, anämischen Eisenmangel lassen sich Herz-Kreislaufbeschwerden, Schleimhautveränderungen und trophische Störungen der Haut, Haare und Nägel darauf zurückführen.

Ein gutes Beispiel stellt ein 14-jährigen vegetarisch lebendes Mädchens dar, das nach Eintritt der Menses wegen akuten Eisenmangels ärztliche Behandlung benötigt. Unge­nügende Resorption von Eisen macht weiters bei Zöliakie eine entsprechende Substitutionsbehandlung nötig. Verglichen mit dem gesamten Körpergewicht, sind die Eisenvorräte von 3 bis 5 Gramm bescheiden.



70% des ge­speicherten Eisens haben vitale (essenzielle) Funktionen. Sie befinden sich im ­Hämoglobin (85%), Myoglobin (5%) und Häm-Enzyme/Transporteisen (10% dieses Prozentanteiles). Die nicht essenziellen restlichen 30% Eisen sind im Ferritin gespeichert und befinden sich in der Darmmukosa, dem reticulo-endothelialen System und im Blut. Aus Ferritin wird bei Bedarf Eisen sehr schnell freigegeben, solches aus dem Hämosiderin-Speicher nur sehr gering.

Unter dem Strich enthält die tägliche Nahrung im Schnitt 1 bis 2 mg Eisen. Dem stehen Verluste von 0,5 bis 1,0 mg täglich gegenüber. Im Fleisch ist das Häm–Eisen zweiwertig. Pflanzliche Quellen enthalten dreiwertiges Eisen, gebunden an Proteine und organische Säuren. Bei der Eisenresorption in den oberen Dünndarmabschnitten spielt das Transferrin als Transportprotein eine entscheidende Rolle. Pro Molekül besitzt es zwei Bindungsstellen für Fe+++.

 

Eisenmangel zu beheben, erfordert Geduld bei Arzt und Patient

Je nach Mangelsituation müssen pro Tag 5 bis 25 mg Eisen zugeführt werden, wobei zweiwertige Eisensalze besser resorbiert werden. Trotzdem bewegt sich die Resorptionsquote nur zwischen 2 bis 50%. Eine intravenöse Zufuhr soll jedoch nur in Betracht gezogen werden, wenn der Mangel auf andere Weise nicht behebbar ist (z.B. nach Dünndarmresektion), oder bei gravierenden Nebenwirkungen. Diese parenterale Form der Verabreichung braucht aber dreiwertige Eisensalze.

Die Behebung von Eisenmangelzuständen benötigt Geduld bei Arzt und Patient. Erst nach 3 Monaten kann mit einer Normalisierung des Blutbildes gerechnet werden. Zur Kontrolle werden Blutbildbefunde nach 2–4 Wochen erhoben. Man kann mit einem täglichen Hämoglobin-Anstieg von ca. 0,1 Gramm während der Therapie rechnen. Tritt dieser nicht ein, dann könnten ­okkulte Blutungen (Magen-Darmulzera), schlechte Eisenresorption oder mangelnde Com­pliance des Patienten, eine Zweiterkrankung oder einfach eine falsche Diagnose dafür verantwortlich sein.



 

Hämolytische Anämien

Im Grunde genommen versteht man unter der Hämolyse den ­Abbau und die Zerstörung der Erythrozyten unter physiologischen Verhältnissen in der Milz. Hingegen erfolgt dies pathologischem Geschehen intravasal beziehungsweise in einem Blut- oder Lymphgefäß. Die roten Blutkörperchen sind gleichsam »Power«-Zellen, enthalten sie doch pro Zelle mehr als 200 Enzyme mit einem entsprechenden Redox-Potenzial. Ihre Lebensdauer beträgt durch den intensiven Stoffwechsel und die mechanische Belastung nicht viel mehr als 100 Tage.

Hämatologen unterscheiden zwischen angeborenen Anämien wie die Kugelzellanämie und andere korpuskuläre Veränderungen und erworbenen, meist serogen verursachten Anämien, z.B. durch Wärme- oder Kälteagglutinine verursacht. Zu dieser Gruppe zählt auch die unphysiologische mechanische Beanspruchung von roten Blutkörperchen durch künstliche Herzklappen oder durch intravasale Strömungshindernisse (Fibrin­gerinnsel) bei Mikroangiopathien.

Hyperchrome/megaloblastäre Anämien

Hyperchrome/megaloblastäre Anämien sind mit einer Vergrößerung der Erythrozyten verbunden, sei es durch Vitamin B12-Mangel (perniziöse Anämie), durch Folsäuremangel (Alkoholabusus, Methotrexat-Therapie) oder Hormonmangelzustände (Hypothyreose).

 

Anämien-Einteilung durch weitere Sonderformen

Aplastische Anämie. Sie betrifft nur die Erythropoese und wird in erster Linie durch Bestrahlung, Medikamente, virale Infekte und immunologische Störungen verursacht.

Myelodysplasie. Dabei handelt es sich um Erkrankungen der Stammzellen, die wegen der latenten Gefahr der Entwicklung ­einer Leukämie als Präleukämie gilt. Dabei kommen pathologische Zellen im Knochenmark durch eine gestörte Apoptose ­einen Wachstumsvorteil und können die physiologische Erythropoese verdrängen.




Literatur:

Newhall DA, Oliver R, Lugthart S. Anaemia: A disease or symptom. Neth J Med. 2020 Apr;78(3):104-110. PMID: 32332184.

Gómez Ramírez S, Remacha Sevilla ÁF, Muñoz Gómez M. Anaemia in the elderly. Med Clin (Barc). 2017 Dec 7;149(11):496-503. English, Spanish. doi: 10.1016/j.medcli.2017.06.025. Epub 2017 Jul 23. PMID: 28743402.


Quellen:

http://www.nlm.nih.gov/medlineplus/ency/article/000560.htm

Quelle: Die verschiedenen Formen von Anämien. MEDMIX, 1/2008.

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