Freitag, März 29, 2024

Anämie bei älteren Menschen und funktionelle Störungen

Anämie bei älteren Menschen ist keine normale Alterserscheinung, bei älteren Patienten gelten dieselben Grenzwerte für Blutanalysen wie bei jüngeren.

Eine Anämie – umgangssprachlich Blutarmut oder Blutmangel – bezeichnet man eine Verminderung der Hämoglobin-Konzentration im Blut. Hämoglobin ist wiederum ein Sauerstoff-tragendes Protein, das sich im Blut ganz überwiegend in den roten Blutzellen, den Erythrozyten, befindet. Eine Blutarmut im Alter darf nicht als normal angesehen: Anämie beim älteren Menschen ist keine normale Alterserscheinung, sondern gehört abgeklärt. Bei älteren Patienten gelten dieselben Grenzwerte für Blutanalysen wie bei jüngeren Patienten, wie aktuelle Forschungsergebnisse zeigen.

Im Grunde genommen sind jedenfalls die wichtigsten Ursachen für Anämie bei älteren Menschen eine Mangelernährung und chronische Erkrankungen mit oder ohne Nierenversagen. Allerdings kann man bei einigen Fälle keine bestimmte Ursachen entdecken, wobei die Anamnese und die körperliche Untersuchung hier eine große Rolle spielen.

 

WHO-Grenzwerte und Anämie bei älteren Menschen in Diskussion

Die peripheren Blutwerte bei älteren Menschen wurden in den vergangenen Jahrzehnten nur in wenigen Datenanalysen untersucht. Lange Zeit wurde diskutiert, ob für die Diagnose einer Anämie beim älteren Menschen andere Grenzwerte herangezogen werden müssten und die hohe Anämie-Prävalenz bei älteren Menschen aufgrund „falscher“ Grenzwerte so hoch ist.

Seit langem gibt es eine Auseinandersetzung um die willkürlich festgelegten WHO-Grenzwerte zur Anämie-Definition aus dem Jahr 1969. Diese hatte man damals aus Untersuchungen an jungen Männern und schwangeren Frauen abgeleitet. Und zwar ohne ältere Menschen in die Untersuchungen einzuschließen. Deswegen haben sich jüngere Forschungen die Frage nach Anämie-Grenzwerten im Alter gestellt.




Anämien-Einteilung: keine Diagnose, sondern ein Symptom

Anämien-Einteilung: Eisenanämie zählt weltweitzu den ­bedeutendsten ernährungsbedingten Mangelzustand. Frauen sind besonders betroffen. © Yurii Andreichyn / shutterstock.com
Anämien-Einteilung: Eisenanämie zählt weltweitzu den ­bedeutendsten ernährungsbedingten Mangelzustand. Frauen sind besonders betroffen. © Yurii Andreichyn / shutterstock.com

Anämien-Einteilung: Anämien werden nach dem Zellgehalt des Knochenmarks oder unter Zuhilfenahme des Erythrozyten-Index eingeteilt. Mehr dazu unter https://medmix.at/anaemien-einteilung/


Wissenschaftlich belegte Grenzwerte nach Analyse von 4.641 Patienten

In einer Querschnittstudie konnten deutsche Forscher über einen Zeitraum von zwölf Monaten die Daten von insgesamt 30.611 Patienten im Alter über 60 Jahre untersuchen. Unter Anwendung strenger Einschlusskriterien konnten daraus 4.641 Menschen als hämatologisch gesund definiert und in die Analyse eingeschlossen werden.

Die Auswertung ergab, dass alle Werte der erythrozytären Parameter („kleines Blutbild“) im Bereich der DGHO-Referenzwerte blieben. Und dass die Referenzwerte der WHO für die Anämie-Definition damit bestätigt werden konnten.

Basierend auf diesen Daten kann jetzt der Diskussion um die Etablierung altersspezifischer Referenzwerte für Hämoglobin und erythrozytäre Parameter bei deutschen Patienten über 60 Jahren endlich ein Ende gesetzt werden.

Die Referenzwerte für ältere Menschen in anderen Regionen der Welt könnten aber trotzdem abweichen. Das müsse regional untersucht werden.

 

Anämie und funktionelle Störungen im Alter

Bei Patienten im höheren Lebensalter kann Blutarmut zu Einschränkungen in der physischen und kognitiven Funktionalität führen. Auch der Einfluss auf Morbidität und Mortalität ist nachgewiesen.

Anämie kann als Risikofaktor für multifunktionelle Einschränkungen im Alter angesehen werden und damit die klinische Entwicklung eines multimorbiden geriatrischen Patienten entscheidend beeinflussen.

Gerade vor dem Hintergrund der großen klinischen Relevanz der Anämie im Alter gewinnt die Ermittlung von Normwerten für das Blutbild älterer Menschen an Bedeutung.

Übrigens zeigen aktuelle Ergebnisse, dass eine Anämie beim älteren Menschen mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes signifikant mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden ist.




Antioxidantien in höheren Konzentrationen an können Risiko für Demenz verringern

Natürliche pflanzliche Antioxidantien, Phytochemikalien und sekundäre Pflanzenstoffe stehen im Blickpunkt zahlreicher Studien. © Igor Normann / shutterstock.com
Natürliche pflanzliche Antioxidantien, Phytochemikalien und sekundäre Pflanzenstoffe stehen im Blickpunkt zahlreicher Studien. © Igor Normann / shutterstock.com

Antioxidantien scheinen mit zunehmendem Alter vor Neurodegeneration und damit vor dementiellen Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz schützen zu können. Mehr dazu unter https://medmix.at/antioxidantien-in-hoeheren-konzentrationen-an-koennen-risiko-fuer-demenz-verringern/


Literatur:

Choi JW, Kim TH, Han E. Anemia and incidence of dementia in patients with new-onset type 2 diabetes. A nationwide population-based cohort study. BMJ Open Diabetes Res Care. 2020;8(1):e001289. doi:10.1136/bmjdrc-2020-001289

Gómez Ramírez S, Remacha Sevilla ÁF, Muñoz Gómez M. Anaemia in the elderly. Anemia del anciano. Med Clin (Barc). 2017;149(11):496–503. doi:10.1016/j.medcli.2017.06.025

Halawi R, Moukhadder H, Taher A. Anemia in the elderly: a consequence of aging? Expert Rev Hematol. 2017 Apr;10(4):327-335. doi: 10.1080/17474086.2017.1285695. Epub 2017 Feb 2.

Leischker AH, Fetscher S, Kolb GF. Anämie im Alter [Anaemia in the elderly]. Dtsch Med Wochenschr. 2016;141(13):954–959. doi:10.1055/s-0041-103349

Goodnough LT, Schrier SL. Evaluation and management of anemia in the elderlyAm J Hematol. 2014;89(1):88–96. doi:10.1002/ajh.23598




Quelle: Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V.

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