Mittwoch, April 24, 2024

Patienten mit Alkoholabhängigkeit nach der Therapie besser vor Rückfall schützen

Das Erkennen von Subgruppen kann nach der Therapie helfen, Patienten mit Alkoholabhängigkeit in der frühen Abstinenz vor einem Rückfall schützen.

Alkoholbezogene Erkrankungen, insbesondere die Alkoholabhängigkeit, sind schwer zu behandeln, denn die Gefahr ist groß, dass es nach der Therapie wieder zu einem Rückfall kommt. Allgemein gehören Alkohol-assoziierte Erkrankungen zu einem weit verbreiteten Gesundheitsproblem. Auf ein Risiko für eine Alkoholsucht deuten Symptome wie häufiges Denken an Alkohol sowie steigender Alkoholkonsum hin. Oft ist Alkoholmissbrauch auch mit sozialen Problemen und Streitigkeiten in der Familie verbunden. Betroffene registrieren auch oft selbst, dass ihre Leistungsfähigkeit nachlässt. Allgemein kann man bei alkoholabhängigen Patienten auch einen Verlust an Lebensfreude beobachten.

 

Rund 200 Todesfälle täglich durch exzessiven Alkoholmissbrauch

Während Alkohol-assoziierte psychische und verhaltensbezogene Störungen im Jahr 2012 zu den zweithäufigsten Einzeldiagnosen in deutschen Krankenhäusern zählten (1) und exzessiver Alkoholkonsum zudem rund 200 Todesfälle täglich verursachte (2), sind beispielsweise in Deutschland circa 1,9 Millionen alkoholabhängige Patienten diagnostiziert und weitere 1,6 Millionen Bürger weisen einen „schädlichen Alkoholgebrauch“ auf (3).

Neben einer beklagten Unterschätzung sowie einer Unterversorgung der Therapie-bedürftigen Menschen mit Alkoholabhängigkeit (3), kommt in der frühen Abstinenzphase noch oft zu einem Rückfall, was die hohe Rückfallquoten von 50 bis 80 Prozent unterstreicht (4).

 

Nach der Therapie und Entzug die Patienten mit Alkoholabhängigkeit zuverlässiger vor Rückfall schützen!

Die Untersuchung von hirnbiologischen Korrelate und Differenzierungen soll dabei helfen, ein genaueres Grundlagenwissen in Bezug auf die Ausprägungen und auf die entstehenden und aufrechterhaltenden Faktoren einer pathologischen Alkoholabhängigkeit zu erlangen.

Das kann praktisch dabei helfen, dass man Patienten mit Alkoholabhängigkeit gezielter in der Therapie unterstützen und zuverlässiger vor einem Rückfall schützen kann. Das ist gerade in der kritischen Zeit nach dem Alkoholentzug von großer Bedetung.

Denn in dieser Phase ist dem Körper zwar die Substanz Alkohol entzogen, aber vor allem das Gehirn ist noch immer an den Einfluss des Alkohols gewöhnt und muss sich erst wieder an die neue Situation anpassen.

 

Spezielle Therapien müssen die Regeneration des Gehirns nach einer Alkoholabhängigkeit fokussieren

Dies kann man im Sinne einer individuellen Versorgung von Patienten mit Alkoholabhängigkeit im Grunde genommen auch mit spezialisierten Therapie-Methoden erreichen. Beispielsweise im Rahmen einer mentalen Therapie zum adäquaten Erkennen von Emotionen. Das soll den Patienten auch dabei helfen, ihre Emotionen besser regulieren zu können. Dazu bieten sich Schulungen der kognitiven Kapazitäten sowie ein Verhaltenskontrolltraining im Umgang mit Suchtreizen an. Solch Methoden stehen jedenfalls im Kontrast zu einem Standard-Therapieprogramm.

Unter dem Strich kann auch die bildgebende Forschung wichtige Erkenntnisse bezüglich dessen hervorbringen, welche Faktoren und Hirnveränderungen eine erfolgreiche Therapie in der Bildgebung kennzeichnen.

Jedenfalls zeigen Forschungsergebnisse, dass nicht nur der Körper sondern auch das Organ Gehirn Zeit zur Regeneration nach der Therapie einer Alkoholabhängigkeit brauch, um letztendlich auch häufiger einen Rückfall verhindern zu können.

Deswegen muss man schließlich mit alkoholabhängigen Patienten auch Verständnis haben. Sie brauchen spezifische Einschränkungen, um wieder ein Leben ohne Alkohol meistern zu können.

 

Alkoholabhängigkeit betrifft eine heterogene Gruppe von Patienten

Die genaue Erforschung und das Erkennen von suchtrelevanten Faktoren und auch Mechanismen, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Alkoholabhängigkeit beteiligt sind, sind von großer Wichtigkeit und im Interesse der Untersuchungen zur Therapie sowie dem Risiko für einen Rückfall.

Forscher konnten unlängst in Studien neurobiologische Hinweise zur klinischen Beobachtung finden, dass es nicht die typische alkoholabhängige Patienten gibt. Sondern es ist eine heterogenen Patientengruppe vorliegt.

Forschungsergebnisse der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité – Universitätsmedizin Berlin konnten unlängst zeigen, dass man möglicherweise Subgruppen dieser Patienten bilden kann. Diese Subgruppen lassen sich hinsichtlich gewisser begleitender Hirnfunktionsmuster und des jeweils zugrunde liegenden, individuellen Krankheitsverständnisses charakterisieren.

 

Emotionensexperimente mit Bildgebung

Forschende um Dr. Katrin Charlet waren hierzu insbesondere an der Erforschung von schützenden (protektiven) Hirnmechanismen interessiert. Durch Erkennen dieser Mechanismen soll man zukünftig abstinente von rückfälligen Patienten unterscheiden können.

Zudem haben die Wissenschaftler die verstärkt diskutierten Interaktionen zwischen genetischen und suchtrelevanten Persönlichkeitsfaktoren und der Gehirnfunktion und Gehirnstruktur fokussiert. Dazu setzten sie bildgebende Verfahren wie die funktionelle und strukturelle Magnetresonanztomographie (MRT) sowie die Positronen-Emissions-Tomographie ein.

 

Patienten mit intakten Hirnleistungen hatten nach der Therapie ihrer Alkoholabhängigkeit seltener einen Rückfall!

So konnten in Emotionsexperimenten, bei denen Patienten zu Beginn ihrer Entzugsbehandlung entweder Gesichtsausdrücke vergleichen und einander zuordnen mussten (5) oder emotional negative und neutrale Bilder nur passiv betrachteten sollten (6), spezifische Aktivierungen und Kommunikationsmuster zwischen der frontalen Großhirnrinde (dem Anterioren Gyrus Cinguli) und dem limbischem Emotionszentrum (der Amygdala) identifiziert werden, die wesentlich bei der Verarbeitung und mutmaßlich auch bei der Regulation negativer Emotionen (wie Angst oder Wut) beteiligt sind.

Alkoholabhängige Patienten mit diesen intakten Hirnleistungen wiesen nicht nur weniger Alkoholkonsum in ihrem bisherigen Leben auf, sondern blieben im Verlauf der ersten kritischen sechs Monate nach Entgiftung komplett abstinent (5). Und zwar im Vergleich zu Patienten mit geringer Ausprägung beziehungsweise gestörter Verbindung dieser Hirnareale. Diese Patienten litten auch an den vermuteten Problemen in der Verarbeitung und Regulation von negativen Emotionen, was auch mit einer höheren Persönlichkeitsausprägung für Ängstlichkeit einherging (6).

 

Schützende Ressourcen im Stirnlappen des Gehirns

In einem weiteren MRT-basierten Experiment untersuchten die Forschenden Patienten, die zukünftig sieben Monate abstinent blieben. Und zwar bezüglich ihrer intellektuellen Verhaltenskontrolle und Verhaltenssteuerung. Beeinträchtigungen solcher Exekutivfunktionen gelten als weiterer zentraler Aspekt einer pathologischen Alkoholabhängigkeit.

Jedenfalls konnten die Wissenschaftler mittels Bildgebung bei diesen Patienten schützende flexible und kompensatorische Aktivierungen neuronaler Ressourcen im Stirnlappen des Gehirns bei der Bewältigung hoher kognitiver Ansprüche erkennen. Im Gegensatz zu Patienten, die derartige Hirnmuster nicht aufzeigten und nach der Entzugsbehandlung wieder rückfällig wurden (7).

Weiter halfen zusätzliche Studien dabei, genetische Einflüsse auf die Gehirnfunktion zu bestimmen (hier die neurobiologische Wirkung des Rückfallrisiko-assoziierten GATA4- rs13273672-Gens), die bei der Konfrontation der alkoholabhängigen Patienten mit suchtrelevanten Bildreizen dem zukünftigen Rückfall entgegenwirken (8).


Literatur:

(1) Statistisches Bundesamt (2015). Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern
(einschl. Sterbe- und Stundenfälle) 2013. Wiesbaden.

(2) Pabst A et al. (2013). Substanzkonsum und substanzbezogene Störungen in Deutschland im Jahr
2012. Sucht 2013; 59(6): 321-331.

(3) Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF, 2015).
S3-Leitlinie “Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen”, Stand 22.04.2015.

(4) Boothby & Doering, 2005

(5) Charlet et al. (2014). Neural activation during processing of aversive faces predicts treatment
outcome in alcoholism. Addict Biol. 19(3): 439-51.

(6) Kienast et al. (2013). Dopamine-modulated aversive emotion processing fails in alcohol-dependent
patients. Pharmacopsychiatry 46(4):130-6.

(7) Charlet et al. (2014). Increased neural activity during high working memory load predicts low
relapse risk in alcohol dependence. Addict Biol. 19(3):402-14.

(8) Jorde et al. (2014). Genetic variation in the atrial natriuretic peptide transcription factor GATA4
modulates amygdala responsiveness in alcohol dependence. Biol Psychiatry 75(10):790-7.


Dr. rer. medic. Dipl.-Psych. Katrin Charlet © Charité
Dr. rer. medic. Dipl.-Psych. Katrin Charlet © Charité

Quelle: Statement von Dr. rer. medic. Dipl.-Psych. Katrin Charlet – Preisträgerin des Niels-A.Lassen-Preises 2016, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Charité Mitte.

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