Donnerstag, März 28, 2024

Akutes Koronarsyndrom: erste Therapie durch den Hausarzt

Der Hausarzt sollte im Vorfeld seine Risikopatienten und deren Angehörige über ein akutes Koronarsyndrom und mögliche Warnzeichen aufklären.

Etwa zwei Drittel aller plötzlichen Herztodesfälle treten in häuslicher Umgebung auf. Der Hausarzt hat die Möglichkeit und Aufgabe, Risikopatienten und ihre Angehörigen im Vorfeld über die Warnzeichen eines Herzinfarktes aufzuklären, um die entscheidende Zeitspanne (Patientenentscheidungszeit) zwischen dem Auftreten des Ereignisses – wenn ein akutes Koronarsyndrom auftritt – und der lebensrettenden Reperfusionstherapie möglichst kurz zu halten. Die Hausarztpraxis sollte über die für die Erstversorgung im Notfall notwendigen technischen und organisatorischen Einrichtungen verfügen, sowie eine Primärdiagnostik und -therapie bieten können.

Es zählt zu den primären Aufgaben des Hausarztes die, schon zumeist im Vorfeld zu identifizierenden Risikopatienten zu erkennen und sie und ihre Angehörigen entsprechend zu schulen. Nur durch rasche und richtige Deutung der Symptome eines akuten koronaren Ereignisses, wie retrosternaler Schmerz mit Ausstrahlung in den Oberbauch, den Kiefer, den linken Arm oder auch in den Rücken, eventuell verbunden mit Vernichtungsgefühl, Angst und Übelkeit, wird die Patientenentscheidungszeit ausschlaggebend verkürzt. Zwei Drittel aller Patienten mit akutem Myokardinfarkt sterben noch bevor medizinische Hilfe vor Ort ist.

 

Akutes Koronarsyndrom? Per Notruf sofort Hilfe holen!

Oftmals scheitert eine rasche Hilfeleistung bereits am fehlenden Wissen um die Notrufnummer (Rettung 144). Niemand sollte davor zurückschrecken, einmal zu oft die Einsatzkräfte alarmiert zu haben – auch nicht der Arzt!. Bei einem Notruf sind eine klare Ortsangabe und das Hinterlassen einer Telefonnummer für eventuell notwendige Rückrufe der Rettungsleitstelle wichtig. Ein akutes Koronarsyndrom ist eine Notsituation und es muss einfach und klar verständlich formuliert werden, damit die Rettung von vorne herein mit den adäquaten Behelfen ausrücken kann.

Bei dem in der Akutsituation entstehenden Stress ist es hilfreich, wenn sich die Angehörigen von Hochrisikopatienten die notwendigen Handlungen und Mitteilungen (besonders im Hinblick auf eventuell nötige Ortsbeschreibungen zum schnellen Auffinden des Einsatzortes) bereits vorweg im „Trockentraining“ eingeprägt haben. Wenn vorhanden, sollten wichtige bereits vorliegenden Befunde (z.B. EKG) bereit gehalten werden.

 

Akutes Koronarsyndrom erklären, Angehörige im Vorfeld schulen

Die Angehörigen der Risikopatienten in Basisreanimationsmaßnamen zu schulen und deren Durchführung in regelmäßigen Abständen zu üben, kann Leben retten. Erstaunlicherweise ergreifen Angehörige im Falle eines plötzlichen Herztodes seltener Reanimationsmaßnahmen als z.B. zufällige Passanten auf der Straße. Bei Eintreten eines akuten Koronarereignisses zu Hause ist die Rettung unverzüglich zu rufen.

 

Die notwendigen Erstmaßnahmen in der hausärztlichen Praxis

Um die Erstversorgung in der Arztpraxis optimal zu gestalten, bedarf es strukturierter Handlungsabläufe. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Praxismitarbeiter die Symptome des akuten Koronarsyndroms erkennen und die betroffenen Patienten unverzüglich dem Arzt zuführen. Für die Notfallversorgung in der Praxis sollte eine Liege mit hochstellbarem Kopfteil zur Verfügung stehen, Venenpunktionsbesteck, Notfallmedikamente und optimalerweise eine Sauerstoffflasche mit Maske sowie ein Defibrillator. Halbautomatische Defibrillatoren nehmen eine Rhythmusanalyse vor und geben akustische Handlungsanweisungen.

Jeder Mitarbeiter in der Ordination muss über den Aufbewahrungsort aller Medikamente und Materialien im Ernstfall Bescheid wissen. Training schafft Sicherheit. Eine durchdachte und strukturierte Aufbewahrung und eine, auf das Wesentliche beschränkte Vorratshaltung erleichtern die Arbeit. Wenige, aber effiziente Medikamente, deren Wirkung verstanden wird, bringen mehr als die Apotheke einer Intensivstation, wenn Wissen, Apparate und Hilfspersonal für deren Anwendung nicht vorhanden sind.

Wiederholtes Training des Personals in der Basisreanimation ist wichtig. Im Akutfall ist es erforderlich, daß jedem der Praxismitarbeiter die Abläufen vertraut sind.

 

Akutes Koronarsyndrom diagnostizieren: STEMI und NSTEMI

Nach Erhebung der Anamnese, ist vor der Durchführung einer weiteren Diagnose sofort ein 12-Ableitungs-EKG anzufertigen. Entscheidend für das Vorgehen ist die Differenzierung zwischen ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) und Nicht-ST-Streckenhebungsinfarkt (NSTEMI).

ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) lässt sich an 20 Minuten andauernden pektanginösen Schmerzen in Verbindung mit ST-Streckenhebung in mind. zwei zusammengehörenden Ableitungen erkennen. Bei fast einem Viertel der Patienten mit der Entlassungsdiagnose STEMI ist das EKG nicht völlig infarkttypisch, gelegentlich sogar normal. Überschreitet die Symptomdauer 3-4 Stunden und ist der EKG-Befund unklar, empfiehlt sich ein Troponin-Bedside-Test, welcher bei eindeutigem STEMI überflüssig ist.

Der Nicht-ST-Streckenhebungsinfarkt (NSTEMI) ist definiert durch erhöhte Troponinwerte, als Ausdruck myokardialer Einzelzellnekrosen bei nicht vorhandener ST-Hebung im EKG. Beim NSTEMI können auch EKG-Alterationen, z.B. geringe ST-Streckenhebungen, ST-Senkungen oder terminal negative T-Wellen auftreten. Diese EKG-Veränderungen dokumentieren eine akute koronare Ischämie, unabhängig vom Troponinverlauf. Die klinische Bedeutung muss anhand zusätzlicher Parameter (Häufigkeit, Schwere der Symptome, etc.) eingeordnet werden.

Bei Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt ist höchste Eile geboten, da die Effektivität einer Reperfusionstherapie bei STEMI innerhalb der ersten 3-4 Stunden nach Symptombeginn exponentiell absinkt. Für die Lyse ist dieser Verlust ausgeprägter als für die perkutane Koronardiladation. Die Prognose für Patienten mit instabiler Angina pectoris und erhöhten Troponinwerten ohne ST-Hebung im EKG (= NSTEMI) unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der bei Patienten mit STEMI. Auch Patienten mit NSTEMI profitieren von einer frühzeitigen invasiven Diagnostik und Therapie, die innerhalb von maximal 48 Stunden erfolgen sollte.

 

Akutes Koronarsyndrom behandeln

Zu den Erstmaßnahmen gehören das Legen einer peripher-venösen Verweilkanüle und Sauerstoffgabe, am besten über eine Maske mit Reservoirbeutel (dadurch ist ein geringerer Sauerstoffflow nötig), während der Patient mit leicht angehobenem Oberkörper gelagert wird.

Im weiteren Vorgehen ist es wichtig zu differenzieren, ob die Arztpraxis in einem Ballungsgebiet liegt und der Transport ins nächste Spital somit nur wenige Minuten dauert, oder ob mit regional bedingt längeren Transportzeiten zu rechnen ist.

In der Stadtpraxis sollte sich die Therapie, sofern der Patient hämodynamisch stabil ist, auf das Rufen der Rettung, eventuell auf eine vorsichtige Schmerzbekämpfung mit Alkaloiden (z.B. Morphinhydrochlorid 3-5mg i.v.) beschränken (siehe dazu weiter unten). Weitere Basistherapien empfehlen sich besonders dann, wenn mit längeren Transportzeiten zu rechnen ist.

Um die in einer frühen Phase akuter Koronarsyndrome häufiger auftretenden Rhythmusstörungen sofort erfassen zu können, sollte unverzüglich mit einem kontinuierlichen Rhythmusmonitoring begonnen werden. Steht kein EKG-Monitor zur Verfügung, ist ein einfaches Pulsoxymeter mit eingeschaltetem Systolenton für Monitoringzwecke ebenso einsetzbar, da bei Auftreten einer gravierenden Rhythmusstörung immer noch ein neues EKG geschrieben werden kann.

Bei Patienten mir linksventrikulärer Insuffizienz (Lungenstauung bis akutes Lungenödem) oder hohen Blutdruckwerten werden in Abhängigkeit vom Blutdruck 0,4-0,8mg Glyceroltrinitrat in Spray -oder Kapselform verabreicht und bei Bedarf in Abständen von wenigen Minuten wiederholt (CAVE: Nitro i.v.). Bei Blutdruckwerten unter 90mmHg oder bei ausgeprägter Bradykardie hingegen sind Nitropräparate kontraindiziert, vor allem, wenn die Bradykardie mit Hypotension einhergeht.

Da Schmerzen und Stress den myokardialen Sauerstoffbedarf erhöhen, sind beide ausreichend zu behandeln. Bei nitrorefraktärem Schmerz empfehlen sich Opiate (wie Morphin) in wiederholten Einzelgaben von 3-5mg i.v., bis zur weitgehenden Schmerzfreiheit. Bei der Gabe von Morphin erübrigen sich zusätzliche Sedativa des Benzodiazepintyps. Intramuskuläre Injektionen sollten grundsätzlich unterlassen werden.

 

Weitere Basistherapie

Sofern nicht ein erhebliches Blutungsrisiko vorliegt und keine Vorbehandlung mit ASS besteht, ist bei gesichertem bzw. sehr wahrscheinlichem AKS die Gabe von Azetylsalizylsäure (ASS) 250–500 mg i. v. und Heparin 60 U/kg, maximal 5000 U i. v., als Vorbereitung zur anschließenden Reperfusionstherapie ( Lyse, Akutintervention oder Kombination aus beiden) angezeigt. Bei Verdacht auf NSTEMI wird häufig der baldige Einsatz von Clopidogrel 300–600 mg per os als Vorbereitung auf eine möglicherweise erst später erfolgende Intervention, empfohlen (verstärkte Plättchenaggregationshemmung). Diese Maßnahme schränkt allerdings die nachfolgenden Möglichkeiten in der Klinik ein, weil dadurch eine akute operative Intervention unmöglich wird (Blutungsrisiko).

 

Akutes Koronarsyndrom und mögliche Komplikationen

Zu den häufigsten Komplikationen beim akuten Koronarsyndrom zählen Rhythmusstörungen und akute Herzinsuffizienz, wobei Rhythmusstörungen grundsätzlich nur dann in der hausärztlichen Praxis behandelt werden sollten, sofern hämodynamische Auswirkungen vorliegen. Hierbei ist eine Monitorüberwachung notwendig.

Vor einem Behandlungsversuch ist es sinnvoll die Morphologie in einem kompletten 12-Kanal-EKG zu dokumentieren, um die genaue Zuordnung der Störungsart zu erleichtern.
Kleine Dosen Atropin (0,5mg i.v.) sind die erste Wahl bei hämodynamisch wirksamen Sinusbradykardien, SA-Blockierungen und AV-Block II° Typ Wenckebach. Unwirksam sind sie hingegen bei AV-Block II° Typ Mobitz oder AV-Block III°.

Das immer wieder in der Literatur angeführte transthorakale Pacing funktioniert leider in der Praxis oft nicht und belastet den Patienten durch lokale Schmerzen und Muskelzuckungen. Wenn der Patient nicht bewusstlos ist, wird nur beobachtet und keine Therapie gegeben. Erstaunlich niedere Frequenzwerte werden oft noch ohne Bewusstseinsverlust ertragen.

Wenn Bewusstlosigkeit vorliegt, kann ein Therapieversuch mit Orciprenalin oder Suprarenin Erfolg bringen; beide Substanzen müssen vorsichtig dosiert werden. Andernfalls sind Reanimationsmaßnahmen zu ergreifen. Eine ausgeprägte Sinustachykardie ist aus pathophysiologischer Sicht beim akuten Koronarsyndrom ungünstig. Sie ist zumeist Schmerz bedingt und daher entsprechend zu therapieren. Ventrikuläre Extrasystolen, Couplets und Salven werden nur behandelt sofern sie hämodynamische Auswirkungen haben. Vor der Gabe von Amiodaron 300-600mg i.v. kann ein Versuch mit Lidocain 1mg/kgKG unternommen werden, da Lidocain nur kurz wirksam ist und daher die therapeutischen Möglichkeiten in der Klinik nicht einschränkt.

 

Der Therapieversuch sollte sich jedenfalls auf nur ein Antiarrhythmikum beschränken.

Sofern der Blutdruck ausreicht, wird Linksherzinsuffizienz (bis zum Lungenödem) mit Nitropräparaten unter RR-Kontrolle und einem Schleifendiuretikum (Furosemid 40-80 mg i.v., Torasemid 20-40 mg i.v.) behandelt. Der Patient wird dabei mit leicht erhöhtem Oberkörper gelagert und über eine Maske mit 4-8l Sauerstoff/min versorgt.

Regeln für die kardiopulmonale Reanimation

Beim Eintritt eines plötzlichen Kreislaufstillstandes – meist infolge von Kammerflimmern – ist das Einhalten der Regeln für die kardiopulmonale Reanimation wichtig und eine sofortige Defibrillation unbedingt notwendig. Bei primärer pulsloser elektrischer Aktivität oder primärer Asystolie sind die ersten Reanimationsmaßnahmen Herzdruckmassage und Beatmung mittels Maske.

Der nächste Schritt ist die Verabreichung von 1mg Adrenalin als Vasopressor, eine Maßnahme, die auch bei Unwirksamkeit des Defibrillators gesetzt wird. Das Ziel ist die Aufrechterhaltung oder das Erreichen eines arteriellen Drucks von mindestens 90mmHg.

Die Reanimation beginnt mit 30 Thoraxkompressionen, gefolgt von zwei Beatmungen. Der Thorax muss über dem Zentrum mit einer Frequenz von 100/min und einer Tiefe von 4-5cm eingedrückt werden („Push hard and fast“). Das Aufsuchen eines Druckpunktes entspricht nicht mehr der gängigen Lehrmeinung.

Intubationsversuche sollte nur der in dieser Maßnahme Geübte unternehmen. Eine Alternative kann eine Larynxmaske oder ein FRASS-Tubus sein. Unter Maskenbeatmung ist die Beatmung mit der Herzdruckmassage zu synchronisieren, bei intubierten Patienten ist keine Synchronisation nötig. WICHTIG: Wer einmal intubiert ist, soll das bis in die Klinik bleiben.

Wünschenswert ist, dass das gesamte Personal einer Hausarztpraxis grundlegende Kenntnisse über die kardiopulmonale Reanimation besitzt und diese im Notfall auch anwenden kann.


Quellen:

Autoren: Ass.-Prof. Dr. Hannes Traxler, Dr. Klaus Peter Aldor. MEDMIX print

http://leitlinien.dgk.org/stichwort/akutes-koronarsyndrom/

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