Montag, April 15, 2024

19. Kardiologie-Kongress Innsbruck

Vom 2. bis 4. März wird am 19. Kardiologie-Kongress Innsbruck das Neueste rund ums Herz praxisorientiert für Allgemeinärzte und Internisten vermittelt.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, davon 17.265 Herzinfarktfälle, wurden 2015 an österreichischen Krankenhäusern gezählt. Und noch immer sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit 42 % aller Todesfälle die häufigste Todesursache von Frau und Herrn Österreicher und betrafen 2015 35.537 Menschen. Neueste Entwicklungen lassen darauf hoffen, dass sich hier in Zukunft etwas ändert! Am 19. Kardiologie-Kongress Innsbruck, zu dem Dir. Univ. Prof. Dr. Günter Weiss begrüßte, informierten über die positiven Perspektiven Univ. Prof. Dr. Guy Friedrich und Univ. Prof. Dr. Peter Marschang von der Universitätsklinik für Innere Medizin 3, Kardiologie, Innsbruck und Univ. Prof. Dr. Christoph Ebenbichler von der Universitätsklinik für Innere Medizin I, Innsbruck.

Wer heute als Mann 60 Jahre alt, Diabetiker und Raucher ist sowie zu hohen Blutdruck und Cholesterinwerte jenseits 300 aufweist, vielleicht auch noch unter Stress steht, übergewichtig ist und sich wenig bewegt, genießt einen zweifelhaften Rekord: Er hat ein knapp 50-prozentiges Risiko und damit die höchste statistische Wahrscheinlichkeit, in den nächsten 10 Jahren einen Herzinfarkt zu erleiden! Dabei gilt: Die Summe der Risikofaktoren macht das Risiko! Je mehr Risikofaktoren, desto höher potenziert sich das Risiko für einen Herzinfarkt!

Die Frau mit 60, die weder Blutzucker, Blutfette noch Blutdruck erhöht hat, noch raucht oder genetisch vorbelastet ist, darf sich über ein statistisches 10-Jahres-Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, von 1 bis 2 Prozent freuen! Sicher fühlen darf sie sich deshalb trotzdem nicht. Sie hat nur ein vielfach geringeres Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. In Vorsorgeuntersuchungen haben niedergelassene Ärzte heute anhand von Richtwerten (Scores) schon gute Möglichkeiten, das individuelle Risiko eines Herzinfarktes einzuschätzen.

Risikofaktoren wie Diabetes, Rauchen oder zu hohen Blutdruck konnte man durch Lifestyle-Änderung und Medikamente inzwischen gut beeinflussen. Gemeinsam mit einem gut abgestimmten Notarzt- und Rettungssystem halbierten sich daher die Zahlen der Herzinfarkt-Toten in Österreich in den letzten 30 Jahren! Trotzdem gab es eine große Gruppe von Hochrisikopatienten, bei denen die Ärzte bisher daran scheiterten, dass sich die Blutfette – vor allem das „schlechte“ LDL-Cholesterin – nicht genügend weit senken ließen. Das liegt im Wesentlichen daran, dass rund ein Drittel aller Hochrisiko-PatientInnen die derzeit gängige Statin-Therapie entweder nicht vertragen oder aus genetischen Gründen nicht darauf reagieren.

* Neueste Studienerkenntnisse* zeigen nun, dass eine Antikörpertherapie mit monatlichen Injektionen unter die Haut eine erhebliche Senkung der Cholesterinwerte bewirkt.
* Neu ist auch, dass erstmals gleichzeitig die gefährlichen Gefäßablagerungen massiv schrumpfen!
* Dazu gibt es jetzt neu auch die wissenschaftliche Bestätigung, dass dieser Effekt eindeutig Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern kann!

Vor allem bei HochrisikopatientInnen erwartet sich Univ. Prof. Dr. Guy Friedrich in Zukunft daher wesentlich weniger Herzinfarkte. „Allein in Tirol werden pro Jahr zwischen 300 und 400 Herzinfarkte akut in der Klinik behandelt, ungefähr 100 landen erst gar nicht bei uns an die Klinik und dazu kommen Patienten mit Akutbeschwerden und Vorstufen von Infarkten (sogenannte Akute Koronarsyndrome). Laut den internationalen Richtlinien brauchen diese Patienten eine sehr aggressive Behandlung ihrer Cholesterinwerte. Oftmals werden diese Zielwerte mit Diät und gängigen Cholesterinsenkern (Statine) nicht erreicht. Diesen Hochrisiko-Patientinnen können wir nun wirksame Hilfe anbieten“, sagt Friedrich. Gleiches gilt im Übrigen für den Schlaganfall und für alle „Verkalkungs“-Erkrankungen der Gefäße in Armen und Beinen sowie zu den lebenswichtigen Organen wie Nieren oder Darm.

Warum ist Cholesterin der entscheidende Risikofaktor für Herzinfarkte?

Cholesterin ist ein Baustein unseres Körpers, den wir für den Zellaufbau, vor allem für Nervenzellen, brauchen. Während wir vom sogenannten „guten“ HDL-Cholesterin gar nicht genug haben können, verursacht ein Zuviel des „schlechten“ LDL-Cholesterins im Blut Ablagerungen an den Gefäßwänden und verstopft schließlich die Gefäße. Der Fachbegriff dafür heißt Arteriosklerose oder populärer: Arterienverkalkung. Die Fettablagerungen an den Gefäßwänden lösen sich oder brechen auf und verursachen so Herzinfarkte oder auch Schlaganfälle, je nachdem, ob die Ablagerungen im Herzen oder im Gehirn landen.

Wie wirkt die neue Antikörper-Therapie?

Das hochriskante LDL-Cholesterin lässt sich auch mit noch so konsequenter Lebensführung (Diät, Bewegung) alleine nicht auf den von den Fachgesellschaften geforderten, herzinfarktverhindernden Wert von 70 absenken. Dazu sind unbedingt Medikamente erforderlich. Bisher stand dafür ausschließlich die Statin-Therapie zur Verfügung, die bei zwei Dritteln aller RisikopatientInnen Erfolg zeigte. Für jenes Drittel der PatientInnen, denen die Ärzte bisher nichts anbieten konnten, steht nun die neue Antikörper-Therapie zur Verfügung. Die neue Substanz ist ein sogenannter PCSK9-Inhibitor und unter den Substanznamen „Alirocumab“ und „Evolocumab“ im Handel. Erste Erfahrungen zeigen, dass sie im allgemeinen gut verträglich ist und wenig Nebenwirkungen aufweist.

Die neue Substanz arbeitet an der Leberzelle und sorgt dafür, dass mehr Cholesterin aus dem Blut absorbiert wird. Sie greift damit in den Leberstoffwechsel ein und bewirkt, dass dem Blutkreislauf mehr Cholesterin entzogen wird.

Schlaganfall und Schaufenster-Krankheit – wer profitiert noch?

Der Innsbrucker Angiologe Univ. Prof. Dr. Peter Marschang erwartet sich von den neuen aggressiven Cholesterin-Senkern Hilfe für RisikopatientInnen überall dort, wo Gefäße im Körper durch Arteriosklerose verengt werden und Cholesterinwerte bisher nicht weit genug gesenkt werden konnten. Das reicht von den Herzkranzgefäßen und ihrem Risiko eines Herzinfarktes bis hin zur Halsschlagader, deren fortschreitende Verengung einen Schlaganfall erwarten lässt. Betroffen sind auch Gefäße der Arme und Beine, deren Verengung zu Schmerzen in Beinen und Armen bis hin zur Schaufenster-Krankheit und drohenden Amputation führen kann. Und Gefäße, die lebenswichtige innere Organe wie die Niere oder den Darm versorgen und bei Verengung zu lebensbedrohlichen Durchblutungsstörungen führen.

„Alles in allem erwarten wir, dass durch die neuen cholesterinsenkenden Therapien – ähnlich wie beim Herzinfarkt – auch das Risiko für andere schwerwiegende Ereignisse im Bereich anderer Gefäße gesenkt werden kann“, sagt Marschang. Hoffen dürfen beispielsweise Risiko-Patienten in Bezug auf Schlaganfall oder Risiko-Patienten mit ernsthaften Durchblutungsstörungen der Beine und Arme, deren Cholesterin-Werte bisher nicht weit genug abgesenkt werden konnten. Rund ein Fünftel aller ÖsterreicherInnen über 75 leidet beispielsweise an einer Verengung der Beingefäße. Einem Drittel davon konnte bisher nicht ausreichend geholfen werden.

Bei über 300 PatientInnen werden in Innsbruck im Rahmen einer Studie Ablagerungen in den peripheren Gefäßen (Halsschlagader, Oberschenkelschlagader) mittels Ultraschall laufend gemessen. Damit ist es – ähnlich wie in der oben genannten Studie am Herzen – möglich, das Fortschreiten arteriosklerotischer Veränderungen genau zu dokumentieren. Die ersten Studienpatienten haben in den letzten Monaten mit der neuen Antikörper-Therapie gestartet. „Wir erwarten uns dadurch auch in dieser Studie eine deutliche Reduktion der Gefäßablagerungen, erste vorliegende Ergebnisse sind vielversprechend“, sagt Marschang.

Wer bekommt die neue Antikörper-Therapie?

Trotz schöner Erfolge der neuen Therapie ist großer Jubel derzeit noch nicht angebracht. Ihr Einsatz ist im Moment streng limitiert. Daher werden die neuen Cholesterin-Senker ausschließlich an sogenannten PCSK9-Zentren von Stoffwechselambulanzen österreichweit verabreicht. In Tirol sind das die Stoffwechselambulanzen an der Univ.-Klinik für Innere Medizin 1 in Innsbruck, im Bezirkskrankenhaus Schwaz, am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams und am Bezirkskrankenhaus Lienz. Die Medikamente sind chefarztpflichtig. Zugelassen werden derzeit nur HochrisikopatientInnen, bei denen der LDL-Cholesterinwert mit den bisherigen Methoden nicht auf die von den Internationalen Kardiologischen Gesellschaften empfohlenen 70 gesenkt werden kann und über 100 liegt.

Bei den meisten PatientInnen wird die Therapie derzeit im Rahmen der Sekundär-Prävention eingesetzt. Das heißt im Klartext, dass sie bereits entweder eine Herzinfarkt oder eine andere Verschlusskrankheit haben und die Gefahr eines neuerlichen „Ereignisses“ droht. „In der Primärprophylaxe – also zur Vorsorge gegen den ersten Herzinfarkt, wo die Therapie ebenso sinnvoll eingesetzt wäre, – ist sie derzeit kaum zu haben“, sagt Ao. Univ. Prof. Dr. Christoph Ebenbichler von der Innsbrucker Stoffwechselambulanz an der Universitätsklinik für Innere Medizin I. Einen Vorstoß macht im Moment die Österr. Arteriosklerose-Gesellschaft. Sie setzt sich dafür ein, dass Familien, die – genetisch bedingt – ihren ersten Herzinfarkt bereits im Alter zwischen 30 und 40 bekommen, zu dieser Therapie zugelassen werden. Alle Zentren für die Erstverordnung in Österreich sind auf der Website des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger http://www.hauptverband.at publiziert.

*GLAGOV-Studie, IVUS = intravascular ultrasound; EEM = external elastic membrane; PAV = percentage atheroma volume; TAV = total atheroma volume.
Nicholls SJ, et al. JAMA. [published online ahead of print November 15, 2016]. doi: 10.1001/jama.2016.16951

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