Donnerstag, April 25, 2024

Spezielle Behandlungsangebote bei Wochenbett-Depression

Viele Mütter leiden an einer Wochenbett-Depression, ambulante und teilstationäre Behandlungsangebote sollen negative Auswirkungen auf Mutter und Kind verhindern.

Die Wochenbett-Depression ist von einem Baby-Blues zu unterscheiden, der bis zu zwei Wochen nach der Geburt anhalten kann, nicht als Krankheit gilt und bei 50 bis 80 Prozent der Frauen auftreten kann. Weitere zehn bis 15 Prozent der Frauen leiden während Schwangerschaft und Postpartalzeit unter Angststörungen oder anderen psychischen Erkrankungen, die auch gemeinsam mit der Wochenbett-Depression auftreten können.

 

Auswirkungen psychischer Erkrankungen der Mutter

Psychische Erkrankungen der Mutter wie die Wochenbett-Depression haben weitreichende transgenerationale Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder: Dies kann bereits intrauterin zur „pränatalen Programmierung“ der Stressreaktivität führen, postpartal zeigen sich Auswirkungen auf die kindliche Regulation, die körperliche und seelische Gesundheit des Kindes, was wiederum negative Auswirkungen auf die seelische Verfassung der Mutter hat. Zentral in dieser negativen Spirale sind die mütterliche Bindung zum Kind und die Mutter-Kind-Interaktion, die häufig durch die mütterliche Erkrankung beeinträchtigt sind.

Kinder von Müttern mit postpartalen Störungen zeigen häufiger Regulationsprobleme (Schlafstörungen, exzessives Schreien, Fütter- und Gedeihstörungen), die wiederum zur besonderen Herausforderung für die Mutter / Familie werden und unbehandelt zur Chronifizierung der psychischen Erkrankung der Mutter beitragen. Oft erleben sie sich ineffizient in der Versorgung / Beruhigung des Kindes und es entsteht eine negative Kaskade in der Interaktion.

Langfristig bergen Regulations- und Bindungsstörungen des Kindes das Risiko psychischer und Verhaltensstörungen des Kindes bis ins Erwachsenenalter hinein oder das der Beeinträchtigung somatischer Systeme (z.B. Immunfunktionen).

Auch wenn die mütterliche depressive Episode behandelt wurde oder abklingt, bleiben die Interaktions- und Bindungsprobleme und die damit verbundenen Risiken in vielen Fällen bestehen, da die frühe Interaktion die kindliche Entwicklung entscheidend prägt. Eine explizit gemeinsame Behandlung der Mutter-Kind-Dyade mit Fokus auf die Mutter-Kind-Interaktion ist somit zusätzlich zur störungsspezifischen Therapie der Mutter sinnvoll und notwendig.

 

Spezialisierte ambulante und teilstationäre Behandlungsangebote

Es gibt spezialisierte ambulante und teilstationäre Behandlungsangebote (am Beispiel an der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden) für Schwangere und Mütter – gegebenenfalls auch mit ihren Partnern. In Mutter-Kind-Ambulanzen und -Tageskliniken werden Frauen mit postpartalen psychischen Erkrankungen mit Auswirkung auf die Mutter-Kind-Beziehung – beispielsweise affektive Störungen, Angst- und Zwangsstörungen, PTSD und Persönlichkeitsstörungen –gemeinsam mit ihrem Säugling im Alter bis etwa 12 Monaten behandelt.

In der Ambulanz werden Erst- und Folgegespräche beziehungsweise Behandlungen mit dem Ziel der Krisenintervention, Indikationsprüfung, Überbrückung bis zur Aufnahme in die Tagesklinik, Nachsorge nach teilstationärem Aufenthalt oder Weitervermittlung an ambulante Therapeuten durchgeführt.

Eine teilstationäre Behandlung dauert im Schnitt acht bis neun Wochen, wird von Montag bis Donnerstag durchgeführt, so dass bereits in der Familie vorhandene Geschwisterkinder die Betreuungseinrichtung aufsuchen und organisatorische Verpflichtungen stufenweise übernommen werden können (z.B. Einkaufen, Haushalt).

Der Schwerpunkt der Behandlung liegt neben der störungsspezifischen Einzelpsycho- sowie gegebenenfalls Pharmakotherapie auf der videogestützten Therapie der Mutter-Kind-Interaktion (primäre Bindungsarbeit und Feinfühligkeitstraining mit einzelnen Mutter-Kind-Dyaden sowie in Gruppenpsychotherapie) mit Unterstützung bei der Versorgung des Kindes im Sinne eines schrittweisen Kompetenzaufbaus (Füttern, Pflege), Förderung einer positiven alltäglichen Mutter-Kind-Interaktion durch ergänzende Angebote (z.B. Babymassage, angeleitete Spielgruppen), Einbindung der Lebenspartner/Familien durch psychoedukative und psychotherapeutische Paar- und Familiengespräche.

Hinzu kommen ergänzende Angebote wie Achtsamkeits- und Genusstraining sowie Körperpsychotherapie. Die Arbeit in der Tagesklinik erfolgt in einem multiprofessionellen Team.

 

Erkenntnisse zum Thema Wochenbett-Depression

Aus der Begleitforschung können folgende Ergebnisse zum Thema Wochenbett-Depression gezogen werden:

1. Patientinnen, die an einer Wochenbett-Depression leiden, zeigen eine signifikant schlechtere Qualität der Mutter-Kind-Beziehung in allen untersuchten Aspekten als gesunde Mütter.

2. Über die Hälfte der depressiven Mütter berichten über eine manifeste Beziehungsstörung in mindestens einem Bereich (58,8 Prozent verzögerte Bindung, 31,3 Prozent Ablehnung und pathologische Wut gegenüber dem Kind, 10,9 Prozent Gefahr des Missbrauchs, z.B. Schütteln, Anschreien etc.)

3. Depressive Mütter sind im Vergleich zu gesunden Müttern in hohem Maße ängstlicher und gestresster. Sie erleben sich als weniger selbstwirksam, weniger effektiv und unzufriedener in der Elternrolle. Die Effekte sind sehr stark ausgeprägt.

4. Eigene traumatische Erfahrungen der Mutter in deren Kindheit (emotionale und körperliche Vernachlässigung und/oder Misshandlung sowie sexueller Missbrauch) sowie ein negatives subjektives Geburtserleben (auch unabhängig von körperlichen Komplikationen unter der Geburt) sind häufiger und prädiktiv für eine schlechtere postpartale psychische Anpassung sowie eine beeinträchtigte Mutter-Kind-Beziehung.

5. Die Patientinnen der Mutter-Kind-Tagesklinik verbessern sich in allen Bereichen im Verlauf der Behandlung hochsignifikant. Dies betrifft sowohl die Psychopathologie (Depressivität, Ängstlichkeit) als auch die Mutter-Kind-Beziehung sowie des Erlebens der Elternrolle. Diese Ergebnisse bleiben auch bis zur 1-Jahres-Katamnese stabil.

6. Mütter und Babys profitieren stark von der interaktionsfokussierten gemeinsamen Behandlung von Mutter und Kind. Beziehungs- und interaktionsbedingte Risiken für den Säugling können somit verringert werden.

7. Mütter mit eigenen Traumatisierungen in der Vorgeschichte zeigen spezifische Defizite (z.B. eine erhöhte Intrusivität), die die intuitiven elterlichen Kompetenzen beeinträchtigen. Sie benötigen eine höhere Intensität und Dauer der Behandlung sowie nachfolgende Hilfen.

Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen/Erwartungen:

  • Eine Wochenbett-Depression beziehungsweise postpartale Depressionen können hocheffizient auch langfristig behandelt werden, wenn die Behandlung störungsspezifisch auch unter Einbeziehung des Kindes erfolgt.
  • Peripartale psychische Probleme sollten durch Wissenschaft und Medien entstigmatisiert werden (→ Frauen suchen aus Stigmatisierungsängsten zu selten professionelle Hilfe auf.)
  • Peripartalsprechstunden sollten flächendeckend niedrigschwellig angeboten werden; Telemedizin kann hier hilfreich sein.
  • Mutter-Kind-Interaktionsbehandlung sollte flächendeckend in entsprechenden Zentren etabliert werden (→ Bemühungen der Marcé-Gesellschaft für peripartale Erkrankungen e.V.)
  • Das setzt kostendeckende Finanzierung voraus.
  • Zugang zu niedrigschwelligen Hilfen sollte entbürokratisiert und verbessert werden (Haushaltshilfen, Familienbesuchsdienste).
  • Hürden für Zusammenarbeit mit Jugendhilfe müssen abgebaut werden (gemeinsame Konzepte zur Umsetzung von SGB V und SGB VIII).
  • Für Familien mit chronischen psychischen Problemen muss langfristige Unterstützung angeboten werden (bindungsorientierte Betreuungskonzepte für bindungsgestörte Mütter).

Quelle:

Statement »Unterschätzter „Baby-Blues“ – Welche Hilfe brauchen Mütter mit Wochenbettdepression und wie sie dem Baby nützt« von Professor Dr. med. Kerstin Weidner (Stellvertretende Vorsitzende DGPM, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden) zum Europäischen Depressionstag

Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin

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