Freitag, April 19, 2024

Wird die Wirbelsäulen-OP zu häufig gemacht?

Zu Wirbelsäulen-OP haben Neurochirurgen unlängst Anforderungen an die ärztliche Zweitmeinung definiert, im Mittelpunkt stehen körperliche Untersuchung und fachliche Qualifikation.

Wird die Wirbelsäulen-OP zu häufig durchgeführt? Aktuell wird unter anderem die Wirbelsäulen-OP in Deutschland als einer der Bereiche bemängelt, in denen das Indikationsspektrum weiter gefasst wird als in anderen Ländern üblich, das heißt, es wird suggeriert, dass Operationen möglicherweise schlecht indiziert oder gar unnötig sind. Diese Auffassung hat sich 2016 im Versorgungsstärkungsgesetz und dem Zweitmeinungsverfahren niedergeschlagen.

Zur Wirbelsäulen-OP haben die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) und der Berufsverband Deutscher Neurochirurgen (BDNC) in einer Stellungnahme die Anforderungen für eine qualifizierte Zweitmeinung definiert. Dabei stehen die körperliche Untersuchung und fachliche Qualifikation des Zweitmeinungsarztes im Mittelpunkt.

 

Wesentlich mehr Wirbelsäulen-OP zwischen 2005 und 2011

In den Jahren 2005 bis 2011 ist die Zahl verschiedener Wirbelsäule-OP sprunghaft angestiegen, was eine öffentliche Debatte darüber ausgelöst hatte, ob bei Rückenbeschwerden mitunter zu schnell oder zu umfangreich operiert wird. „Die Neurochirurgen begrüßen Verfahren, die Patientensicherheit und Versorgungsqualität erhöhen“, sagt Professor Dr. Gabriele Schackert, Präsidentin der DGCH und Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Dresden. Das Zweitmeinungsverfahren sei ein mögliches Instrument.

Professor Dr. Walter Stummer, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC); Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Münster
Professor Dr. Walter Stummer, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC);
Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum
Münster

„Operationen an der Wirbelsäule machen einen substanziellen Teil der neurochirurgischen Tätigkeit aus“, betont Professor Dr. Walter Stummer, Vizepräsident der DGNC. Die Neurochirurgen nahmen nn Stellung, welchen Anforderungen die Zweitbegutachtung aus Expertensicht genügen sollte.

 

Ärztliche Qualifikation des Zweitmeinenden

Körperliche Untersuchung und Befragung durch den Arzt sind für ein Zweitmeinungsverfahren gefordert. Die Begutachtung von Röntgenbildern allein ist aus Sicht der Neurochirurgen nicht ausreichend, um eine Entscheidung für oder gegen eine Wirbelsäulen-OP zu treffen. „Veränderungen an der Wirbelsäule, die man im Röntgenbild sieht, müssen nicht zwangsläufig für Rückenbeschwerden verantwortlich sein“, so Stummer. Ob ein Zusammenhang besteht, muss der Arzt durch Untersuchung der Nervenfunktionen des Patienten klären. „Erst in der Zusammenschau von Bildgebung, Beschwerden und körperlicher Untersuchung ist ein Urteil möglich“, sagt der Prof. Stummer.

Als ärztliche Qualifikation des Zweitmeinenden müssten Kenntnisse über neurochirurgisch-operativen Techniken zur Therapie von Wirbelsäulenproblemen sowie über konservative Behandlungsverfahren wie Schmerz- und Physiotherapie gegeben sein. „Dazu gehört die Kenntnis von Risiken und Erfolgsaussichten jedes einzelnen Verfahrens, aber auch das Wissen, wann welche Methode in Frage kommt und wann nicht“, erklärt Prof. Stummer. Auch der Zeitfaktor spielt eine Rolle: schmerzgeplagte Patienten dürften keine unnötigen Behandlungsverzögerungen zugemutet werden. Man brauche ein Zweitmeinungsverfahren ohne unangemessene Wartezeiten, erklärt Stummer.

 

Angemessene finanzielle Vergütung notwendig

Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie hatte auf die Problematik hingewiesen, die entsteht, wenn die Beratung zwischen Ärzten unterschiedlich ausfällt. Wer behandelt, wenn der Zweitmeinungsarzt zu einer unterschiedlichen Auffassung kommt? Es muss gewährleistet sein, dass durch Zweitmeinungsleistende nicht eigene Interessen verfolgt werden. Dies impliziert auch, dass ausreichend finanzielle Anreize geschaffen werden, um eine wirklich neutrale und zügige Einschätzung zu ermöglichen.

Auch teilen die Experten die vorgebrachte Sorge über mögliche rechtliche Konsequenzen, wenn Patienten nach Operationen bemängeln, nicht ausreichend über das Zweitmeinungsverfahren aufgeklärt worden zu sein. Die Aufklärung über das Zeitmeinungsverfahren darf hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung nicht mit der Risikoaufklärung vor einer Operation gleichgesetzt werden.

Jedenfalls verpflichten sich die Experten der wissenschaftlichen Untersuchung von chirurgischen Therapieverfahren im Vergleich zu konservativen. Wenn größere Ermessensräume vorliegen, die überhaupt erst unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich Indikationen zulassen, können belastbare Daten eher Abhilfe leisten als ein wie auch immer geartetes Zweitmeinungsverfahren. Diesbezügliche Studien sollten mit hoher Dringlichkeit unterstützt werden.

Quelle: http://www.chirurgie2016.de/

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