Freitag, April 19, 2024

Weniger Tierversuche durch optimale Tiermodelle

Auf Basis umfangreicher Genomdaten bezweifeln Experten, dass Tierversuche immer Sinn machen, da die Ergebnisse teilweise nicht auf den Menschen übertragbar sind.

 

Deutsches Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) am BfR vergleicht Genomdaten von Mensch und Mausmodellen mit neuer Methode – Sind Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen übertragbar? Diese Frage wird immer wieder, mitunter auch kontrovers, diskutiert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) haben mit einem neuartigen Ansatz Datensätze zu Entzündungsprozessen beim Menschen und bei Mäusen ausgewertet und systematisch miteinander verglichen. Bestimmte Mausmodelle korrelieren dabei sehr gut mit den meisten Studien am Menschen, andere hingegen nicht.

„Die Ergebnisse zeigen, dass gezielte Forschung erforderlich ist, um das optimale Tiermodell für die jeweilige Fragestellung zu identifizieren“, sagt BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. „Allerdings gilt nach wie vor: Wo immer es zuverlässige Alternativmethoden gibt, müssen diese anstelle der Tierversuche angewendet werden. Mit dem Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) fördern wir die Entwicklung, Validierung und den Einsatz solcher alternativer Methoden zum Tierversuch.“

 

Ergebnisse spezieller Tierversuche nicht gültig für Menschen

Ein internationales Forschungskonsortium folgerte im Jahr 2013 auf Basis umfangreicher Genomdaten, dass Entzündungsreaktionen von Mensch und Maus nicht vergleichbar seien (http://www.pnas.org/content/110/9/3507.long). Die Studienautoren unterstellten, dass Ergebnisse dieser Tierversuche nicht zwingend auf den Menschen übertragbar seien. Andere Wissenschaftler interpretierten dieselben Genomdaten allerdings ein Jahr später gegenteilig (http://www.pnas.org/content/112/4/1167.long).

Unterschiedliche Interpretationen von Studienergebnissen sind zwar in der Wissenschaft nicht ungewöhnlich,, dass aus denselben Daten gegensätzliche Aussagen abgeleitet werden, ist allerdings eher selten. Die besonderer Tragweite möglicher unnötiger Tierversuche macht allerdings dringend die Entwicklung standardisierter Ansätze für eine systematische Datenanalyse von umfangreichen Genomdaten erforderlich, um derartige Konsequenzen zu vermeiden.

GSEA zur Analyse von Genomdaten

Am Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) wurden deshalb diese Genomdaten nochmals unter Verwendung der Gene Set Enrichment Analysis (GSEA)- Methode untersucht. Mittels GSEA wird auf Expressionsebene ein direkter Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem potentiell verantwortlichen biologischen Vorgang hergestellt.

Es wird mit der statistisch signifikanten Anreicherung jener Kombination von Genen gearbeitet, die wesentlich für den zu untersuchenden biologischen Prozess sind. Man vergleicht dabei zum Beispiel mit Hilfe spezieller Computerprogramme, welche Gene beim Entzündungsprozess aktiviert werden und welchen biologischen Vorgängen diese Gene zugeordnet werden. Werden beim Menschen und bei der Maus diese molekularen Signalwege gleichermaßen verändert, dann wäre die Maus ein gutes Modell für das Studium von Entzündungsprozessen im menschlichen Körper.

In ihrer Studie haben die BfR-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler auch alle Veränderungen der Genaktivitäten, die für Entzündungen bei Mensch und Maus vorliegen, mit Hilfe der GSEA-Methode analysiert. So wurde, anders als sonst üblich, nicht nur ein Teil der Daten betrachtet, sondern auch der überwiegende Anteil der nur leicht veränderten Gen-Produkte systematisch miteinbezogen. Die Analysen des BfR zeigten, dass im Falle von Entzündungen die Reaktionen bei einigen Mausmodellen sehr gut mit den Daten übereinstimmten, die beim Menschen ermittelt wurden, bei anderen Mausmodellen hingegen nicht. Eine derartige Datenanalyse ist somit geeignet, das geeignetste Tiermodell für die jeweils zu untersuchende Fragestellung auszuwählen. Unnötige Tierversuche können so zukünftig vermieden werden. Die in der Fachzeitschrift EMBO Molecular Medicine publizierte Studie zeigt ferner, dass die GSEA-Methode ein sehr gutes Instrument ist, um bestehende Genomdaten in standardisierter Form zu interpretieren.

 

Quelle:
Defining the optimal animal model for translational research using gene set enrichment analysis
Christopher Weidner, Matthias Steinfath, Elisa Opitz, Michael Oelgeschläger, Gilbert Schönfelder
DOI 10.15252/emmm.201506025, publiziert online 16.06.2016
EMBO Molecular Medicine (2016)
http://embomolmed.embopress.org/cgi/doi/10.15252/emmm.201506025

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