Donnerstag, März 28, 2024

Welche Erkrankungen zur chronischen Nierenersatztherapie führen

Mehr als die Hälfte Neuzugänge zur Nierenersatztherapie sind durch Typ II-Diabetes, vaskuläre Erkrankungen und hohen Blutdruck verursacht.

Die jährliche Wachstumsrate der Patienten mit Nierenersatztherapie liegt in Europa bei etwa 6%. In zehn Jahren wird damit die Zahl der Patienten um weitere 60% ansteigen. Es werden Dialysebehandlung und Nierentransplantation als Nierenersatztherapie angeboten. Die unterschiedliche Akzeptanz zur Nierenersatztherapie seit 1965 hat auch das Transplantationsgeschehen stark geprägt. Da die weltweite Belastung durch chronische Nierenerkrankungen weiter zunimmt, steigt auch die Notwendigkeit einer kostengünstigen Nierenersatztherapie. In vielen Ländern sind die Ergebnisse mit Peritonealdialyse vergleichbar oder besser sogar als die mit Hämodialyse. Die Peritonealdialyse ist auch kostengünstiger, wobei diese Vorteile jedoch nicht immer zu einer verstärkten Nutzung geführt haben. Mehr als 80 % der Menschen, die eine Nierenersatztherapie erhalten, leben übrigens in Industrienationen, denn in Entwicklungsländern können sich die Menschen eine Behandlung kaum leisten.

 

Nierenersatztherapie in Europa und den USA

Die Akzeptanz von Patienten zur Nierenersatztherapie war weiland in Europa sehr stark von den vorhandenen Einrichtungen geprägt. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kam es zu einem kontinuierlichen Ausbau von Dialyseplätzen, damit stieg auch die Akzeptanz in der Bevölkerung, sich behandeln zu lassen. Untersucht man Unterschiede der Inzidenz der Krankheitsursachen, so sind diese sehr stark von einer Zugangsbeschränkung in den ers­ten 20 Jahren geprägt. Bis 1980 wurden viele ältere Patienten wegen fehlender Einrichtungen von der Behandlung ausgeschlossen. Dies ist am Anstieg der Altersmittelwerte erkennbar, der deutlich über den Alterszuwachs der Bevölkerung hinausgeht.

Laut epidemiologischen Untersuchungen in Industrieländern leidet etwa 10% der Bevölkerung an einer chronischen Nierenerkrankung leiden. Die vor allem in den USA erhobenen Daten wurden in Studien in EU-Ländern und Norwegen bestätigt. Es hat sich allgemein gezeigt, dass die Situation auch auf ­europäische Länder übertragbar ist. Kinder und Jugendliche sind seltener betroffen als ältere Erwachsene.

Im Kinder- und Jugendalter sind es meistens angeborene Störungen, die zu einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion führen. Familiäre Häufungen von Nierenerkrankungen legen die Vermutung nahe, dass Erbfaktoren und eine genetische Veranlagung bei der Krankheitsentstehung eine Rolle spielen. Derartige Erbfaktoren sind Gegenstand von laufenden genetischen Untersuchungen, die in Zukunft eine Nomenklatur mit höherer Granularität erwarten lassen.

 

Risiko für erworbene Nierenerkrankungen und Nierenersatztherapie durch zunehmendes Alter und andere Risikofaktoren

Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für erworbene Nierenerkrankungen. Beispielsweise hat eine Untersuchung an der Pathologie in Basel ergeben, dass in einem Zeit­raum von zwei Jahren 70% der obduzierten Nieren eine Pathologie aufwiesen. Die Gefährdung der Nieren mit zunehmendem Alter hängt sicher mit dem steigendem Vorkommen an Gefäßen zusammen.

Die gesamte Gefäßstrecke eines erwachsenen Menschen beträgt in etwa 90km. Etwa ein Drittel aller Gefäße des menschlichen Körpers findet sich auf engstem Raum in den Nieren, ein Fünftel des Herzminutenvolumens wird durch die Nieren gepumpt. Störungen, die im Laufe des Lebens die Gefäße des menschlichen Körpers angreifen können, bedrohen damit auch die feinen Strukturen der Nieren.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass Lebensweisen, die zu Diabetes, zu hohem Blutdruck oder zur Fettsucht führen sowie das Rauchen und der Missbrauch einiger Medikamente die Nieren gefährden.

Durch eine bewusste Umstellung von Lebensgewohnheiten ließe sich der Verlauf einer bereits bestehenden Nierenerkrankung stark verzögern.

Untersuchungen der letzten Jahre konnten zeigen, dass bei einer chronischen Nierenerkrankung ein besonderes Risiko für Herz- und Gefäßkomplikationen vorliegt. So ist die Gefahr von tödlichen Herz- und Gefäßereignissen bei Nierenkranken um das 10 bis 20-fache höher als bei nierengesunden Menschen.

Fortschritte bei der Behandlung von derartigen Ereignissen und Komplikationen führten dazu, dass immer mehr Menschen das Endstadium einer Nierenerkrankung erreichen.

 

Bestimmten Nierenerkrankungen und Nierenersatztherapie

Die Änderung des Grundleidens über Jahrzehnte ist in unseren Breiten weniger durch die absolute Zu- oder Abnahme von bestimmten Nierenerkrankungen als vielmehr durch die zunehmende Behandlungsakzeptanz der Betroffenen geprägt. Hatten 1970 noch fast 75% der Patienten als Krankheitsursache eine Glomerulonephritis (GN) und knapp 15% eine chronisch interstitielle Nephritis (IN/PN, alte Nomenklatur: chronische Pyelonephritis) so hat sich dieses Bild bereits 1985 deutlich gewandelt. (1985: GN 132 (26%), IN/PN 107 (21%).

Weitere 20 Jahre später wurde der relative Rück­gang dieser traditionellen Nierenerkrankungen noch deutlicher (2005: GN 148 (12%) und IN/PN 98 (8%), Die absolute Zahl der Patienten mit den Grundursachen GN + IN/PN hat sich dabei von 1985 bis 2005 nicht wesentlich verändert (GN 1985: 132 und 2005: 148; IN/PN 1985: 107 und 2005: 98).

Geringe Zuwächse verzeichnen Patienten mit hereditären Störungen, wie z.B. die Patienten mit Zystennieren. Zystennieren werden heute wegen der Lokalisation des Defektes zu den ziliären Erkrankungen gezählt. Derzeit laufen vielversprechende Therapiestudien. Möglicherweise lässt sich dann mit einer Reduktion des Zystenwachstums bei den betroffenen Patienten die terminale Niereninsuffizienz verhindern.

Mit den zunehmend zur Verfügung stehenden Behandlungseinrichtungen wurden Patienten mit diabetischer Nephropathie ab den frühen 70er Jahren, wegen der bekannt schlechten Prognose nur sehr vereinzelt zur Behandlung akzeptiert. Zuerst waren es junge Patienten mit Diabetes mellitus Typ I mit vorwiegend mikroangiopathischen Folgeschäden. 1975 waren es 7 (3,6%), 1985 48 (9,4%) und 2000 67 (10,9%) der Neuzugänge. Patienten mit Diabetes mellitus Typ II wurden ebenfalls wegen der extrem ungünstigen Langzeitprognose in den frühen 70ern nur vereinzelt akzeptiert, 1985 waren es 33 (6,1%), aber 2005 bereits 381 (30,5%).

 

Vaskuläre Erkrankungen

Parallel zum starken Zuwachs an Diabetikern werden heute auch Patienten mit unterschiedlichen vaskulären Erkrankungen sowie Patienten nach Tumornephrektomie akzeptiert. Besonders hervorzuheben bei den vaskulären Erkrankungen sind Patienten mit rapid progressivem Verlauf (z.B. Mb. Wegener), deren Langzeitprognose sich in den letzten Jahren entscheidend verbessert hat.

Die Patienten mit vaskulären Ursachen haben in der Regel, so wie die Diabetiker, eine Reihe von komplizierenden Begleiterkrankungen, die dann die Prognose ungünstig beeinflussen.

Seit mehr als 50 Jahren wird die Transplantation einer Niere bei allen Patienten mit Nierenuntergang erwogen, denen auch ein großer chirurgischer Eingriff zugemutet werden kann. Bleibende Ausschlussgründe von einer Transplantation sind einige Tumorerkrankungen, ausgeprägte Gefäßschäden oder systemische Infektionen, nicht aber das Alter der Patienten.

 

Prognosefaktoren

Unter dem Strich sind über 50% der Neuzugänge zur Nierenersatztherapie sind durch Diabetes mellitus Typ II, vaskuläre Erkrankungen und Hochdruckfolgen verursacht und durch modifizierbare Faktoren prognostisch beeinflussbar. Teilweise wird die Progressionsverzögerung einiger Erkrankungen durch den steigenden Altersmittelwert bei Diabetikern schon erkennbar. Schließlich zählen zu den modifizierbaren Progressionsfaktoren vor allem Nikotin, Blutdruck und Übergewicht sowie Bewegungsarmut.

Die Progression kann daher auch mit einfachen Maßnahmen verzögert werden durch: Beendigung von Nikotinkonsum, Blutdrucknormalisierung und Gewichtsnormalisierung. Weitere Progressionsfaktoren wurden durch zahlreiche Experimente identifiziert und können durch geeignete Maßnahmen und teilweise auch medikamentös beeinflusst werden. Zu diesen erweiterten (sekundären) Progressionsfaktoren zählen:

  • Intraglomeruläre Hypertension und glomeruläre Hypertrophie,
  • Phosphatretention mit begleitenden amorphen oder kristallinen CaPO4-Ablagerungen,
  • gesteigerte Prostaglandinsynthese,
  • die Hyperlipidämie bei Patienten mit nephrotischem Syndrom,
  • metabolische Azidose,
  • Proteinurie,
  • anhaltende tubulointerstitielle Erkrankungen,
  • Urämietoxine,
  • durch die Nieren gefiltertes Eisen (Eisengelatbinder),
  • anhaltende Verabreichung von Nephrotoxinen.

 

Geeignete Untersuchungen zur Vorsorge für Risikogruppen

Im Grunde genommen lassen sich Nierenerkrankungen nicht immer vermeiden. Wenn es dazu kommt, muss es jedenfalls ein besonderes Anliegen sein, das Fortschreiten der Erkrankung bis zum endgültigen Organverlust aufzuhalten. Zunächst wäre es sehr wichtig, die Risikopopulation durch geeignete Vorsorgeuntersuchungen zu identifizieren. Dazu zählen ein Harnstreifentest und eine Blutuntersuchung auf Kreatinin bei der Risikobevölkerung. Wobei das Kreatinin ein Endprodukt des Muskelstoffwechsels ist, das bei einer Funktionseinschränkung der Nieren im Blut messbar ansteigt.

Zur Bevölkerung mit besonderem Risiko zählen Personen über 55 Jahre, Männer, Diabetiker und Raucher. Weiter zählen Menschen mit hohem Blutdruck sowie Menschen mit bekannten Gefäßerkrankungen dazu.


Literatur:

Vaios V, Georgianos PI, Liakopoulos V, Agarwal R. Assessment and Management of Hypertension among Patients on Peritoneal Dialysis. Clin J Am Soc Nephrol. 2019 Feb 7;14(2):297-305. doi: 10.2215/CJN.07480618. Epub 2018 Oct 19. PMID: 30341090; PMCID: PMC6390915.

Shrestha BM. Peritoneal Dialysis or Haemodialysis for Kidney Failure? JNMA J Nepal Med Assoc. 2018 Mar-Apr;56(210):556-557. PMID: 30375996.

Li PK, Chow KM, Van de Luijtgaarden MW, Johnson DW, Jager KJ, Mehrotra R, Naicker S, Pecoits-Filho R, Yu XQ, Lameire N. Changes in the worldwide epidemiology of peritoneal dialysis. Nat Rev Nephrol. 2017 Feb;13(2):90-103. doi: 10.1038/nrneph.2016.181. Epub 2016 Dec 28. PMID: 28029154.


Quelle: Welche Erkrankungen führen zur chronischen Nierenersatztherapie? Prim. Dr. Reinhard Kramar. MEDMIX 4-2008

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