Freitag, März 29, 2024

Viszerale Schmerzen, Bauchschmerzen: Therapie mit Opioide

Viszerale Schmerzen sind sehr schwer zu lindern, wobei die Opioide, die speziell am κ-Rezeptor wirken, eine interessante Therapie gegen Bauchschmerzen sind.

Viszeraler Schmerz entwickelt sich in den inneren Organen. Denn bei jeder Gewebeschädigung werden Botenstoffe frei gesetzt, die die Nozizeptoren – die Schmerzrezeptoren – reizen. Die häufigsten behandlungsbedürftigen ­Ursachen für viszerale Schmerzen finden sich im Gastrointestinaltrakt. Und zwar vor allem abdominelle Krämpfe, Sodbrennen, allgemeine Bauchschmerzen im Oberbauch sowie bei Reizdarm oder funktioneller Dyspepsie. Chronic pelvic pain oder unklare urogenitale Koliken sind weiter ebenfalls oftmals ein Grund, eine Schmerzambulanz aufsuchen zu müssen. Wobei immer zuerst die auslösende Ursache für viszerale Schmerzen eine Therapie benötigen. Bewährt haben sich beispielsweise auch bestimmte Opioide gegen Bauchschmerzen.



Viszerale Schmerzen sind schwer zu lokalisieren. Sie fühlen sich für Betroffene zumeist dumpf an. Außerdem kann man sie in vielen Fällen nur schwer einer bestimmten Körperregion zuordnen. Dadurch ergeben sich wiederum verschiedene differenzialdiagnostische Problemstellungen auch mit dem Bewegungsapparat.

 

Viszeraler Schmerz braucht eine komplizierte Behandlung

Man muss allerdings nach wie vor davon ausgehen, dass viszerale Schmerzen sehr schwer in den Griff zu bekommen sind. Hierzu gibt es auf diesem Gebiet der Medizin deswegen noch großen Aufholbedarf.

Besonders tückisch ist, dass viszerale Schmerzen von Tumorerkrankungen, bei denen innere Organe betroffen sind, verursacht werden können. Viszerale Schmerzen sind in diesem Fall vor allem auch ein wichtiges Warnsignal für einen raschen Therapiebeginn. Denn eine schnelle und genaue Lokalisierung der Schmerzursachen kann dabei helfen, schwerwiegendere Folgen zu vermeiden. Auch chronische Reizzustände innerer Organe können Ursache hartnäckiger Schmerzen sein.

 

Viszerale Schmerzen und einzelne Opioidrezeptoren

Zur Verteilung der einzelnen Opioidrezeptoren im viszeralen Bereich sind in den betroffenen Organen vor allem κ-Rezeptoren vermehrt vorhanden. Das hat therapeutische Konsequenzen. Denn mit einem peripher wirk­samen κ-Agonisten aus der Opioidgruppe kann man gezielt viszerale Schmerzen behandeln. Und zwar, ­ohne die Nebenwirkungen vom zentral wirksamen Morphin oder seiner Derivate in Kauf nehmen zu müssen.

Ähnliches gilt für den Urogenitaltrakt – hier ist die Wirksamkeit der zentral wirksamen Morphine mit der Wirksamkeit der rein peripher wirksamen κ-Agonisten vergleichbar. Besonders bei chronisch-­entzündlichen Schmerzen gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Opioiden.

 

Spasmolytika zur Behandlung

Wenn viszerale Schmerzen akut sind, dann kann man primär mit Spasmolytika wie Butylscopolamin oder Metamizol die Therapie machen. Akuter Schmerz ist ein somatischer Schmerz, bei dem auch Nicht-Opioide – NSAR, Meta­mizol, Paracetamol – meist gut wirken. Wenn der akute Schmerz sehr stark ist, können Opioide dazu ­kombiniert werden.



 

Therapie mit Opioide gegen viszerale Schmerzen wie Bauchschmerzen

Je chronischer und komplexer viszerale Schmerzen und Bauchschmerzen sind, desto besser wirkt allerdings die Therapie mit Opioide gegen diese. Wenn das betroffene Organ immer mehr sensibilisiert wird, treten mehr κ-Rezeptoren auf. Dadurch braucht man Substanzen mit einem komplexeren Wirkmuster, damit man die Dosis sowie die Nebenwirkungsrate gering halten kann.

Im Grunde genommen dämpfen Opioide vor allem dumpfe, schlecht lokalisierbare Schmerzen (Bauchschmerzen), wie eben viszerale Schmerzen. Schlechter wirken sie bei neuropathischen Schmerzen.

Reine μ-Agonisten wären bei viszeralem Schmerz wenig wirksam. Allerdings spielen auch Noradrenalin, Serotonin sowie NMDA-Rezeptoren, die im Hinterhorn die Kalzium-Kanäle öffnen, eine Rolle. Durch den starken Kalzium-Einstrom stirbt die Zelle ab und es kommt es zu Verstärkung der Schmerzweiterleitung.

 

Kein Suchtpotenzial durch Opioide mit rein peripherer Wirkung

Durch die heutzutage verfügbaren Opioide mit rein peripherer Wirkung – wie Oxycodon und Buprenorphin – entstehen weniger unangenehme Nebenwirkungen.

Das Wichtigste aber ist vor allem, dass dadurch auch kein Potenzial zur Sucht entsteht. Denn die Patienten entwickeln ja weder ­eine Euphorie noch eine psychische Abhängigkeit. Dennoch halten diese beiden vermuteten wichtigen Nebenwirkungen nach wie vor viele Patienten von der Einnahme ab.

 

Viszerale Schmerzen mit Ursachen-orientierter Therapie behandeln

Um eine effektive Therapie für viszerale Schmerzen wie Bauchschmerzen in der Praxis anwenden zu können, sollte zuerst eine genaue Abklärung erfolgen. Nur so lässt sich eine ­Ursachen-orientierte Therapie einleiten, denn oft steckt beispielsweise eine Nahrungsmittelunverträglichkeit hinter den Bauchschmerzen.

Wenn die Beschwerden aber nicht kausal behandelbar sind, so muss man einen umfassenden Therapieplan erstellen. Es gilt allgemein die »mechanism based therapy«: Eine genaue Abklärung der Beschwerden und eine darauf ­abzielende Therapie. Dieses ­Management kann unter anderem Opioide, Psychopharmaka – z.B. atypische Analgetika wie Antidepressiva und Antikonvulsiva – und Psychotherapie enthalten.



Weiter kommen natürlich ­Medikamente zum Einsatz, die direkt die Darmmotilität beeinflussen. Beispielsweise Agonisten und Antagonisten von Serotonin. Weiter Analoga zu Somatostatin sowie Cholezystokinin-Antagonisten.


Literatur:

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Quelle:

Viszerale Schmerzen, Bauchschmerzen: Am Anfang steht eine Ursachen-orientierte Therapie. Interview mit Univ.-Prof. Dr. Andreas Sandner-Kiesling. MEDMIX 04/2006; S77-78.

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