Freitag, April 19, 2024

Viele Gesundheitsprobleme durch Opioidabhängigkeit

In der Schmerztherapie von Patienten mit Opioidabhängigkeit mit einer Substitutionstherapie fehlen nachwievor die Behandlungsstandards.

Patienten, die eine Opioidabhängigkeit haben oder in einer Substitutionstherapie sind, leiden nicht nur öfter und heftiger unter Schmerzen, sondern brauchen auch andere und höher dosierte Schmerzmittel. Experten der Österreichischen Schmerzgesellschaft wollen die Defizite in der Versorgung dieser Patientengruppe abzubauen.

Erhebliche Defizite in der Schmerzversorgung

Ganz allgemein gilt, dass in Österreich erhebliche Defizite bei der schmerztherapeutischen Versorgung bestehen. Bei der Jahrestagung der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) 2017 wollen Schmerzexperten aber nicht nur darauf hinweisen, sondern in einem eigenen Schwerpunkt auch die Probleme einer ganz speziellen Patientengruppe beleuchten. „Für Patienten, die an Opioidabhängigkeit leiden oder in einer Substitutionstherapie sind, gibt es leider noch keine Behandlungsstandards“, sagt OA Dr. Wolfgang Jaksch, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft. „Dabei sind Schmerzen gerade in dieser Gruppe ganz besonders häufig und oft sehr stark ausgeprägt.“

Was nach einem Minderheitenproblem klingt, betrifft in Österreich nicht wenige: Experten gehen davon aus, dass rund 30.000 Menschen  regelmäßig risikoreiche Drogen, allen voran Opioide, zu sich nehmen. Weitere 17.500 befinden sich in einer Substitutionsbehandlung.

Opioidabhängigkeit führt zu zahlreichen Gesundheitsproblemen

Nur etwa ein Drittel der Personen mit Opioidabhängigkeit kann von sich behaupten, frei von gesundheitlichen Einschränkungen zu sein. Sehr viele leiden an chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates, die zudem früher und intensiver als in der Allgemeinbevölkerung auftreten. Auch schmerzhafte Neuropathien aufgrund von Mangelernährung oder Hepatitis sind weit verbreitet.

90 Prozent der Langzeitsubstituierten sind zudem von Hypogonadismus betroffen. Dadurch sinkt der Spiegel an Testosteron und anderen androgenen Sexualhormonen, was vor allem bei Männern oft zu Muskelschwäche, Reduzierung der Knochendichte (Osteopenie) und Osteoporose führt. Weil durch eine Opioid-Erhaltungstherapie die Lebenserwartung deutlich ansteigt, kommen dazu auch noch die im Alter erwartbaren Probleme.  „Heute ist jeder dritte Substitutionspatient älter als 40 Jahre“, so Dr. Jaksch: „Langzeitsubstituierte erreichen heute damit im Gegensatz zu früher ein Alter, in dem vermehrt schmerzhafte Beschwerden auftreten können, etwa im Zuge von Krebserkrankungen.“

Überempfindlich gegen Schmerzen und weniger empfänglich für Schmerzmittel

Ärzte stellt die Behandlung solcher Patienten gleich vor mehrere Herausforderungen: Nicht nur leiden Patienten mit Opioidabhängigkeit oft an einer opioidinduzierten Hyperalgesie, also einer Überempfindlichkeit auf schmerzhafte, aber auch nicht schmerzhafte Reize – sie sprechen aufgrund der erworbenen Toleranz gegenüber Opioiden auch weniger stark auf Schmerzmittel an. „Wir können uns bei dieser Patientengruppe deshalb nicht einfach am Stufenschema der WHO zur Schmerzbekämpfung orientieren“, so Dr. Jaksch.

Komplexe Behandlungsschemata

Auch wenn einheitliche Standards in der Schmerzbehandlung dieser speziellen Patientengruppe noch fehlen, gibt es inzwischen doch Evidenz für ein paar wesentliche Orientierungspunkte: „An abstinente Patienten unter dem Substitutionsmittel Naltrexon dürfen keine Opioide verordnet werden“, erklärt Dr. Jaksch. „Auch sogenannte Partielle Morphinantagonisten dürfen bei solchen Patienten gar nicht eingesetzt werden, da diese Entzugssymptome auslösen können. In allen anderen Fällen gilt: Wenn möglich, sollten zusätzliche Opioide vermieden werden – sie dürfen aber, wenn notwendig, nicht vorenthalten werden“.

In vielen Fällen lassen sich Alternativen finden: So stellt etwa eine lokale Therapie mit hochprozentigem Capsaicin eine ideale Therapieform bei schmerzhafter HIV Neuropathie der unteren Extremitäten dar. „Allerdings“, so Dr. Jaksch, „muss mit den Patienten das richtige Therapieziel besprochen werden. Eine 30- bis 50prozentige Schmerzlinderung ist bei den meisten neuropathischen Schmerzzuständen erzielbar, absolute Schmerzfreiheit aber nicht“. Auch Antikonvulsiva bzw. Antidepressiva, die den Noradrenalin-Haushalt beeinflussen, haben einen wichtigen Stellenwert beim Einsatz gegen diffuse neuropathische Schmerzen. Allerdings muss dabei sehr genau auf Wechselwirkungen mit den Substitutionsmitteln geachtet werden.

Wenn Opioide unvermeidlich sind, gelten die üblichen Verschreibungsrichtlinien nur eingeschränkt: „Wir wissen beispielsweise, dass die analgetische Wirkung von Methadon nur vier bis sechs Stunden anhält. Daher müssen in diesen Fällen Opioide öfter und in höherer Dosierung verabreicht werden, um Schmerzfreiheit zu erreichen“, so Dr. Jaksch.

Missing Link in der Versorgung

„Der Umgang mit Opioiden setzt gerade in dieser speziellen Patientengruppe ein hohes Maß an Fachwissen voraus, über das nicht viele Ärzte verfügen“, so Dr. Jaksch. „Es gibt aber mittlerweile gute Gespräche zwischen der Österreichischen Schmerzgesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für arzneimittelgestützte Behandlung von Suchtkrankheit, um die Expertise in beiden Bereichen zu bündeln und die Versorgungssituation zu optimieren.“

Eine Einstellung auf ein zusätzliches Opioid oder die Umstellung auf eine andere Substanz setzen ein gutes Arzt-Patienten Verhältnis voraus, da zumindest eine ausgezeichnete Compliance des Patienten erforderlich ist. Genau in diesen Situationen wäre die enge Kooperation von Sucht- und Schmerzmedizinern wünschenswert. „Der Missing Link in der Versorgung dieser extrem gefährdeten Patientengruppe sind Spezialisten, die sich in der Sucht- wie in der Schmerzthematik gleichermaßen auskennen. Hier besteht dringender Forschungs- und Ausbildungsbedarf“, so Dr. Jaksch.


Quelle: www.oesg.at

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