Donnerstag, April 18, 2024

Tigecyclin für die ­Antibiotikatherapie

Das Breitspektrumantibiotikum Tigecyclin deckt das gram-positive und das gram-negative Erregerspektrum mit Ausnahme von Pseudomonas aeruginosa ab.

Das Antibiogramm ist mittlerweile zu einem unerlässlichen Hilfsmittel für die korrekte Wahl eines Antibiotikums geworden, da Bakterien zunehmend Resistenzen gegen verschiedene Antiinfektiva entwickeln. Ein zentraler Parameter ist die Minimale Hemmkonzentration (MHK), da sie eine Maßzahl für die Aktivität eines Antibiotikums gegenüber einem Bakterium darstellt. Sie bildet auch die Grundlage für die Entwicklung so genannter Breakpoints. Bei Verdacht auf Enterokokken, vor allem VRE, Staphylokokken, besonders MRSA, Enterobakterien incl. ESBL, Acinetobacter und Anaerobiern sollte Tigecyclin routinemäßig bei der Erstellung des Antibiogramms getestet werden.

 

Breakpoints und Minimale Hemmkonzentration

Breakpoints sind ein Hilfsmittel für den Kliniker, um die in vitro gemessenen Werte im Hinblick auf eine in vivo zu erwartende Wirkung zu interpretieren und somit eine Aussage treffen zu können, ob ein Bakterienstamm gegenüber einem Antibiotikum sensibel (+) oder resistent (-) ist. Bei der Erstellung der Breakpoints wird dabei nicht nur die Minimale Hemmkonzentration be­rücksichtigt.

Zusätzlich werden auch pharmakokinetische und pharmakodynamische Parameter der betroffenen Substanz mit diesem Wert korreliert, sowie Ergebnisse von klinischen Studien miteinbezogen.

Wichtig zu vermitteln ist: ein »+« im Antibiogrammbefund bedeutet, dass im Regelfall das Antibiotikum zwar invitro getestet wurde, aber aufgrund der Interpretationsrichtlinien auch in vivo die volle Wirksamkeit erwartet werden kann. Die Minimale Hemmkonzentration ist daher zwar ein im ­Labor gemessener Wert, Break­points aber mehr: er versucht so gut aufgrund der Datenbasis möglich die Situation im Patienten widerzuspiegeln. Im nächsten Schritt wird der korrespondierende Hemmhofdurchmesser ermittelt.

 

Tigecyclin

Tigecyclin – mit dem Markennamen Tygacil – war das erste therapeutisch verfügbare Antibiotikum aus der Gruppe der Glycylcycline. Das sogenannte Breitspektrumantibiotikum deckt sowohl das gram-positive als auch das gram-negative Erregerspektrum mit Ausnahme von Pseudomonas aeruginosa ab.

Tigecyclin bewährt sich besonders bei resistenten Keimen wie Methicillin resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) und Extended Spectrum Betalaktamase (ESBL)-bildenden Enterobakterien. Vor allem letztere stellen ein zunehmendes Problem dar.

Vor allem im Zusammenhang mit Enterobakterien muss bei Tigecyclin berücksichtigt werden, ob der Breakpoint nach EUCAST (European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing) oder FDA (Food and Drug Administration) – Kriterien erstellt wurde. Da die FDA bei der Break­point-Setzung auch gering empfindliche Spezies wie Proteus, Morganella und Providencia einbezogen hat, fallen die Break­points hier etwas höher aus. Fest steht jedoch, dass der Erreger bis zu einer Minimalen Hemmkonzentration von 2 mg/dl als empfindlich gilt.

 

Sicherheit von Tigecyclin

Die häufigsten Risikofaktoren für unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind Polypharmazie (die Einnahme von mehr als 4–5 Arzneimitteln gleichzeitig), Multiple Ko-Morbidität (mehr als 4 Erkrankungen gleichzeitig), Krankenhausaufenthalte von mehr als 14 Tagen, eine erhöhte Dosis oder eine verlängerte Expositionszeit, sowie Dysfunktion von Organen oder physiologische Veränderungen (Nieren- oder Leberinsuffizienz). Ein weiteres Problem der Arzneimittelsicherheit sind Interaktionen. Am besten untersucht sind die pharmakokinetischen Wechselwirkungen, die durch das Cytochromsystem bedingt sind, einem Enzymsystem, das unter anderem in der Leber für den Abbau von Arzneimitteln verantwortlich ist. Bestimmte Wirkstoffe, wie z.B. Anti­epileptika, antivirale Arzneimittel und auch Johanniskraut induzieren diesen Abbau, wodurch es zu Therapieversagen kommen kann. Es gibt aber auch Hemmer dieses Enzymsystems, die den Metabolismus von anderen Arzneimitteln verlangsamen und dadurch zu toxischen Arzneimittelspiegeln führen können. Wechselwirkungseffekte müssen auch beim Absetzten eines Medikamentes berücksichtigt werden.

Tigecyclin wird nur zu einem geringen Anteil metabolisiert. Daher geht man davon aus, dass die Clearance von Tigecyclin nicht von Wirkstoffen beeinflusst wird, die die Aktivität der CYP-450-Isoenzyme hemmen oder induzieren. Der Schwerpunkt der Nebenwirkungen von Tigecyclin liegt im ­Bereich des Magen-Darm-Traktes. Übelkeit, Durchfall und ­Erbrechen waren in Studien häufig; eine Verbesserung zeigt sich jedoch durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme.

Tigecyclin darf zur Behandlung von Patienten ab 8 Jahren nur nach Abstimmung mit einem Arzt
eingesetzt werden, der über einschlägige Erfahrung in der Behandlung von Infektionskrankheiten
verfügt.

Tigecyclin im Blickpunkt

Tigecyclin ist ein Tetracyclinderivat, das aufgrund seiner chemischen Struktur auch gegen Tetracyclin-resistente Stämme wirkt. Dies betrifft insbesonders Tetracyclin-resistente Enterobakterien. Zusätzlich ist diese Substanz hochaktiv gegen Enterokokken, auch solche mit Resistenz gegen Vancomycin und Anaerobier, wie sie für Bauchinfektionen typisch sind. Ein nicht unwillkommener Effekt aller Tetracycline ist, dass sie das Risiko an Clostridien-Diarrhöe zu erkranken nicht erhöhen. Dieses Krankheitsbild gehört heute zu den nosokomialen Komplikationen mit den höchsten Steigerungsraten. In Hinblick auf das pharmakologische Profil ist die gute Gewebegängigkeit – soweit dies bereits untersucht ist – ein Plus für diese Substanz.

Tigecyclin ist zur Behandlung folgender Infektionen bei Erwachsenen und Kindern ab 8 Jahren zugelassen:

  • komplizierte Haut- und Weichgewebsinfektionen (cSSTI), außer bei Infektionen des
    diabetischen Fußes;
  • komplizierte intraabdominelle Infektionen (cIAI).

Tygacil sollte nur in solchen Situationen angewendet werden, bei denen andere alternative Antibiotika
nicht geeignet sind. Die allgemein anerkannten Richtlinien für den angemessenen Gebrauch von antimikrobiellen
Wirkstoffen sind zu berücksichtigen.

Die empfohlene Dosis ist die Gabe von zunächst 100 mg, in der Folge 2x 50 mg. Aufgrund der Halbwertszeit und der pharmakologischen Daten wäre auch eine Einmalgabe möglich. Höhere Dosen werden derzeit in klinischen Studien erprobt (http://clinicaltrials.gov). Nach Einschätzung von OA Dr. Janata ist Tigecyclin dort von Bedeutung, wo MRSA und ESBL möglich sind.


Quellen und weitere Informationen:

http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/000644/WC500044508.pdf

Tigecyclin – Eine neue Perspektive in der ­Antibiotikatherapie. MEDMIX 4/2009.

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