Dienstag, April 23, 2024

Selbstmanagement und Therapieziel-Erreichung bei Diabetes

Selbstmanagement und Therapieziel-Erreichung bei Menschen mit Diabetes auf dem Land? Erste Ergebnisse eines Versorgungsforschungsprojektes.

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hielt 2014 in seinem Gutachten fest, dass die Versorgungskapazitäten in Deutschland insgesamt auf sehr hohem Niveau vorhanden sind. Allerdings drohen innerhalb des Bundesgebietes zunehmende Schieflagen zwischen Ballungsgebieten und der Fläche. Aktuell suchen die politischen Entscheidungsträger nach Lösungen für eine nachhaltige Versorgung ländlicher Räume, die sich zunehmend entleeren und deren zurückbleibende Bevölkerung überdurchschnittlich stark altert.

Aktuell wurde im Masterplan Medizinstudium 2020 als Ultima Ratio eine Landarztquote verabschiedet, die vorsieht, dass bis zu zehn Prozent der Medizinstudienplätze für Bewerber vergeben werden können, die sich verpflichten, nach dem finalen Examen bis zu zehn Jahre als Allgemeinmediziner auf dem Land zu arbeiten. „Irgendwann ist man so verzweifelt, dass man alles tut, um reinzukommen“, wurde eine angehende Studentin kürzlich in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zitiert. Diese Aussage zeigt, wie kontrovers die Landarztquote nicht nur unter den zukünftigen Studenten diskutiert wird.

Alternativ zu dieser „Zwangsrekrutierung“ werden Modellprojekte umgesetzt, in denen hoch spezialisierten Angehörigen von nichtärztlichen Gesundheitsfachberufen erweiterte Kompetenzen in der Versorgung von Patienten zugewiesen werden. Diese gesetzlich vorgesehene Option gibt es bereits seit dem Jahr 2008 und eine Richtlinie zu den definierten Bereichen dieser Heilkundeübertragung auf Gesundheitsfachberufe besteht seit dem Jahr 2012. Die Richtlinie regelt für einige festgelegte Erkrankungen, dass Behandlungstätigkeiten, die bislang ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten sind, künftig im Rahmen von Modellprojekten probeweise auf speziell ausgebildete Gesundheitsfachkräfte übertragen werden. Ein erster Studiengang, der junge Menschen für diese Tätigkeiten auf akademischem Niveau qualifiziert, ist bereits an der Universität Halle angelaufen. Neben chronischen Wunden, Hypertonie und Demenz ist der Diabetes mellitus eine der Erkrankungen, die in der Richtlinie für entsprechende Modellprojekte vorgesehen sind.

Menschen mit Diabetes mellitus sind auf eine spezialisierte Behandlung angewiesen, wenn schwerwiegende Folgeschäden der Erkrankung vermieden werden sollen. Der leitliniengerechten Durchführung der Therapie kommt bei dieser chronischen Erkrankung, die insbesondere ältere Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status betrifft, eine besondere Bedeutung zu.

Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) hat aus den genannten Gründen ein Versorgungsforschungsprojekt zum Einfluss der Betreuung durch Diabetesberater/innen in strukturschwachen Gebieten auf die Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes mellitus initiiert. Im Rahmen des Projektes wurden Daten von Menschen mit Diabetes erhoben, die im Bayerischen Wald nahe der tschechischen Grenze wohnen und keinen oder nur einen sehr begrenzten Zugang zu einer auf Diabetes spezialisierten Versorgung haben. Die gewählte Stichprobe wies einen hohen Anteil von älteren Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status aus.

Insgesamt zeigten sich deutliche Defizite in der diabetologischen Versorgungsqualität innerhalb dieser Patientengruppe:

Lediglich ein Drittel der Untersuchten erreichten die für diese Patientengruppe adäquaten Therapieziele. Entsprechend sind zwei Drittel dieser Menschen mit Diabetes nicht „ausreichend und sicher“ behandelt.

Elementare Fähigkeiten zur eigenverantwortlichen Durchführung der Therapie waren nicht vorhanden. Nur 20 Prozent der untersuchten Patienten konnten eigenständig ihr Insulin korrekt injizieren und nur 15 Prozent konnten eigenständig ihren Blutzucker korrekt bestimmen.

Ein weiteres Problem stellt die massive Polymedikation dar. Im Mittel nahmen die Patienten neun verschiedene Medikamente ein. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass ca. 40 Prozent der Patienten übertherapiert waren, von erheblicher Bedeutung.

Neben der Bestandsaufnahme wurde untersucht, ob eine Betreuung der Patienten durch eine Diabetesberaterin DDG eine Verbesserung der defizitären Selbstmanagementfähigkeiten zur Folge hat. Diabetesberater/in DDG ist eine qualifizierende Berufsbezeichnung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Sie wird durch eine umfassende Weiterbildung erworben. Adressaten sind Personen, die bestimmte Heilberufe ausüben. Die Weiterbildung vermittelt fachliche und personale Kompetenzen zur eigenverantwortlichen Schulung und Beratung von Menschen mit Diabetes mellitus – entsprechend dem aktuellen Stand medizinisch-diabetologischer und weiterer bezugswissenschaftlicher Erkenntnisse.

Die Ergebnisse des Versorgungsforschungsprojektes zeigten, dass bereits eine kurze Intervention durch eine Diabetesberaterin DDG die Selbstmanagementfähigkeiten der untersuchten Probanden deutlich verbesserte. Nach einer gezielten Beratung konnten deutlich mehr Menschen mit Diabetes ihr Insulin korrekt injizieren und ihren Blutzucker korrekt messen. Ferner steigerten sich die Behandlungszufriedenheit und die

Lebensqualität der Menschen mit Diabetes. Diabetesberater/innen DDG können somit die diabetologische Versorgungsqualität in strukturschwachen Gebieten verbessern und können Teil der Antwort auf der Suche nach Lösungen für eine nachhaltige Versorgung im ländlichen Raum sein.

Quelle:

Statement »Selbstmanagement und Therapieziel-Erreichung bei Menschen mit Diabetes auf dem Land?« Erste Ergebnisse eines Versorgungsforschungsprojektes. Lars Hecht MSc, Geschäftsführer RED-Institut (Research and Education in Diabetes), Vorstandsmitglied VDBD, Wissenschaftlicher Leiter der VDBD-Akademie, Oldenburg

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