Freitag, April 19, 2024

Schilddrüsenerkrankungen – Diagnose und Therapie

Funktionsstörungen wie Hyperthyreose und Hypothyreose, Thyreoiditis sowie Struma sind die klassischen Schilddrüsenerkrankungen.

Zu den Schilddrüsenerkrankungen gehören manifeste und latente Funktionsstörungen (Hyperthyreose und Hypothyreose), Entzündungen (Thyreoiditis) und schließlich diffuse oder knotige, benigne oder maligne Vergrößerungen des Organs (Struma). Das klinische Bild der Funktionsstörungen ist oft eindrucksvoll, häufiger aber oligosymptomatisch.

Im Grunde genommen sind Schilddrüsenfunktionsstörungen und Diabetes mellitus eng miteinander verbunden. Mehrere Studien haben die erhöhte Prävalenz von Schilddrüsenerkrankungen bei Patienten mit Diabetes mellitus und umgekehrt dokumentiert. Weiter kann eine unbehandelte Schilddrüsenfunktionsstörung die Stoffwechselkontrolle von Diabetikern beeinträchtigen. Experten empfehlen hierzu bei Patienten mit Diabetes mellitus ein Screening auf Schilddrüsenerkrankungen.

 

Schilddrüsenerkrankungen und Schilddrüsenhormone

Wenn die Konzentration der Schilddrüsenhormone in den Körpergeweben das physiologische Maß überschreitet (Schilddrüsenüberfunktion, Hyperthyreose), treten als Ausdruck einer Stoffwechselbeschleunigung Gewichtsverlust, Hitzeintoleranz, Palpitationen, feinschlägiger Tremor, Nervosität und Schlafstörungen auf. Hinzu kommen im Falle einer Autoimmun-Hyperthyreose – dem M. Basedow – noch die Symptome der endokrinen Orbitopathie. Zu diesen zählen die Hebung des Oberlides, Exophthalmus, Lidschwellungen sowie Augenmuskellähmungen. Weiters ist ein prätibiales Myx­ödem mit unregelmäßig begrenzten, erhabenen Hautveränderungen an der Unterschenkeln zu beobachten.

Im Gegensatz dazu führt die Verlangsamung des Stoffwechsels bei Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) zu Müdigkeit, Gewichtszunahme, trockener Haut, Haarausfall und brüchigen Nägeln.

Das Auftreten dieser verschiedenen Symptome macht die jeweilige Diagnose bei Schilddrüsenerkrankungen zwar wahrscheinlich, sie lässt sich aber nur bei 50% der Patienten tatsächlich biochemisch sichern.

Umgekehrt schließt ­eine niedrige, klinische Wahrscheinlichkeit eine Schilddrüsenfunktionsstörung nicht gänzlich aus, da diese Schilddrüsenerkrankungen – insbesondere bei älteren Menschen – häufig symptomarm verlaufen können.

 

Gesicherte Diagnose bei Schilddrüsenerkrankungen

Zum Ausschluss oder Nachweis einer Schilddrüsenfunktions­störung sollte primär die Serumkonzentration des Hypophysenhormons TSH – auch als Thyreotropin oder Thyreoidea-stimulierendes Hormon bezeichnet –bestimmt werden: Da eine vermehrte Produktion der Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) eine Unterdrückung der TSH-Sekretion bewirkt, ist die Serum-TSH-Konzentration bei hyperthyreoten Patienten unterhalb des Normbereichs gelegen, während sie bei Hypothyreose erhöht ist.

Bei Nachweis einer normalen TSH-Konzentration kann daher bei asymptomatischen Patienten auf jede weitere, biochemische Diagnostik verzichtet werden. Nur wenn das klinische Bild nicht zu einer normalen TSH-Konzentration passt, müssen – seltene – Funktionsstörungen der Hypophyse (sekundäre Hyperthyreose [= TSH-produzierendes Hypophysenadenom] bzw. eine Hypophyseninsuffizienz) ausgeschlossen werden. Eine außerhalb des Referenzbereichs gelegene TSH-Konzentration ist durch die Bestimmung von (f)T4 und T3 zu ergänzen. Damit kann man die Diagnose Hyperthyreose oder Hypothyreose sichern.

Zu berücksichtigen ist auch, dass zusätzliche, nicht-thyreoidale Erkrankungen, ebenso wie eine Reihe von Pharmaka, die Serumkonzentrationen peripherer Schilddrüsenhormone, aber auch die TSH-Sekretion beeinflussen.

 

Thyroxin und Trijodthyronin im Serum

Ferner ist bei der Bestimmung der Gesamtkonzentration von Thyroxin (TT4) und Trijodthyronin (TT3) im Serum zu berücksichtigen, dass der an Trägerproteine – vor allem an das Thyroxin-bindende Globulin [TBG] –gebundene, biologisch inaktive Anteil dieser Hormone etwa während der Einnahme oraler Kontra­zeptiva oder bei Schwangeren zunehmen und so eine Hyperthyreose vortäuschen kann.

Die Therapie der Hyperthyreose hat die Normalisierung der überschüssigen Hormonproduktion zum Ziel. Thyreostatisch wirksame Medikamente sind in der ­Regel Therapie der ersten Wahl. Wenn eine dauernde Remission nicht zu erzielen ist, muss eine definitive Therapie in Form ­einer Operation oder einer Behandlung mit radioaktivem Jod angestrebt werden. Grundsätzlich sollte man die Vor- und Nachteile dieser therapeutischen Optionen individuell abwägen.

Zur Behandlung der Schilddrüsenunterfunktion stehen einerseits Thyroxin-Präparate, andererseits die Kombination von Thyroxin und Trijod­thyronin zur Verfügung.

 

Thyreoiditis

Eine hyperthyreote Stoffwechsellage kann auch im Rahmen einer Schilddrüsenentzündung (subakute Thyreoiditis de Quervain) beobachtet werden. Zu den klinischen Symptomen der ­Hyperthyreose kommen dann noch beträchtliche, lokale Schmerzen im Schilddrüsenbereich hinzu.

Die Abgrenzung gegenüber der eigentlichen Hyperthyreose (durch erhöhte Entzündungsparameter und fehlende Aktivitätsanreicherung in der Szintigraphie) ist wichtig, da Thyreo­statika bei Thyreoiditis nicht indiziert sind und vielmehr nicht-steroidale oder steroi­dale, entzündungshemmende Medikamente zum Einsatz kommen.

 

Struma

Während die Prävalenz der Struma diffusa wegen der Jodsalzprophylaxe deutlich zurückgegangen ist, ist die Struma nodosa das häufigste, endokrine Leiden. So ist bei 60% aller Sechzigjährigen sonographisch mindes­tens ein Knoten im Bereich der Schilddrüse nachzuweisen, von denen sich 97% als histologisch ­benign erweisen.

Eine Thyroxin-Therapie ist bei Struma diffusa indiziert, während ihre Wirksamkeit bei (benignen) Schilddrüsenknoten fraglich ist. Ein Maligni­tätsverdacht ergibt sich aus anamnestischen (rasches Wachstum, posi­tive Familien­anamnese), klinischen (derber Palpationsbefund), laborchemischen (erhöhtes Serum-Calcitonin bei medullärem Schilddrüsenkarzinom), szintigrapischen (fehlende Aktivitätsanreicherung bei so genannten »kalten« Knoten) und zytologischen (Feinnadelaspirationspunktion) Kriterien.

Nach operativer Entfernung differenzierter Schilddrüsenkarzinome und ­einer nachfolgenden Radiojodtherapie ist eine Thyroxin-Therapie mit dem Ziel einer Unterdrückung von TSH indiziert. Die Überwachung dieser Patienten erfolgt durch Bestimmung von Thyreoglobulin im Serum sowie mittels sonographischer und nuklearmedizinischer (Iod-Ganzkörperszintigraphie) Kontrollen. Die Prognose ist in der Regel günstig. Im Gegensatz dazu sind die seltenen, undifferenzierten (»anaplastischen«) Karzinome durch eine sehr schlechte Prognose gekennzeichnet.


Literatur:

Ioachimescu AG. Thyroid Disorders: An Update. Endocrinol Metab Clin North Am. 2022 Jun;51(2):xiii-xiv. doi: 10.1016/j.ecl.2022.02.007. Epub 2022 Apr 22. PMID: 35662451.

Biondi B, Kahaly GJ, Robertson RP. Thyroid Dysfunction and Diabetes Mellitus: Two Closely Associated Disorders. Endocr Rev. 2019 Jun 1;40(3):789-824. doi: 10.1210/er.2018-00163. PMID: 30649221; PMCID: PMC6507635.

Cortés JMR, Zerón HM. Genetics of Thyroid Disorders. Folia Med (Plovdiv). 2019 Jun 1;61(2):172-179. doi: 10.2478/folmed-2018-0078. PMID: 31301652.

Gessl A, Lemmens-Gruber R, Kautzky-Willer A. Thyroid disorders. Handb Exp Pharmacol. 2012;(214):361-86. doi: 10.1007/978-3-642-30726-3_17. PMID: 23027459.


Quelle: Schilddrüsenerkrankungen – Diagnose und Therapie. Univ.-Prof. Dr. Heinrich Vierhapper. MEDMIX 6/2007

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