Samstag, April 20, 2024

Multiple Sklerose: Rückruf Daclizumab

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA empfiehlt jetzt ebenfalls den sofortigen Rückruf des Multiple-Sklerose-Wirkstoffs Daclizumab.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, hatte Meldungen über schwere Fälle von Autoimmunreaktionen bei Patienten mit Multipler Sklerose erhalten, die mit dem Antikörper Daclizumab behandelt wurden. Der Zulassungsinhaber hat daraufhin mitgeteilt, eigenverantwortlich auf die Zulassung zu verzichten und einen Rückruf zu initiieren. Auch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat jetzt das Ruhen der Zulassung und den Rückruf von Daclizumab mit dem Handelsnamen Zinbryta empfohlen.

Biogen – Zulassungsinhaber von Zinbryta – hatte am 1. März mitgeteilt, dass er eigenverantwortlich auf die Zulassung von Zinbryta verzichte und einen Rückruf des Arzneimittels initiiere. Nun hat auch die EMA das Ruhen der Zulassung und den sofortigen Rückruf von Daclizumab empfohlen, nachdem weltweit insgesamt zwölf Berichte über schwere entzündliche Erkrankungen des Gehirns – Enzephalitis und Meningoenzephalitis – bekannt geworden waren. Inzwischen sind vier Patienten verstorben. Die meisten Fälle traten innerhalb von acht Monaten nach Beginn der Behandlung auf.

Die derzeit verfügbare Evidenz weist auf ein Risiko für schwere entzündliche Hirnerkrankungen infolge autoimmunbedingter Reaktionen im Zusammenhang mit der Behandlung mit Zinbryta hin. Die vorliegenden Daten deuten außerdem darauf hin, dass Daclizumab mit anderen immunvermittelten Erkrankungen wie Blutbildveränderungen, Thyreoiditis oder Glomerulonephritis in Verbindung gebracht werden könnte.

Informationen für Patienten

  • Wer mit Zinbryta behandelt wird, sollte sich mit dem behandelnden Arzt in Verbindung setzen, um weitere Behandlungsoptionen zu besprechen.
  • Keine weitere Injektion von Daclizumab sollte gemacht werden.
  • Wenn Symptome wie anhaltendes Fieber, starke Kopfschmerzen, Übelkeit (Schwindel), Müdigkeit, Gelbfärbung der Haut oder der Augen und Erbrechen auftreten, sollte unverzüglich der Arzt informiert werden. Diese Symptome könnten Anzeichen für eine unerwünschte Reaktion auf Daclizumab sein.
  • Der Arzt wird weiterhin regelmäßig bis zu sechs Monate nach Beendigung der Behandlung die Leberwerte der Patienten untersuchen.
  • Wer sich in einer klinischen Studie mit Daclizumab befinden, sollte sich mit dem behandelnden Arzt in Verbindung setzen.

 

Informationen für Angehörige der Gesundheitsberufe

  • Keine neuen Patienten mit Daclizumab behandeln.
  • Patienten, sollten schnellstmöglich informiert und die Behandlung mit Zinbryta beendet werden, gleichzeitig sollten alternative Behandlungen erörtert werden.
  • Patienten, die die Behandlung abbrechen, sollten über einen Zeitraum von sechs Monaten nach der letzten Dosis von Daclizumab mindestens monatlich oder, sofern klinisch angezeigt, auch häufiger überwacht werden.
  • Die Patienten sollten darüber informiert werden, dass Symptome, die auf Nebenwirkungen hinweisen können, wie länger andauerndes Fieber, starke Kopfschmerzen, Müdigkeit, Gelbsucht, Übelkeit oder Erbrechen, sofort gemeldet werden müssen. Diese Reaktionen können bis zu sechs Monate nach Beendigung der Behandlung auftreten.
  • Ein Rückruf von Daclizumab aus Apotheken und Krankenhäusern wird in der EU erfolgen.

 

Eine vorangegangene PRAC-Bewertung im Jahr 2017 hatte ergeben, dass unvorhersehbare und potenziell tödliche immunvermittelte Leberschäden mit Daclizumab bis zu sechs Monate nach Beendigung der Behandlung auftreten können. Der PRAC kam zu dem Schluss, dass Patienten, die die Behandlung abbrechen, entsprechend überwacht werden sollten.

 

Über Daclizumab

Daclizumab wurde 2016 zur Behandlung schubförmiger Formen der Multiplen Sklerose zugelassen. Nach einer Überprüfung der Auswirkungen des Medikaments auf die Leber im Jahr 2017 war die Anwendung des Medikaments auf erwachsene Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose (RMS), die auf mindestens zwei krankheitsmodifizierende Therapien (DMT, „disease modifying therapy“) nicht ausreichend angesprochen haben und bei denen eine Behandlung mit jeder anderen DMT kontraindiziert oder aus anderen Gründen ungeeignet ist, eingeschränkt worden. Bis heute wurden weltweit über 8.000 Patienten mit Zinbryta therapiert. Die Mehrheit der Patienten in der EU wurde in Deutschland behandelt.

Daclizumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper, der an CD25 (IL-2Rα) bindet und dadurch die Bindung von IL-2 an CD25 verhindert. Daclizumab moduliert die IL-2-Signalübertragung, indem es CD25-abhängige, hoch affine IL-2-Rezeptorsignale blockiert; dies führt zu höheren IL-2-Spiegeln, die dann für die Signalübertragung durch den intermediär affinen IL-2-Rezeptor zur Verfügung stehen. Die Haupteffekte dieser Modulation des IL-2-Signalwegs, die potenziell im Zusammenhang mit den therapeutischen Wirkungen von Daclizumab bei Multipler Sklerose stehen, umfassen den selektiven Antagonismus von aktivierten T-Zell-Antworten und die Expansion der immunregulatorischen CD56bright natürlichen Killerzellen (NK), die nachweislich aktivierte T-Zellen selektiv reduzieren. Zugleich wird angenommen, dass diese immunmodulatorischen Effekte von Daclizumab die ZNS-Pathologie bei Multipler Sklerose verringern und dadurch das Auftreten von Schüben und das Fortschreiten der Behinderung senken.

Sicherheitsmeldungen des Paul-Ehrlich-Instituts und der EMA:

  • EMA recommends immediate suspension and recall of multiple sclerosis medicine Zinbryta
  • Biogen Idec verzichtet auf die Zulassung des Arzneimittels Zinbryta (Daclizumab) zur Behandlung von Patienten mit Multipler Sklerose
  • Biogen Idec renounces marketing authorisation of the medicinal product Zinbryta (Daclizumab) for the treatment of patients with multiple sclerosis

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