Dienstag, April 16, 2024

Reisen kann Mikrobiota nachhaltig verändern

Zur Mikrobiota gehören alle Mikroorganismen, die auf unseren inneren und äußeren Oberflächen gedeihen – mit mehr als 1000 unterschiedlichen Bakterienspezies.

Die gastrointestinale Mikrobiota des Menschen ist weit mehr als eine „Hilfstruppe“ bei Verdauungsprozessen im Kolon. Der Begriff Mikrobiota umfasst alle Mikroorganismen, die auf unseren inneren und äußeren Oberflächen gedeihen und mehr als 1000 unterschiedliche Bakterienspezies enthalten. Die Mikroorganismen des Menschen enthalten mehr als 5 bis 8 Millionen unterschiedliche Gene. Im Vergleich dazu stellt die Summe der 23.000 Gene aller Körperzellen des Menschen nur ein Bruchteil dar.

 

Sind wir mehr Mensch oder mehr Mikrobiota?

Der mit den Erkenntnissen zur Mikrobiota verknüpfte Paradigmenwechsel weist aus, dass durch die Mikrobiota zentrale physiologische und pathophysiologische Reaktionen des Körpers beeinflusst werden. Akzeptiert wird, dass Störungen bzw. Veränderungen der Mikrobiota mit einer Vielzahl von Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes mellitus, Malignomen, Lebererkrankungen, neurologisch/psychiatrische Erkrankungen (wie Alzheimer oder Parkinson) und – erwartungsgemäß – auch mit Darmerkrankungen verknüpft sind (1). So zeigen sich z. B. ausgeprägte Unterschiede in der Zusammensetzung der Mikrobiota bei Adipösen und Schlanken. Bei Normalgewichtigen dominiert die Gattung der Bacteroidetes, bei Adipösen die der Firmicutes. Eine derartige Verschiebung der Hauptstämme wirkt sich unmittelbar auf den Energiestoffwechsel aus.

Die Mikrobiota von Adipösen produziert mehr Enzyme, die unverdauliche Kohlenhydrate spalten können. Damit steigt die Energieausbeute aus der Nahrung – ein Effekt, der etwa zehn Prozent der täglichen Energieaufnahme ausmachen kann.

 

Mikrobiota und Reisen

In einer hochspannenden Untersuchung wurden in mehr als 10.000 Analysen die Mikrobiota zweier Menschen tagtäglich über ein Jahr beschrieben. Zwar zeigte sich in der Zusammensetzung über viele Monate eine hohe Stabilität, relevante Veränderungen der Lebensgewohnheiten führten jedoch zu deutlichen Veränderungen. So führte die Fernreise eines Probanden in ein weniger entwickeltes Land zu einer prompten Verschiebung im Darmmikrobiom im Verhältnis der Bacteroides- zu Firmicutes-Spezies mit einer raschen Normalisierung nach Rückkehr (2).

Zu den typischen Darmbakterien gehören sogenannte Enterobakterien. Manche dieser Bakterien haben eine erweiterte Resistenz gegenüber Antibiotika entwickelt: Sie produzieren das Enzym ESBL (Extended-Spectrum-Betalaktamase). Dabei werden von den Bakterien Enzyme gebildet, welche fast alle Beta-Laktam-Antibiotika (z. B. Penicilline oder Cephalosporine) zerstören. Viele Antibiotika, die als Mittel der Wahl, etwa bei Infektionen mit Escherichia coli, eingesetzt wurden, verlieren damit ihre Wirkung. Weltweit findet sich die höchste ESBL-Verbreitung in Südostasien mit 1,1 Milliarden Trägern, gefolgt von den Regionen Westpazifik, vorderer Orient und Afrika mit 110 Millionen und schließlich Amerika und Europa mit bis zu 35 Millionen Trägern.

Wahrscheinlich führt ein beschränkter Zugang zu sauberen Trinkwasser, Armut und eine hohe Bevölkerungsdichte zu einer effizienten Verbreitung von ESBL-Resistenzgenen (fäkal-orale Kontaktübertragung). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Fernreisende in Abhängigkeit der Reisebedingungen (z. B. „Rucksacktourismus“) während der Reise mit ESBL-Bakterien kolonisiert werden können. In Abhängigkeit von der Region, insbesondere beim Auftreten von Durchfallserkrankungen und bei Einnahme von Antibiotika steigt die Gefahr auf bis zu 85 Prozent an (3).

Diese den Gastrointestinaltrakt kolonisierenden ESBL-Bakterien „reisen mit zurück“ und sind teilweise noch Monate im Darm des Menschen nachzuweisen, ohne dass dieser erkrankt. Für Kranke oder immunschwache Menschen können sie aber zur Gefahr werden. Ebenso kann beim ESBL-Träger die Behandlung von neuen Infektionen problematisch werden, da die ESBL-Bakterien ihre „Kompetenz“ an diese Infektions-Erreger übertragen, die dann viel schwerer zu bekämpfen sind.

Quelle:

Statement » Wie sich auf Reisen die Darmflora verändert – und warum das auch für Daheimgebliebene ein Risiko ist « von Professor Dr. med. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV (Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie, Interdisziplinäre Endoskopie), Universitätsklinikum Jena bei der Jahres-PK 2018 der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)

Literatur:

1. Stallmach A, Vehreschild M.J.G.T. Mikrobiom. Wissensstand und Perspektiven. DE GRUYTER, 2016. 2. David LA et al. Host lifestyle affects human microbiota on daily timescales. GenomeBiology 2014; 15: R89. 3. Ruppe E et al. Digestive tract colonization by multidrug-resistant Enterbacteriaceae in travelers: an update. Travel Medicine and Infectious Disease 2018, 21: 28.

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