Freitag, April 26, 2024

In-Vitro-Diagnostika-Verordnung der Europäischen Union

Seit Mai 2017 gilt die neue In-Vitro-Diagnostika-Verordnung (IVD) der Europäischen Union, die ab 2022 einen Umbruch in der Regulierung bedeutet.

Die seit Mai 2017 geltende In-Vitro-Diagnostika-Verordnung (IVD) der Europäischen Union wird ab dem Jahr 2022 voll in Kraft treten. Schließlich  ergibt sich dadurch ein Umbruch in der Regulierung bei In-Vitro-Diagnostika.

Die In-Vitro-Diagnostika-Verordnung formuliert neue gesetzliche Bestimmungen,die eine grundsätzlich begrüßenswerte Sicherstellung von europaweit einheitlichen Qualitätsstandards bezweckt.

Die neue In-Vitro-Diagnostika-Verordnung könnte allerdings aufgrund der noch nicht erfolgten Novelle des Medizinproduktegesetzes und der fehlenden Personalressourcen in Österreich zu Engpässen oder längeren Wartezeiten für therapieentscheidende Tests und damit zu Nachteilen für Patienten führen.

 

Neue In-Vitro-Diagnostika-Verordnung wegen bestehender Defizite bei den bisherigen Regelungen

Die neuen EU-rechtlichen Bestimmungen wurden durch Defizite der bisherigen Regelungen veranlasst. So hat sich die bisherige Regulation im Medizinproduktebereich insbesondere bei nicht-labormedizinischen Medizinprodukten wie z.B. Hüftgelenken oder Brustimplantaten als wenig effektiv erwiesen. Diese Bestimmungen waren großteils Ende der 1990er-Jahre in Form von Richtlinien erlassen und in der Folge lediglich geringgradig reformiert worden, wobei sich die Umsetzung länderweise sehr unterschiedlich gestaltete.

Die Schwachstellen traten insbesondere im Zusammenhang mit dem französischen Brustimplantate-Skandal 2010 zutage. Dabei verwendete ein Hersteller jahrelang ein nicht zugelassenes Silikongel für Brustimplantate. Schließlich verursachten die reißanfälligen Silikonkissen bei hunderttausenden Frauen beträchtliche Schädigungen ihrer Gesundheit.

Vor diesem Hintergrund beschloss die Europäische Union die neuen Verordnungen zu Medizinprodukten und In-Vitro-Diagnostika. Prinzipiell beinhalten beide europaweit direkt anwendbares Recht.

Weiters ist in den Verordnungen ist auch eine Reform der benannten Stellen (notified bodies) enthalten. Schlußendlich soll diese unabhängige dritte Institutionen mit Fachkompetenz die strikte Überwachung der Hersteller gewährleisten.

Die Arbeit dieser Organisationen wurde evaluiert und in ihrer bisherigen Form als ineffektiv und das vorhandene Niveau EU-weit als viel zu unterschiedlich eingestuft. Als Konsequenz hat die EU-Kommission 50 Prozent der benannten Stellen im Zuge von Audits geschlossen. Die durch von der Europäischen Kommission autorisierten Auditteams überprüften und überwachten die übrigen benannten Stellen nebst der Einhaltung der hohen Qualitätsanforderungen.

 

Österreich: keine benannten Stellen mehr

Bislang standen in Österreich zwei benannte Stellen zur Verfügung. Allerdings erfüllte eine Stelle die Anforderungen des Auditteams der EU-Kommission nicht, die andere unterzog sich dem Audit erst gar nicht. Daher gibt es derzeit in Österreich keine einzige benannte Stelle. Dies stellt aus wirtschaftlicher Perspektive und aus Sicht der maßgeblichen Stakeholder ein massives Problem dar.

Konkret bedeutet dies zur Zeit, dass Deutschland oder anderen Ländern des EU-Raums alle Zulassungen durchführen werden. Da aber auch dort die Hälfte der benannten Stellen geschlossen wurde, kommt es zu einem massiven Rückstau mit langen Wartezeiten.

 

Externe Überwachung für 80 Prozent der Diagnostik-Tests

Um die massiv wachsende Bedeutung der In-Vitro-Diagnostik für die Patientenversorgung (Medikamentenanalytik, Molekulargenetik) regulatorisch zu unterstützen, werden durch die neue In-Vitro-Diagnostika-Verordnung bis etwa 2024 sämtliche In-Vitro-Diagnostika nach einem neuen Risikobewertungsmodell eingestuft werden müssen.

Dieses regelbasierte System schreibt mittelfristig die Einstufung aller In-Vitro-Diagnostika in vier Risikoklassen vor. Als Ergebnis wird für 80 Prozent dieser Tests eine externe Zulassung und Überwachung durch benannte Stellen erforderlich sein.

Bisher war nur für etwa 20 Prozent der In-Vitro-Diagnostika eine benannte Stelle notwendig. Die so veränderte Regulierung wird spürbare Konsequenzen nach sich ziehen. Das Hauptproblem: Die Kosten für die Diagnostik-Industrie steigen deutlich. Welche Tests auf dem Markt angeboten werden, hängt stark von Kosten und den Preisen ab.

 

In-Vitro-Diagnostika-Verordnung müssen kommerziell attraktiv und regulatorisch möglichst einfach bewertbar sein

Die Produkte müssen einerseits kommerziell attraktiv und andererseits regulatorisch möglichst einfach gemäß einem transparenten Regelsystem zu bewerten sein. Tests mit hohem Aufwand bezüglich Herstellungsprozess, klinischen Studien, Validierung bzw. Überwachung und Zulassung werden entweder zu hohen Preisen angeboten. Oder sie werden aufgrund zu niedriger Margen gar nicht auf den Markt kommen.

Das Spektrum der möglicherweise betroffenen Diagnostika reicht von Spiegelbestimmungen für bestimmte Arzneimittel wie etwa Antibiotika über genetische Analysen für weniger häufige Erkrankungen bis hin zu seltenen immunologischen Bestimmungen etwa aus der Autoimmundiagnostik. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass sich das Angebot für kommerziell vertriebene Tests verringern wird. Die Hersteller werden sich auf spezielle Nischen konzentrieren, sodass für unterschiedliche Produktgruppen nur mehr einzelne Anbieter zur Verfügung stehen – derartige Entwicklungen wirken sich üblicherweise auf Produktvielfalt, Innovation, Qualität und Preisgestaltung eher ungünstig aus.

 

Medizinische Laboratorien sind gefordert: Inhouse-Tests

Als Konsequenz aus dieser Entwicklung ist damit zu rechnen, dass die große Gruppe der CE-gekennzeichneten, also nach der Europäischen Regulation von Herstellern angebotenen Reagenzien, durch sogenannte inhouse-Tests ergänzt werden müssen. Das heißt, dass Laboratorien von entsprechender Größe oder auf Universitätsniveau zukünftig nicht mehr von der Industrie angebotene Testsysteme inhouse testen und validieren werden. Dadurch können Experten wiederum die erforderliche Diagnostik bei Patienten durchführen.

Auch auf diesem Gebiet wurden die Regelungen allerdings verschärft: Die neue In-Vitro-Diagnostika-Verordnung schreibt vor, dass Anbieter von inhouse-Tests das Qualitätsniveau der internationalen Akkreditierungsnorm EN ISO 15189:2012 erfüllen müssen, lässt aber in der Umsetzung Spielraum für nationale Regelungen. Für die Umsetzung wäre daher eine Novelle des Medizinproduktegesetzes erforderlich, die klar regelt, wie die Vorgaben in Österreich umzusetzen sind. Allerdings fehlen die Gesetznovellierung und damit die Rahmenbedingungen, nach denen diese wichtigen und für die Patienten teilweise therapieentscheidenden inhouse-Tests durch die Laboratorien angeboten werden dürfen.

Die ÖGLMKC urgiert daher die auf die neue In-Vitro-Diagnostika-Verordnung abgestimmte Novelle des österreichischen Medizinproduktegesetzes und eine adäquate personelle Aufstockung der derzeit unterbesetzten Akkreditierungsstelle, um die bevorstehende Zunahme der Nachfrage nach Akkreditierung möglichst zeitnahe
bewältigen zu können. Nur so können die Laboratorien inhouse-Tests rechtskonform und bedarfsgerecht sowie kosteneffizient anbieten.

Andernfalls bestünde die Notwendigkeit, sich zur Akkreditierung an ausländische Stellen zu wenden, was zu einer Erhöhung von Kosten und Wartezeiten führen würde. Dies wäre letztendlich zum Nachteil von Patienten, weil diagnostische Tests, deren Ergebnisse für Therapieentscheidungen relevant sind, nur mit zeitlicher Verzögerung oder gar nicht angeboten werden könnten.

 

Audits und Begutachtungen

Als Beitrag zur Entspannung dieser Situation wird die ÖGLMKC junge Kollegen motivieren, sich als Sachverständige und Gutachter der Akkreditierungsstelle zur Verfügung zu stellen. Schließlich können damit die entsprechenden Audits und Begutachtungen in einem vertretbaren Zeitfenster stattfinden.

Quelle:

Statement » Auswirkung von neuen gesetzlichen Bestimmungen auf die medizinische Diagnostik «. Ass.-Prof. Dr. Christian Schweiger, Medizinische Universität Wien/AKH Wien, Klinisches Institut für Labormedizin. Anlässlich der 7. Jahrestagung, im November 2018 in Salzburg, Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin und Klinische Chemie (ÖGLMKC).


Weitere Informationen:

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv:OJ.L_.2017.117.01.0176.01.DEU

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