Samstag, April 20, 2024

Global Health Care und Global Surgical

Global Surgical Care – ein neuer wichtiger Parameter in den Fokus von Global Health Care – ist kosteneffizienter als die (billigere) Behandlung vieler anderer Erkrankungen.

Die globalen Gesundheitsdaten verändern sich rasant. Global Health Care-Daten weisen große regionale Unterschiede auf. Die Inzidenz und Mortalität von Infektionskrankheiten konnten durch Erfolge in der medizinischen Forschung, nationale Gesundheitspläne und große finanzielle Aufwendungen gesenkt werden. Dagegen nehmen Erkrankungen deutlich zu, die durch ungesunde und sich verändernde Umwelt- und Lebensbedingungen verursacht sind. Diese zunehmend durch global wirkende Faktoren verursachten Krankheiten können allein durch monokausal oder lokal angelegte Gesundheitsinitiativen nur unzureichend verhindert oder behandelt werden. Es sind gemeinsame Strategien von Medizin, Forschung und Politik gefordert, die komplexen Ursachen für das gehäufte Auftreten vor allem nicht übertragbarer Erkrankungen zu bekämpfen. Es müssen hierfür definierte Konzepte erarbeitet und realisiert werden. Um Gesundheit global zu verbessern, sollten hierauf abzielende Programme trotzdem regional organisiert sein und gleichzeitig auf eine Verbesserung der Infrastruktur sowie eine ausreichende Bereitstellung von Material und ausgebildetem Personal hinwirken.

 

Global Surgical und Global Health Care

Chirurgisch behandelbare Erkrankungen sind wesentlich für die unzureichende globale Gesundheit verantwortlich zu machen. Ihnen muss etwa ein Drittel der globalen Krankheitslast zugesprochen werden. Schätzungen gehen für das Jahr 2010 weltweit von fast 17 Millionen Toten aus, die an chirurgisch prinzipiell zu versorgenden Krankheiten gestorben sind. Führend sind dabei die Folgen von Unfällen, die bereits jetzt in der Mortalitätsstatistik der WHO mit fünf Millionen Verstorbenen pro Jahr an die dritte Stelle geklettert sind; für Kinder und junge Erwachsene von fünf bis 40 Jahren sind sie bereits die häufigste Todesursache. Etwa 90 Prozent der unfallbedingten Todesfälle und Patienten mit dauerhaften körperlichen Schäden treten in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen auf. Die Wahrscheinlichkeit, an den Folgen eines Unfalls zu versterben, ist in diesen Ländern etwa sechsmal höher als in den reichen Ländern. Aus Sicht von Global Health Care lässt sich dieser alarmierende Zustand aber auch anders herum darstellen: 1,5 Millionen Todesfälle pro Jahr können in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verhindert werden; das wären etwa 6,5 Prozent aller vermeidbaren Todesfälle.

Die Bedeutung chirurgischer Erkrankungen wird noch deutlicher, wenn man nicht nur die Mortalität als Indikator für die Schwere einer Erkrankung heranführt, sondern darüber hinaus auch die DALY (disability-adjusted life years), also eine auf die Lebensjahre umgerechnete Einschränkung, am normalen Leben und Arbeiten teilzunehmen. Die Verkehrsunfälle lagen in dieser Statistik bereits vor zehn Jahren auf dem neunten Platz und werden – den Hochrechnungen zufolge – bis 2030 an die dritte Stelle rücken. Den DALYs werden auch im Rahmen von Global Health eine große Bedeutung beigemessen, weil diese statistische Variable neben dem individuellen Schicksal auch die sozialen und ökonomischen Folgen beleuchtet. Wiederum im Umkehrschluss ist es dadurch aber auch möglich, durch eine deutliche Verbesserung der chirurgischen Versorgung viele DALYs zu verhindern. Im Gegensatz zu chronischen Infektionen wird die Gesundheit der Patienten nach adäquater chirurgischer Behandlung oft vollständig wiederhergestellt, und sie können unverändert am Arbeitsprozess teilnehmen.

Damit gelangt ein neuer wichtiger Parameter in den Fokus von Global Health Care: Adäquate Chirurgie ist kosteneffizienter als die (billigere) Behandlung vieler anderer Erkrankungen. Hochgerechnet auf das Bruttosozialprodukt (BSP) der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen kann durch eine flächendeckende (globale) chirurgische Versorgung bis zum Jahr 2030 eine Einsparung der Gesamtausgaben von etwa zwei Prozent des BSP (12,3 Billionen US-Dollar) erzielt werden. Bei dieser Betrachtung der ökonomischen Folgen ist aber eine ganz andere Zahl für die Betroffenen noch wichtiger: die Anzahl der Patienten, die dauerhaft verarmen würden oder finanziell ruiniert wären, wenn sie sich einer Operation unterziehen müssten. Diese wird weltweit auf etwa 3,7 Milliarden Menschen geschätzt, also die knappe Hälfte der Weltbevölkerung. Nach dieser Studie werden bereits jetzt jährlich etwa 81 Millionen Menschen durch direkte Ausgaben für den chirurgischen Eingriff selbst oder für die damit assoziierten nicht medizinischen Ausgaben finanziell ruiniert. Diese Zahlen demonstrieren die Notwendigkeit, das Risiko einer Verarmung Erkrankter durch entsprechende nationale Gesetzgebungen zu reduzieren.

 

Wie erreicht Global Surgical Care den Patienten?

Drei Viertel der weltweit durchgeführten Operationen werden an etwa einem Drittel der Weltbevölkerung durchgeführt. Aktuell haben fünf Milliarden Menschen keinen Zugang zu adäquater und bezahlbarer chirurgischer und anästhesiologischer Behandlung. Auf Initiative der WHO und der Lancet Commission on Global Surgery sind 2015 konkrete Empfehlungen erarbeitet worden, wie die Verbesserung der weltweiten chirurgischen Versorgung erzielt werden kann. Dieser Plan folgt den Kriterien von Global Health Care und verfolgt damit keinen alleinigen krankheitsbezogenen Zugang (zum Beispiel Reduzierung der Mütter- und Säuglingssterblichkeit, Impfkampagnen), sondern eine sektorübergreifende Strategie zur Stärkung lokaler beziehungsweise nationaler Gesundheitsstrukturen. Die Schlüsselthemen von Global Health Care weisen darauf hin, wie nah alle Aspekte in unserem Alltag sind. Hierzu gehören das Voranschreiten multiresistenter Keime und die ungenügende Entwicklung neuer Antibiotika genauso wie der Organhandel zwischen reichen und armen Ländern, der Umgang mit und die medizinische Behandlung von Migranten, die Vermeidung von Umwelt- und klimabedingten Erkrankungen, die Verwendung gentechnisch hergestellter Nahrungsmittel und vielleicht in Zukunft die Manipulationen des genetischen Materials Ungeborener.

Quelle:

Statement » Global Health Care und Global Surgery – der große und der kleine Bruder « von Privatdozent Dr. med. Henning Mothes, Vorsitzender der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Entwicklungsländer (CAEL) der DGCH; Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena zum 135. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.

Related Articles

Aktuell

Zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom kultivieren

Wichtig zur Klärung der Metastasierung: Forscher gelang es, zirkulierende Tumorzellen beim kleinzelligen Lungenkarzinom zu kultivieren. Die Forschung zum kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC), einer besonders aggressiven Form...
- Advertisement -

Latest Articles

Individuelle Beratung zur Ernährung für Krebspatienten

Beratung zur Ernährung für Krebspatienten: Verbesserung der Lebensqualität durch individuelle ernährungsmedizinische Unterstützung. Eine rechtzeitige und individuell angepasste Beratung zur Ernährung kann wesentlich zur Verbesserung der...

Warum HIV trotz Kombinationstherapie höchst aktiv sind

Neue Herausforderungen in der HIV-Behandlung sind, dass aktive HI-Viren trotz Kombinationstherapie weiterhin aktiv bleiben. Die HIV-Kombinationstherapie, eingeführt in den 1990er Jahren, gilt als Meilenstein in...

Partnerschaft mit Diabetes-Patienten: auch die Partner profitieren von Einbeziehung

Den Partner in die Diabetes-Behandlung zu integrieren, verbessert die Partnerschaft und das gemeinsame Wohlbefinden. Diabetes Typ-2 stellt nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für...