Donnerstag, März 28, 2024

Syndrom der unkämmbaren Haare durch Gene verursacht

Dem Struwwelpeter-Syndrom auf der Spur: das sogenannte Syndrom der unkämmbaren Haare kann durch Mutationen in drei Genen entstehen.

Im Deutschen spricht man vom Syndrom der unkämmbaren Haare oder auch Struwwelpeter-Syndrom, wenn Kinder unter völlig zersausten Haaren leiden, die sich partout nicht kämmen lassen. Forscher der Universitäten Bonn und Toulouse haben Mutationen in drei Genen identifiziert, die dafür verantwortlich sind. Insgesamt waren an der Arbeit Wissenschaftler aus acht Ländern beteiligt. Die Ergebnisse sind heute im American Journal of Human Genetics erschienen.

Beim Syndrom der unkämmbaren Haare sind Bürste oder Kamm chancenlos

Viele Eltern wissen aus eigener Erfahrung, dass Kindern die Haare zu richten, mitunter kompliziert sein kann. Doch mit Geduld und starken Nerven lassen sich in aller Regel auch die hartnäckigsten verpickten, verklebten, verfilzten usw. Knoten lösen.

Hingegen haben beim Syndrom der unkämmbaren Haare Bürste oder Kamm keine Chance, die Haarpracht zu frisieren. Die Betroffenen haben extrem krause, trockene, meist hellblonde Haupthaare mit charakteristischem Glanz, die sich jeder Anstrengung, sie zu bändigen, erfolgreich widersetzen. Am ausgeprägtesten sind diese Symptome in der Kindheit und lassen dann mit der Zeit nach. Im Erwachsenenalter lassen sich die Haare meist mehr oder weniger normal frisieren.

Über die Ursachen ist bislang so gut wie nichts bekannt – wohl auch deshalb, weil das Phänomen relativ selten ist. Im Jahr 1973 wurde es zum ersten Mal in der Fachliteratur beschrieben; inzwischen sind weltweit gut einhundert Fälle dokumentiert. „Wir nehmen aber an, dass es deutlich mehr Betroffene gibt“, erklärt Professor Dr. Regina Betz vom Institut für Humangenetik der Uni Bonn. „Wer unter unkämmbaren Haaren leidet, sucht deshalb nicht unbedingt einen Arzt oder eine Klinik auf.“ Immerhin weiß man, dass die Anomalie in manchen Familien gehäuft vorkommt – sie scheint also genetische Ursachen zu haben.

Betz ist Spezialistin für seltene erbliche Haarerkrankungen. Vor ein paar Jahren wurde sie auf einem Kongress von einem britischen Kollegen angesprochen. Dieser hatte kurz zuvor eine Familie mit zwei betroffenen Kindern untersucht. Das Interesse der Bonner Humangenetikerin war geweckt. „Über Kontakte zu Kollegen aus aller Welt gelang es uns, neun weitere Kinder zu finden“, erklärt sie. Die Bonner Wissenschaftler sequenzierten sämtliche Gene der Betroffenen. Beim Abgleich mit großen Datenbanken stießen sie so auf Mutationen in drei Erbanlagen, die an der Bildung des Haares beteiligt sind.

Quervernetzung der Haar-Proteine gestört

Die veränderten Gene tragen die Kürzel PADI3, TGM3 und TCHH. Die ersten beiden enthalten die Bauanleitung für Enzyme, das dritte – TCHH – dagegen für ein wichtiges Protein des Haarschafts. In gesundem Haar sind die TCHH-Proteine über hauchfeine Hornfäden miteinander vernetzt, die für Form und Struktur des Haares verantwortlich sind. Bei diesem Vorgang spielen die zwei anderen gefundenen Gene eine wichtige Rolle: „PADI3 verändert das Haarschaftprotein TCHH so, dass sich die Hornfilamente an ihm anlagern können“, erklärt die Erstautorin der Studie Dr. Fitnat Buket Basmanav Ünalan. „Das TGM3-Enzym stellt dann die eigentliche Verknüpfung her.“

Zusammen mit Kollegen der Universität Toulouse führten die Bonner Wissenschaftler Experimente in Zellkultur durch. In diesen konnten sie die Wichtigkeit der identifizierten  Mutationen für die Funktion der Proteine zeigen. Wenn auch nur eine der drei Komponenten nicht funktionell ist, hat das fundamentale Auswirkungen auf die Struktur und Stabilität der Haare. Mäuse, bei denen das PADI3- oder das TGM3-Gen defekt ist, entwickeln daher charakteristische Fell-Anomalien, die dem menschlichen Phänotyp sehr ähnlich sind.

„Aus den gefundenen Mutationen lässt sich eine ganze Menge über die Mechanismen lernen, die an der Bildung gesunder Haare beteiligt sind, und warum es manchmal zu Störungen kommt“, freut sich Professor Regina Betz. „Zugleich können wir nun die klinische Diagnose ‚unkämmbare Haare‘ mit molekulargenetischen Methoden absichern.“

Für betroffene Personen mit Haarerkrankungen ist dieser letzte Punkt eine gute Nachricht: Manche Haar-Anomalien gehen mit schweren Begleiterkrankungen einher, die sich mitunter erst in späteren Lebensjahren manifestieren. Das Struwwelpeter-Syndrom tritt dagegen meist isoliert ohne weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen auf. Die unkämmbaren Haare seien zwar lästig und möglicherweise auch eine psychische Belastung, sagt Betz. „Ansonsten müssen sich Betroffene aber keine Sorgen machen.“

Quelle: www.uni-bonn.de

Publikation: F. Buket Ü. Basmanav et al.: Mutations in three genes encoding proteins involved in hair shaft formation cause uncombable hair syndrome; The American Journal of Human Genetics; DOI: 10.1016/j.ajhg.2016.10.004

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