Freitag, April 26, 2024

Frieden mit den Mikroben

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass der Krieg gegen die Mikroben nicht nur vergeblich ist, sondern sich auch schädlich auf die Gesundheit auswirken könnte.

Es ist noch nicht allzu lange her, da dachte man, alle „feindlichen“ Keime müssten mit antibakterieller Seife und Antibiotika zerstört werden. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass der Krieg gegen die Mikroben nicht nur vergeblich ist, sondern sich auch schädlich auf die Gesundheit auswirken könnte. Je mehr man über das menschliche Mikrobiom – Billionen von einzelligen Organismen, die z.B. die Haut, den Mund, die Nase, das Verdauungssystem und die Vagina besiedeln – erfährt, desto deutlicher erkennt man, dass diese mikroskopisch kleinen Lebewesen, die in und auf uns leben für unsere Gesundheit genauso wichtig sind, wie die körpereigenen Zellen.

Dr. Curtis Huttenhower, Associate Professor für Computational Biology und Bioinformatik an der Abteilung für Biostatistik an der Harvard T. H. Chan School of Public Health sagt: „Das Wissen über die Arten von Mikroben, die normalerweise einen gesunden Menschen »bewohnen«, kann uns helfen, die Veränderungen in der Mikrobenpopulation während der Krankheit zu verstehen.“

Dr. Huttenhower ist einer von vielen Wissenschaftlern, die am National Institutes of Health Human Microbiome Project mitarbeiten. Dieses Projekt ist Teil der globalen Bemühungen, mindestens 600 Arten der Mikroorganismen (Bakterien, Pilze und Algen), die den Menschen während seiner Lebenszeit „besiedeln“, zu identifizieren. Ziel ist, herauszufinden, worin sich die Mikroben im Körper unterscheiden und wie sich die Zusammensetzung ihrer Kolonien mit dem Fortschreiten von Erkrankungen assoziieren lässt.

Wie Mikroben unsere Gesundheit beeinflussen können

Mikroben arbeiten sehr ähnlich wie die Körperzellen. Sie nehmen Nährstoffe auf und spalten diese, um die Energie, die sie zum Wachsen und zur Reproduktion brauchen zu produzieren. Bei diesem Prozess scheiden sie jene Moleküle aus, die dann von unseren Körperzellen aufgenommen werden.

Die Auswirkungen dieser mikrobiellen Produkte können schädlich aber auch nützlich sein. Zum Beispiel, Clostridium tetani – das Bakterium, das für Tetanus verantwortlich ist – scheidet Toxine aus, die auf die Nervenzellen wirken. Tetanospasim verursacht z.B. die heftigen Muskelkontraktionen, die bei Wundstarrkrampf zur Kiefersperre (Trismus) führen können. Auf der anderen Seite produzieren die Bifidobakterien, die Ballaststoffe im Darm verarbeiten, kurzkettige Fettsäuren, die das Wachstum der Immunzellen stimulieren und Entzündungen kontrollieren. Vaginale Mikrobenarten, Lactobacillus, bilden die sogenannten Döderlein-Bakterien oder Döderleinsche Stäbchen. Diese Bakterien sind ein Teil der natürlichen Scheidenflora der Frau. Durch Gärung erzeugen diese Bakterien in der Scheide eine saure Umgebung und schützen so die Scheide vor anderen, krankheitserregenden Bakterien, die einen niedrigen pH-Wert nicht tolerieren.

Mikrobielle Vielfalt ist wichtig

Diversität ist der Schlüssel zu vorteilhaften mikrobiellen Populationen. Ein breiteres Spektrum von Mikroben bedeutet nicht nur eine größere Vielfalt von bakteriellen Nebenprodukten, die den Körperzellen zur Verfügung steht, es lässt auch den krankheitserregenden Bakterien weniger Platz. Deshalb ist die neue Betrachtungsweise von Mikroben auch auf die Aufrechterhaltung einer gesunden Balance von Keimen im Körper gerichtet.

Wissenschaftler arbeiten gerade erst daran, welcher Bakterien-Mix gesund ist. Die bisherige Forschung hat festgestellt, dass Mikroben-Kolonien sich in den folgenden Punkten unterscheiden:

Vorkommen auf oder im Körper. Die Mikrobenart, die auf der Haut lebt, unterscheidet sich weitgehend von jener Art, die auf der Stirn, am Unterarm oder am Fuß lebt. In ähnlicher Weise unterscheidet sich auch die Palette der Bakterien im Verdauungstrakt – vom Mund in die Speiseröhre, vom Magen in den Dünndarm und den Dickdarm. Das beruht auf dem unterschiedlichen Umfeld. Das bedeutet, dass Mikroben, die auf dem öligen Sekret der Stirn gedeihen, sich von jenen unterscheiden dürften, die sich unter den Zehennägeln vermehren.

Das Alter. Das mikrobielle Sortiment ändert sich mit unserem Alter. Wahrscheinlich deshalb, weil sich auch der Zustand des Zellgewebes im Laufe der Zeit ändert. Zum Beispiel verändert der Rückgang des Östrogenspiegels nach den Wechseljahren die Innenwand der Vagina, so dass der Lactobacillus schwerer Halt finden kann und damit seine Wirkung verliert.

Aufenthaltsort der Person. Da Mikroben überall vorkommen und zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen ausgetauscht werden, ist es von Bedeutung, wo und mit wem wir leben. Menschen auf Bauernhöfen weisen wahrscheinlich eine andere Mikrobenmischung auf als Stadtbewohner. Das gleiche gilt für Isländer und Indonesier. Infolgedessen können Touristen an Reisedurchfall erkranken, während die lokalen Einwohner die gleiche Nahrung und das gleiche Wasser ohne Folgen zu sich nehmen können. Da sich die mikrobielle Mischung in den verschiedenen Weltteilen auch radikal unterschiedlich auswirken kann, muss das Human Microbiome Project daher ein globales Bemühen sein. Es wird helfen herauszufinden, wie sich die „normale“ Mikrobenmischung über den gesamten Planeten unterscheidet.

Nahrungsmittel. Die Ernährung ist sehr wichtig, da die überwiegende Mehrheit der körpereigenen Mikroorganismen im Verdauungstrakt lebt. Tatsächlich essen sie, was wir essen. Bestimmte Arten von Bakterien gedeihen auf Pflanzenfasern, andere gedeihen wieder auf Zucker. Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten haben also einen großen Einfluss auf unseren mikrobiellen Mix.

Der Darm gibt die Antwort

Lebensmittel beeinflussen unsere Gesundheit auf zwei Arten – durch Fette, Kohlenhydrate, Proteine ​​und andere Nährstoffe, die sie zur Verfügung stellen und durch die Bakterien, die diese im Darm aufspalten. Frühere Untersuchungen zeigen, dass Nahrungsmittel, die reich an gesättigten Fettsäuren sind, den Firmicuten-Anteil gegenüber dem Bacteriodetes-Anteil erhöht (Grundsätzlich lassen sich alle Bakterienarten, die für die unterschiedlichsten Aufgaben im Darm verantwortlich sind, in zwei große Gruppen einteilen: Bacteroidetes und Firmicuten. Idealerweise sind diese im Verhältnis 1:1 im Darm vorhanden. Bei adipösen Menschen überwiegt aber die Gruppe der Firmicuten. Wenn man große Mengen von verarbeiteten Lebensmitteln zu sich nimmt, wird sich die Anzahl der faserverarbeitenden Bifidobakterien, die entzündungshemmend wirken, verringern.

Darmbakterien können also dabei helfen, die Gründe für die Unverträglichkeit der traditionellen „westlichen Ernährung“ zu finden. Studien an unterschiedlichen Populationen von Darm-Mikroben stellten fest, dass Menschen, die sich traditionell mediterran oder traditionell asiatisch ernährten – beide größtenteils auf pflanzlicher Basis – eine größere Diversität von Darmbakterien und einen höheren Anteil an nützlichen Bakterien aufwiesen, als Amerikaner und Europäer. Deren Ernährung weist einen hohen Anteil an rotem Fleisch, Zucker und anderen raffinierten Kohlenhydraten auf und einen geringen Anteil an Obst und Gemüse. „Westler“ weisen daher auch eine höhere Rate an Fettleibigkeit, Herz-Kreislauferkrankungen und Darmkrebs auf.

Wie kann man Mikroben helfen

Das Human Microbiome Project fühlt sich verpflichtet, neue Erkenntnisse über die Rolle von Mikroben zu finden. Ebenso wie neue Ideen, wie man den guten Bakterien helfen und die schlechten bekämpfen kann. In der Zwischenzeit gelten weiterhin folgende Gesundheitstipps:

Achten Sie auf eine mediterrane Ernährung. Sie haben wahrscheinlich schon eine Aufzählung von entzündungshemmenden Lebensmittel gesehen, die wahrscheinlich Früchte, grünes Blattgemüse, Olivenöl, Tomaten und Fisch beinhaltet. Dies ist alles Teil der mediterranen Ernährung – die aber alleine nicht helfen kann, die entzündungshemmenden Darmbakterien zu fördern, wenn man gleichzeitig Zucker, raffinierte Kohlenhydrate und rotes Fleisch (was die weniger freundlichen Mikroben fördert) zu sich nimmt.

Richtige Hygiene. Dies bedeutet nicht, „blitzsauber“ zu sein oder eine antimikrobielle Seife zu verwenden. Eine übertriebene Anwendung von antibiotischen Hygienemitteln kann das bakterielle Gleichgewicht der Haut stören und die Entwicklung von antibiotikaresistenten Bakterien fördern. Aber es ist eine gute Idee, die Hände vor den Mahlzeiten und nach der Toilettenbenutzung zu waschen. Zähneputzen und die Zähne nach dem Essen mit Zahnseide zu reinigen ist auch eine gute Möglichkeit, kariesverursachende Bakterien vor der Invasion des Biofilms von gesunden Bakterien, der Ihre Zähne und Zahnfleisch schützt, abzuhalten.

Intimduschen. Intimduschen zerstören die Kolonien von Lactobacillus in der Vagina, so dass diese anfälliger für Infektionen durch andere Bakterien oder Pilze wird.

Antibiotika, nur wenn notwendig. Diese Medikamente unterscheiden nicht zwischen nützlichen und schädlichen Bakterien – sie greifen alle Bakterien an. Der Preis für die Beseitigung einer Infektion ist der Verlust einer Menge an nützlichen Bakterien. Wenn Sie ein Antibiotikum verschrieben bekommen, folgen Sie den Anweisungen auf dem Beipacktext und nehmen Sie die Pillen zu Ende, auch wenn Sie sich besser fühlen, bevor die Schachtel leer ist.

Bakterien zur Bekämpfung von Krankheiten

Es gibt zunehmend Hinweise, dass Probiotika – eine Zubereitung, die lebensfähige Mikroorganismen enthält – durch die Wiederherstellung des mikrobiellen Gleichgewichts bei bestimmten Erkrankungen (siehe unten) helfen können. Da es aber so viele Probiotika-Produkte gibt, sollten Sie Ihren Arzt nach einer Empfehlung fragen.

Reizdarmsyndrom. Bifidobakterien (nicht Lactobacillus) helfen Blähungen, Krämpfe, Durchfall und andere Symptome zu lindern.

Durchfall durch die Einnahme von Antibiotika. Probiotika enthalten Saccharomyces boulardii, Lactobacillus sowie Bifidobacterien, die Durchfall minimieren und/oder verhindern können.

Durchfall durch Clostridium difficile. Diese Art von Durchfall, der nur schwer zu kontrollieren ist, konnte durch die orale Gabe von Kapseln mit gefriergetrockneten Stuhlproben gesunder Personen, die eine andere Population von Darmbakterien hatten, gelindert werden. Diese Behandlung beendete in den klinischen Studien den Durchfall bei mehr als 90% der Betroffenen, wurde aber noch nicht von der FDA genehmigt.

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