Samstag, April 20, 2024

Dunkelheitsunfall im Straßenverkehr

Der Dunkelheitsunfall beschreibt das Auffahren auf ein unbeleuchtetes Hindernis oder das An- beziehungsweise Überfahren eines nicht oder schlecht beleuchteten anderen Straßenverkehr-Teilnehmern.

Ein gemeinsames verkehrsophthalmologische Doppelsymposium der Verkehrskommission der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands (BVA) sowie der DOG-Kommission für die Qualitätssicherung sinnesphysiologischer Untersuchungsverfahren und Geräte (QSS) adressiertedie Themenbereiche: „Möglichkeiten und Grenzen von technischen Hilfen im Straßenverkehr: Fahrerassistenzsysteme“ sowie „Sehen und Steuern am Limit“. Letztgenanntes befasste sich speziell mit sinnesphysiologischen und ophthalmologisch-optischen Aspekten des Fahrvermögens bei Dunkelheit. Mehr als ein Drittel der über 3.000 tödlichen Verkehrsunfälle pro Jahr in Deutschland ereignet sich nachts oder in der Dämmerung. Einleitend werden Charakteristika und epidemiologische Dunkelheitsunfall-Daten analysiert. Weitere Beiträge befassen sich mit optischen Hilfsmitteln für Nachtfahrten („Nachtgläsern“), Möglichkeiten einer standardisierten Untersuchung der Nachtfahrtauglichkeit im Fahrsimulator, modernen Fahrzeugbeleuchtungstechniken sowie dem Cockpit-Design als entscheidender Schnittstelle zwischen Fahrer und Fahrzeug.

 

Der Dunkelheitsunfall: Ursachen, Häufigkeit, epidemiologische Daten

(Quelle: Bernhard Lachenmayr, München)

Der Dunkelheitsunfall beschreibt das Auffahren auf ein unbeleuchtetes Hindernis oder das An- beziehungsweise Überfahren eines nicht oder schlecht beleuchteten anderen Verkehrsteilnehmers. Lachenmayr et al. (Ophthalmologe 1998; 95:44-50) konnten nachweisen, dass reduziertes Sehvermögen zu einem erhöhten Unfallrisiko im Straßenverkehr führt. Dies betrifft insbesondere Fahrer mit reduziertem Dämmerungssehvermögen und/oder gesteigerter Blendempfindlichkeit. Hier besteht ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko, in einen derartigen Dunkelheitsunfall verwickelt zu werden: 15 Prozent der Unfallfahrer konnten am Mesotest ohne Blendung den Kontrast von 1 zu 5 nicht mehr erkennen, mit Blendung waren es 20,7 Prozent. Im nicht verunfallten Kontrollkollektiv konnten lediglich vier Prozent den Kontrast von 1 zu 5 ohne Blendung nicht erreichen, mit Blendung lediglich 7,6 Prozent. Ursachen für den Dunkelheitsunfall sind neben herabgesetzter Sehschärfe naturgemäß ein eingeschränktes Dämmerungssehvermögen und/oder eine gesteigerte Blendempfindlichkeit, wie sie gehäuft bei Trübungen der optischen Medien, bei Erkrankungen der Makula und des Sehnerven (speziell des Glaukoms) auftreten können (Abbildung 1). Gerade diese pathologischen Veränderungen nehmen mit zunehmendem Lebensalter an Häufigkeit deutlich zu. Der Dunkelheitsunfall ist somit der typische Unfall des älteren Kraftfahrers.

Abbildung 1: Visualisierung der Auswirkungen von unterschiedlichen Stadien der Augenlinsentrübungen („grauer Star“) auf das Sehvermögen unter verschiedenen Beleuchtungsbedingungen: Bei Tag resultiert – selbst bei stärkeren Trübungsgraden – nur eine vergleichsweise geringe Beeinträchtigung, bei Nacht hingegen führen schon geringe Linsentrübungen zu einer deutlichen Reduktion des Sehvermögens. © Prof. Dr. Dr. B. Lachenmayr
Abbildung 1: Visualisierung der Auswirkungen von unterschiedlichen Stadien der Augenlinsentrübungen („grauer Star“) auf das Sehvermögen unter verschiedenen Beleuchtungsbedingungen: Bei Tag resultiert – selbst bei stärkeren Trübungsgraden – nur eine vergleichsweise geringe Beeinträchtigung, bei Nacht hingegen führen schon geringe Linsentrübungen zu einer deutlichen Reduktion des Sehvermögens. © Prof. Dr. Dr. B. Lachenmayr

 

Benchmarking von Nachtsichtgläsern

Gregor Esser (Firma Rodenstock, München)

Beim Autofahren, insbesondere bei Nacht, werden sehr hohe Anforderungen an das visuelle System gestellt (Abbildung 2). Die Brillenglashersteller bieten deshalb spezielle Brillengläser für das Autofahren an, die sich in ihrer Konzeption unterscheiden. Beispielsweise werden spezielle Progressivglasdesigns verwendet, die an die Anforderungen beim Autofahren, insbesondere an das Blickverhalten und die Sehentfernungen, angepasst sind, oder spezielle Filter, welche die Blendung reduzieren sollen. Auch werden Refraktionsänderungen aufgrund der größeren Pupille und der Abbildungsfehler höherer Ordnung berücksichtigt. Im Vortrag werden die verschiedenen Ansätze der Hersteller vorgestellt und diskutiert.

Abbildung 2: Darstellung der unterschiedlichen Anforderungen, wie zum Beispiel Entfernungen, Helligkeiten, Kontraste und Blickrichtungen, beim Autofahren. © Rodenstock
Abbildung 2: Darstellung der unterschiedlichen Anforderungen, wie zum Beispiel Entfernungen, Helligkeiten, Kontraste und Blickrichtungen, beim Autofahren. © Rodenstock

 

Beurteilung der Nachtfahrtauglichkeit im Fahrsimulator – geht das?

Judith Ungewiß, Ulrich Schiefer und das ContrastVal-Team

Konventionelle Nachtfahruntersuchungen auf der Straße sind extrem witterungsabhängig, somit schlecht standardisierbar, kosten-, personal-, zeitaufwendig und nicht ungefährlich. Untersuchungen in einem Fahrsimulator können eine Vielzahl der vorgenannten Nachteile umgehen, sofern genügend Aufwand getrieben wird, möglichst realitätsnahe Untersuchungsbedingungen zu schaffen. Dieser Beitrag stellt den vor Kurzem im AMPELLabor (Aalen Mobility Perception & Exploration Lab) in Aalen in Betrieb genommenen Fahrsimulator vor (Abbildung 3a): Als Fahrerarbeitsplatz findet sich hier ein komplettes, umgerüstetes Fahrzeug (Audi A4) mit Lenk- und Pedalerie-Einheit (Sensodrive GmbH, Weßling/D), voll digitalem Display sowie extern ansteuerbarem Head-up-Display zur Präsentation von Sehzeichen (LANDOLT-Ringen) verschiedener Kontraststufen. Die Fahrstrecke wird über zwei Hochleistungs-Planetariumsbeamer (Velvet, Firma Zeiss, Jena/D) auf eine zylinderförmige 180-Grad-Leinwand projiziert. (Nächtliche) Fahrszenarien werden unter anderem über die Simulationssoftware SILAB (Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften WIVW, Veitshöchheim/D) eingebracht und können hierbei mittels GPS-Datensätzen reale Verkehrswege wirklichkeitsnah im Simulator abbilden (Abbildung 3b). Dies ermöglicht eine zeitnahe Validierung virtueller Fahrszenarien mittels Realfahrten auf der Straße. Der Simulator ist mit mobilen LED-Arrays ausgestattet, die mithilfe von Seilrobotern die Blendwirkung von Scheinwerfern entgegenkommender Fahrzeuge simulieren.

Abbildung 3a: Einhieven des Testfahrzeugs (AUDI A4) in das Fahrsimulationslabor im Innovationszentrum auf dem Campus der Hochschule Aalen. © Heiko Buczsinski, Hochschule Aalen
Abbildung 3a: Einhieven des Testfahrzeugs (AUDI A4) in das Fahrsimulationslabor im Innovationszentrum auf dem Campus der Hochschule Aalen. © Heiko Buczsinski, Hochschule Aalen
Abbildung 3b: Versuchsaufbau im Fahrsimulator – das Testfahrzeug befindet sich zwischen den beiden aus Gründen der Kühlung und Klimatisierung eingehausten Velvet-Hochleistungsbeamern der Firma Zeiss. Als „Virtual Reality“-Szenario dient hier das Campusgelände der Hochschule Aalen; auf diese Weise können die Simulatorversuche unmittelbar nachfolgend unter vergleichbaren Bedingungen im Realversuch validiert werden. © Ulrich Schiefer, Hochschule Aalen
Abbildung 3b: Versuchsaufbau im Fahrsimulator – das Testfahrzeug befindet sich zwischen den beiden aus Gründen der Kühlung und Klimatisierung eingehausten Velvet-Hochleistungsbeamern der Firma Zeiss. Als „Virtual Reality“-Szenario dient hier das Campusgelände der Hochschule Aalen; auf diese Weise können die Simulatorversuche unmittelbar nachfolgend unter vergleichbaren Bedingungen im Realversuch validiert werden. © Ulrich Schiefer, Hochschule Aalen

 

„Mit Licht kann jeder …“ – zukünftige Fahrzeugbeleuchtungskonzepte

(Quelle: Jörg Moisel, Hochschule Ulm)

Seit einigen Jahren sind „Teilfernlicht“-Systeme auf dem Markt (Abbildung 4). Bei diesen erkennt eine Kamera andere Verkehrsteilnehmer und blendet dann die Fernlichtverteilung lokal ab. Auf diese Weise kann man auf Landstraßen mit Fernlicht fahren, ohne den Gegenverkehr zu blenden. Die erste Generation mechanischer Teilfernlicht-Systeme wird gerade durch elektronische Systeme auf Basis von LED-Pixeln abgelöst (zum Beispiel Mercedes-Benz „Multibeam“, Audi und Opel „Matrix-Licht“). Stand der Technik sind dabei 84 Pixel pro Scheinwerfer. Dies entspricht einer horizontalen Auflösung von circa einem Winkelgrad. In den letzten Jahren wurde intensiv nach Wegen gesucht, die Pixelzahl stark zu erhöhen und damit die Auflösung zu verbessern. Mittlerweile sind Scheinwerfer mit über einer Million Pixeln als Prototypen verfügbar – diese erlauben völlig neue Möglichkeiten zur Erhöhung der Fahrsicherheit.

Abbildung 4: Filmaufnahmen an einer mit Megapixel-Scheinwerfern ausgerüsteten Mercedes-Benz S-Klasse. © Jörg Moisel
Abbildung 4: Filmaufnahmen an einer mit Megapixel-Scheinwerfern ausgerüsteten Mercedes-Benz S-Klasse. © Jörg Moisel

 

Cockpit-Design: Wie sieht der PKW-Fahrerarbeitsplatz der Zukunft aus?

Isabel Schöllhorn, Harald Widlroither, Fraunhofer IAO, Stuttgart)

Der PKW-Fahrerarbeitsplatz stellt die direkte Schnittstelle zwischen dem Fahrer und dem Fahrzeug dar und unterliegt einer ständigen Weiterentwicklung (Abbildung Artikeleinstieg). Konventionelle Anzeige- und Bediensysteme stoßen bei vollständig vernetzten und hochautomatisierten Fahrzeugen zunehmend an ihre Grenzen. Neuartige Mobilitätskonzepte, wie das autonome Fahren oder Carsharing, führen zu neuen Anforderungen an den Fahrerarbeitsplatz. Der Beitrag zeigt auf, welche neuen Anforderungen es aus Nutzersicht gibt und wie Leistung und Wohlbefinden in zukünftigen Fahrzeugen weiter optimiert werden können.

Quelle:

Statement »Cockpit-Design, Beleuchtung, Nachtgläser: Wie man sich vor Unfällen im Straßenverkehr bei Dunkelheit schützt«, Professor Dr. med. Ulrich Schiefer, Oberarzt, Department für Augenheilkunde, Universität Tübingen; Leiter des Kompetenzzentrums „Vision Research“ der Fakultät „Optik und Mechatronik“, Hochschule Aalen zum 116. Kongress der DOG, September 2018, Berlin

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