Freitag, März 29, 2024

Nachwuchssituation und Stimmung in Chirurgie-Weiterbildung

Wozu brauchen wir Vorbilder in der Chirurgie? Nachwuchssituation und Stimmung in der chirurgischen Weiterbildung.

Seit mehreren Jahren werden ein sich zuspitzender Nachwuchsmangel insbesondere in den chirurgischen Fächern und eine eklatante Unzufriedenheit bei den Weiterbildungsassistenten beklagt. Diese Einschätzungen und Stimmungslagen treten bei diversen Umfragen immer wieder zu Tage, zuletzt bei einer Umfrage des Hartmannbunds. Die Daten sind alarmierend: Die Mehrheit der Assistenzärzte schätzt die aktuelle Arbeitssituation an ihrer Klinik als bestenfalls befriedigend bis schlecht ein. Die Ärzte leiden vor allem unter der hohen Arbeitsbelastung, zeitaufwändigen Dokumentationsarbeiten von bis zu drei Stunden täglich oder mehr – einhergehend mit mangelnder Behandlungszeit für den Patienten. Besonders kritisch wird die Situation an Universitätskliniken und Kommunalen Krankenhäusern bewertet. Chirurgen leisten dort zum Teil so viele Überstunden, dass sie auf Nachfrage angaben, unter Schlafmangel zu leiden und weitere gesundheitliche Einschränkungen zu befürchten. Das klingt wie eine Bankrotterklärung des Weiterbildungskonzepts.

Schaut man sich die Daten genauer an, sieht es in der Chirurgie in jedem Fall besser als in anderen Fächern aus und es gibt grundsätzlich nur wenig auszusetzen. Insbesondere die Operationstätigkeit und der direkte Patientenkontakt werden immer noch als erfüllend und erstrebenswert angesehen. Eine Studie aus Orthopädie und Unfallchirurgie von vor einigen Jahren kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Hartmannbundbefragung – in Bezug auf die kritischen, aber auch in Bezug auf die positiven Aussagen: Die Frage an die Ärzte, ob sie nochmals den gleichen Weg einschlagen würden, beantworteten 90 Prozent der Befragten mit „Ja“!

Wo ist das Problem verankert?

Unstrittig ist, dass es in Hinblick auf Arbeitszeitregelungen, Bezahlung und anderen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren zu deutlichen Verbesserungen für Assistenzärzte kam. Auch in der Strukturierung und Umsetzung der Weiterbildungsvorgaben gibt es Fortschritte, wenn wir auch immer noch weit von bedarfsgerechten und qualitätskontrollierten Programmen wie z.B. in den Niederlanden entfernt sind. Die dafür verantwortlichen Ärztekammern haben derzeit keinen strukturierten Überblick, wer sich wann und wo in welcher Weiterbildung befindet. Erst die Anmeldung zur Prüfung löst das Rätsel!

Die Weiterbildung und die ersten Berufsjahre des jungen Arztes leben von Vorbildern. Auch hier kam es zu großen Veränderungen aufgrund der angepassten Strukturen in den Chirurgischen Kliniken. Früher erschien die Position eines Chefarztes oder auch verantwortlichen Oberarztes mit einer Vielzahl von Freiheiten in der Ausgestaltung des medizinischen Alltags und noch deutlich weniger administrativen Tätigkeiten als äußerst attraktiv und erstrebenswert. Im Gegensatz dazu sind die heutigen leitenden Ärzte, die als „Motivatoren und Vorbilder“ dienen sollten, selbst in einer überbordenden Bürokratie, starker budgetären Beeinflussung und Fremdbestimmung gefangen. Die attraktive „chirurgische Entscheidungsfreiheit“, ethisch verankert und erstrebenswert, findet nur noch in kurzen Phasen der Patientenkontakte statt oder verschwindet zwischen einer budget-getriggerten und demographie-bedingt notwendigen „Hochfrequenzchirurgie“. Die gerade in akademischen Fächern mit manuellen Komponenten notwendigen Freiräume zum Austausch, zur gemeinsamen Tätigkeit, zur gegenseitigen Inspiration sind kaum noch vorhanden.

Wollen wir in Zukunft weiterhin den in Deutschland guten und verlässlichen Zugang zu einer hochqualitativen Chirurgie in der Fläche aufrechterhalten, muss sich schnell etwas ändern. Die Chirurgie an sich ist speziell! Sie braucht auch in der Weiterbildung spezielle Rahmenbedingungen: Sie braucht ein motivierendes Umfeld und überzeugende Motivatoren. Arbeitszeiten sind letztendlich ein sekundäres Problem. Das ist in der Chirurgie nicht anders als in anderen hochkompetitiven akademischen Bereichen wie z.B. in der Beratung oder im Management. Die Grundvoraussetzung für eine zufriedenstellende und erfüllende Berufslaufbahn in der Chirurgie ist die Gestaltungsfreiheit für leitende Ärzte und der Abbau der Bürokratie. Außerdem muss man sich endlich von der Annahme verabschieden, dass man durch Wettbewerb im Gesundheitsmarkt gesundheitspolitische Planungsdefizite ausgleichen könnte!

Professor Dr. Raymund Horch
Professor Dr. Raymund Horch

Quelle: Statement »Wozu brauchen wir Vorbilder in der Chirurgie? Nachwuchssituation und Stimmung in der chirurgischen Weiterbildung« von Professor Dr. med. Tim Pohlemann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) 2016/2017; Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) in Homburg/Saar

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